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Tanzwut – besungen und verfilmt

Neben der durch die Brüder Grimm populär gewordenen Sage des Rattenfängers von Hameln taucht das Motiv des Tanzzwangs in Verbindung mit roten Schuhen auch in Hans-Christian Andersens Märchen „Die roten Schuhe“ auf, in dem ein Mädchen namens Karen seine roten Schuhe nicht mehr auszuziehen vermag:

Da erschrak sie und wollte die rothen Schuhe abwerfen; aber die hingen fest. Und sie schleuderte ihre Strümpfe ab; aber die Schuhe waren an den Füßen festgewachsen. Und sie tanzte und mußte über Feld und Wiese, im Regen und Sonnenschein, bei Nacht und bei Tage tanzen; allein Nachts war es am gräulichsten.“

Karens Schuhe werden schließlich von einem Scharfrichter mitsamt ihren Füßen abgehackt und tanzen allein weiter, während die versehrte Karen ihre Sünden (Hochmut, Eitelkeit und Egoismus) bereut.

Auf ähnlichen Motiven basiert der opulente, ästhetisch zuweilen avantgardistische Technicolor-Ballettfilm „The Red Shoes“ von 1948, in dem rote (Ballett-)Schuhe ein Eigenleben entwickeln und ihre Trägerin ins Verderben tanzen. Am Ende bringt sich die von Herzschmerz gequälte Protagonistin (gespielt von der Balletttänzerin Moira Shearer) um.

Die berühmteste Tanzwut-Filmszene stammt aus G. W. Pabsts 1943 erschienenem Filmporträt „Paracelsus“ über den Alchemisten und Arzt Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus. Der deutsche Ausdruckstänzer und Mary-Wigman-Schüler Harald Kreutzberg spielt darin den „Gaukler Fliegenbein“, der in einer Spelunke zu tanzen beginnt und die erstaunten Zu­schaue­r:in­nen ansteckt, bis sie in einer beeindruckenden Massenchoreografie mittanzen.

Tanzwut wird im 2020 entstandenen Film „Tanz der Unschuldigen“ von Pablo Agüero thematisiert, der von der Begegnung eines Inquisitors mit ein paar der Hexerei verdächtigten Frauen im Jahr 1609 erzählt.

Im Zeichentrickfilm „Die Schlümpfe und die Zauberflöte“ von 1976 stiehlt ein Bösewicht den Schlümpfen ihre magische Flöte, zu der jeder, der ihren Klang vernimmt, unkontrolliert tanzen muss. Die Musik zu dem absurden türkisfarbenen Trip stammt von Michel Legrand.

In dem im Mittelalter spielenden Globalstrategie-Game „Crusader Kings II“ ist von einer „Dancing Plague“ die Rede, bei der die Menschen „aus Erschöpfung kollabieren“.

In einem Gedicht Hermann von Linggs wird die Tanzwut ebenfalls beschrieben, der Begriff „Sankt-Veits-Tanz“ im Zusammenhang mit Beschreibungen einer mittelalterlichen Stadtatmosphäre findet sich zudem bei Thomas Mann (in „Dr. Faustus“), und die Straßburg-Legende ist ganz aktuell das Thema des 2018 erschienenen Romans „Entrez dans la dance“ von Jean Teulé.

Neben den Songs von zumeist aus der Mittelaltermusikszene stammenden Bands („Tanzwut“ aus Berlin, „Subway to Sally“ aus Potsdam) finden sich Tanzwut-Motive unter anderem in Songs von Black Sabbath und Bauhaus („St. Vitus Dance“). Kate Bush veröffentlichte 1993 das Album „The Red Shoes“ und den dazugehörigen, zuweilen geschmacklich recht fragwürdigen 50-minütigen Musikfilm „The Line, the cross and the curve“. Darin führen rote Ballettschuhe ihre Trägerin durch Höllenfeuer und über Knochenwüsten.

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