Andy Grote will kein Pimmel sein

Am frühen Mittwochmorgen stürmten Po­li­zis­t*in­nen die Wohnung von Mara K. – wegen eines Tweets. Innensenator Andy Grote fühlte sich offenbar persönlich beleidigt

Auch kein Pimmel: eine Gurke Foto: Fo­to: Charles Deluvio/Unsplash

Von Katharina Schipkowski

Es war nicht sein erfolgreichster Tweet – eher ein Eigentor. „In der #Schanze feiert die Ignoranz!“, empörte sich Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) am 30. Mai bei Twitter, und weiter: „Manch einer kann es wohl nicht abwarten, dass wir alle wieder in den Lockdown müssen … Was für eine dämliche Aktion!“

Unter dem Tweet sammelten sich wütende Kommentare, die meisten mit den Tenor: Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Grote selbst hatte nach seiner Wiederernennung zum Senator im Juni 2020 eine Party mit 30 Leuten in der Hafencity veranstaltet und damit gegen die Coronaverordnung verstoßen. Dass er sich ein knappes Jahr später über feiernde Jugendliche im Schanzenviertel aufregte, kam daher nicht gut an. Ein User kommentierte Grotes Empörungstweet mit den Worten: „Du bist so 1 Pimmel.“

Das ist mittlerweile mehr als drei Monate her. Am Mittwochfrüh um sechs Uhr stürmten nun sechs Po­li­zis­t*in­nen eine Privatwohnung und durchsuchten sie. Das Vergehen, das die Durchsuchung rechtfertigen sollte: Beleidigung durch den Pimmeltweet. „Es ist zu vermuten, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Beweismitteln führen wird, insbesondere von Speichermedien, mittels derer die inrede stehende Nachricht versandt wurde“, so steht es in dem Durchsuchungsbeschluss. Außerdem: Der Strafantrag sei form- und fristgerecht gestellt worden. Bei dem in dem Beschluss genannten Strafparagrafen handelt es sich um ein Antragsdelikt. Das heißt: Strafverfolgungsbehörden werden nicht von sich aus aktiv, sondern nur, wenn der Betroffene einen Strafantrag stellt. Der Senator hat den Tweet also wahrscheinlich selbst zur Anzeige gebracht.

Allerdings waren die Po­li­zis­t*in­nen am frühen Morgen in der falschen Wohnung. Zwar an der richtigen Meldeadresse, aber da wohnt der Verfasser des Tweets, Marlon P., nicht mehr. Seine Exfreundin Mara K. habe verschlafen die Tür geöffnet. „Eine Polizistin rammte sofort einen Fuß in den Spalt und fragte, wie viele Personen sich in der Wohnung aufhielten“, schildert K. die Situation. Im nächsten Moment seien die Be­am­t*in­nen auch schon drinnen gewesen und hätten alle Räume durchsucht. „Was fällt denen ein, wegen so einem Scheiß hier reinzukommen?“, fragt K. wütend. „Haben die nichts besseres zu tun?“ Die Polizei solle sich lieber um Frauen wie die Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl oder die Comedy-Autorin Jasmina Kuhnke kümmern, die im Internet regelmäßig Morddrohungen erhalten.

„Wenn man Andy Grote einen Pimmel nennt, geht plötzlich alles ganz schnell“

Marlon P., Inhaber der Kneipe „Zoo“

Auch P. sagt, mit einer Hausdurchsuchung habe er nicht gerechnet – eigentlich sei das mit der Beleidigung längst geklärt gewesen. Vor drei Wochen habe er wegen des Tweets eine Vorladung der Polizei bekommen, der er auch folgte. Er gab zu, dass er den Account betreibt, von dem der Tweet abgesetzt wurde: „Zoo St. Pauli“ ist der Account der gleichnamigen Fan-Kneipe direkt am FC-St.-Pauli-Stadion. Marlon P. und Mara K. sind deren Inhaber*innen. P. habe damals auf der Polizeiwache keine weiteren Angaben gemacht, die Beamtin habe ihm aber signalisiert, dass die Anzeige wahrscheinlich wegen Geringfügigkeit eingestellt werden würde.

Dass es dann zur Hausdurchsuchung kam, findet P. „einfach nur absurd“. Wer in der Öffentlichkeit stehende Frauen im Internet beleidige, bekäme dafür keine Konsequenzen zu spüren, „aber wenn man Andy Grote einen Pimmel nennt, geht alles ganz schnell“, stellt P. fest. Überrascht sei er davon nicht: „Ich kenne diesen Beißreflex der Justiz, wenn es um linke Strukturen geht“, sagt er. Der Zoo ist als Treffpunkt für die antifaschistische Fanszene bekannt.

Die Polizeisprecherin Evi Theodoridou bestätigte die Durchsuchung. Man habe Beweismittel sichern und feststellen wollen, wer Zugriff auf den Twitter-Account habe. Auf die Frage, ob eine Durchsuchung dafür verhältnismäßig sei, sagte sie: „Da viele Taten strafbarer Beleidigungen im Internet mittels internetfähigen Geräten begangen werden, werden in diesem Deliktsbereich regelhaft Durchsuchungen vorgenommen.“ Auf Twitter trendete derweil das Hashtag #Pimmelgrote.