„Es ist sehr, sehr aufregend“

Um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen, blockierte der 72-jährige Helmut Hallier im Mai alleine eine Berliner Straße – bis eine Autofahrerin die Polizei rief. Eigentlich sei er mit den Reaktionen aber zufrieden, sagt er

Klimafrage als Generationenkonflikt? Es geht auch anders: Helmut Hallier muss sich am 15. Mai 2021 im Berliner Bezirk Schöneberg mit Po­li­zis­t:in­nen auseinandersetzen, als er eine Straße besetzt Foto: Fo­to: Edgar Rodtmann

Interview Katharina Müller-Güldemeister

taz: Herr Hallier, im Mai haben Sie ganz alleine Autos blockiert. Warum?

Helmut Hallier: Ich habe Kinder, Enkel, denen ich keine zerstörte Welt übergeben möchte.

Warum diese drastische Protestform?

Bei Demonstrationen gibt es eine Masse, die einer Öffentlichkeit gegenübersteht. Da ist schon eine Konfrontation drin. In einer Einzelaktion liegt eine andere Energie. Da ist einer allein, der sagt: Ich steh hier für was. Der sich traut, andere gegen sich aufzubringen. Dadurch steigt die Schwelle, ihn anzugreifen.

Hatten Sie Angst vor Gewalt?

Ja. Es gibt genug aggressive Menschen, die handgreiflich werden. Aber insgesamt ist das weniger, als man denkt.

Wie haben die Leute auf Ihre Sitzblockade reagiert?

Ganz viele sind stehen geblieben. Bald standen auch einige Autos. Drei Autofahrer haben sich an mir vorbeigequetscht, einer hat gesagt: Guck doch mal nach China, die sollen sich mal ein bisschen anstrengen. Die USA können sie jetzt nicht mehr nennen, jetzt ist es halt China. Einer kam auf mich zugelaufen und sagte, dass der Protest eine Unverschämtheit wäre.

Wie sind Sie mit der Verärgerung umgegangen?

Ich bin ins Gespräch gegangen, aber es ging nicht darum, hin und her zu argumentieren. Es ist eine Aktion, die zum Nachdenken anregen soll. Eine Autofahrerin sagte: Das nützt eh nichts, wenn du allein hier sitzt. Da habe ich gesagt: Setzen Sie sich dazu, dann sind wir schon zwei.

Sie saßen zwar allein auf der Straße, aber Sie hatten im Hintergrund ein Unterstützerteam dabei. Wie groß ist das?

Zu meinem Team gehörte eine Deeskalatorin, die Leute ansprechen und ein bisschen von ihrer Aggressivität ablenken sollte, wenn es hoch herging. Es gab eine, die notfalls die Polizei rief, und dann war da noch eine Frau, die Fotos gemacht hat.

Wie haben Sie sich als Hindernis auf der Straße gefühlt?

Mein Stresslevel war sehr hoch. Vieles, was um mich passierte, habe ich nicht wahrgenommen.

Was hat Ihnen geholfen?

Bewusstes Atmen. Das hilft mir generell, im Alltag gelassener zu sein und Dinge anzunehmen, wie sie sind.

Sie sagen: Wenn der Klimakollaps droht, muss man sich auf die Straße setzen?

Für mich war der Klimawandel lange weit weg. Dabei lagen alle Fakten auf dem Tisch. Es ist nie was passiert. Ich würde sagen, dass meine Generation versagt hat in dem Thema.

Woran liegt das?

Wir Menschen können abstrakte Sachen nur schwer verarbeiten. Aber wenn etwas sinnlich erfahrbar ist wie die extrem heißen Sommer der letzten Jahre, in denen die Straßenbäume braune Blätter bekommen und das Wasser in dem See, an dem wir immer Urlaub machen, um einen halben Meter gesunken ist, dann bringen wir das plötzlich in Verbindung mit den Bränden in Sibirien, Kanada und Australien oder mit der Hungersnot in Madagaskar. Die Überschwemmungskatastrophe in West- und Süddeutschland ist ein Ausrufezeichen. Dabei dürfte das erst der Beginn der Klimakrise hier in Deutschland sein.

Was hätte man anders machen müssen?

Hätte, hätte, Fahrradkette. Das ist vorbei. Wir müssen heute gucken, was wir machen können. Ich finde es wichtig, dass man es als gesamtgesellschaftliche Aufgabe sieht. Wie kann man den Diskurs so beeinflussen, dass die Regierung handelt? Wir brauchen eine kritische Masse, die sagt: Wir tragen das jetzt mit.

Seit wann engagieren Sie sich für Klimaschutz?

Der Auslöser war Fridays for Future. Seit ich mich intensiver damit beschäftige, sind mir die Dringlichkeit, die Gefährlichkeit und die katastrophale Lage bewusster geworden. Und ich sehe auch, dass es nicht nur ein ökologisches Thema ist. Die Länder des Südens schultern schon heute die Hauptlast. Insofern ist es nicht nur eine Verantwortung für uns, wir sind Teil einer Welt.

Wie lange hat Ihr ziviler Ungehorsam auf der Straße gedauert?

Helmut Hallier

Foto: Edgar Rodtmann

1949 in Frankfurt am Main geboren, promovierte er in Ethnologie, machte danach eine Ausbildung zum Krankenpfleger und arbeitete fünf Jahre für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen in Rom und Somalia. Heute lebt er in Berlin und ist als Coach, Moderator und Berater tätig.

Vielleicht zehn Minuten. Eine Autofahrerin hat die Polizei gerufen. Die Polizisten haben sich zu mir runtergekniet und gesagt: Wir sind Ihrer Meinung, aber bitte gehen Sie von der Straße. Als ich mich weigerte, sagten sie: Sie haben schon so viel Aufmerksamkeit, Sie sind von 50 Handys fotografiert worden. Nach der dritten Verwarnung bin ich aufgestanden, sonst hätten sie mich wegtragen müssen, das wollte ich nicht.

Wie war das für Sie?

Ich war froh, dass ich es geschafft hatte. Man ist doch sehr exponiert. Abends konnte ich nicht einschlafen, weil das Adrenalin noch in meinen Adern rumorte. Ich werde mich auch nicht bei jeder ­Rebellion of One auf die Straße setzen. Es ist einfach sehr, sehr aufregend.

Wie waren die Reaktionen, als Sie aufgestanden sind?

Viele haben geklatscht, etliche kamen zu mir und sagten: Toll, dass Sie das gemacht haben.

Wann ist eine Aktion für Sie erfolgreich?

Wenn Menschen anfangen zu diskutieren, wenn sie überhaupt über das Thema nachdenken. Aber es begrenzt einen, wenn man sich immer fragt: Bringt das jetzt was?

Fragt man sich das bei so einer Aktion nicht automatisch?

Natürlich ist es nicht gleichgültig. Es klingt vielleicht komisch, aber es ist einfach anständig, sich so oder so zu verhalten. Ich bin sehr zufrieden, dass da viele Leute waren, diskutiert haben und zu Hause wieder darüber reden: Weißt du, was ich gesehen habe, da war so ein Verrückter, der hat sich da auf die Straße gesetzt. – Da passiert was.