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Für die Lebenden den Tod studieren

Der Studiengang Perimortale Wissenschaften in Regensburg befasst sich mit Sterben, Tod und Trauer. Auch andernorts widmet man sich dem Thema rund um den Tod akademisch

Verbote in Verbindung mit Trauer funktionieren nicht

Von Anna Löhlein

Jeder Mensch nähert sich dem Thema Sterben und Tod auf seine Weise – innerhalb des ihn umgebenden kulturellen, gesellschaftlichen oder religiösen Bezugsrahmens. Auch auf akademischen Pfaden an ihn heranzutreten, ist eine Möglichkeit. Den „Zeitraum um den Tod“ betrachten im Master-Studiengang Perimortale Wissenschaften an der Universität Regensburg rund 40 Studierende vier Semester lang.

„Wissenschaftlich reizt es uns besonders, das Menschheitsthema Tod interdisziplinär anzugehen. Meines Erachtens bedarf es eines geistes-, natur- und sozialwissenschaftlichen Dreifachzugangs, damit wir uns einen zeitgemäßen Reim auf Sterben, Tod und Trauer machen können“, erläutert der Moraltheologe und Entwickler des Studienfachs Rupert M. Scheule. „Während die Geisteswissenschaften sich überwiegend mit dem befassen, was inzwischen Verstorbene getan, geschrieben, gemalt und gedacht haben und allein deswegen vor einer Art Hintergrundlogik achtsamer Totenversorgung operieren, haben die naturwissenschaftlich geprägten ‚Life Sciences‘ die Adaptionsprozesse des Lebens zum Gegenstand.“ Die Gesellschaftswissenschaften schließlich nähmen Institutionen in den Blick. „Und gerade die großen, uns erschütternden Themen wie der Tod schreien nach Institutionalität.“

Ein Gespräch mit Thorsten Benkel, Soziologe an der Universität Passau, zeigt, dass es auch innerhalb eines Faches gelingen kann, in Bezug auf den Themenkomplex Sterben, Tod und Trauer ein bemerkenswert breites Spektrum abzudecken. Im Jahr 2011 gründete er mit seinem Kollegen Matthias Meitzler das Projekt Friedhofssoziologie, später gaben beide das Buch „Zwischen Leben und Tod. Sozialwissenschaftliche Grenzgänge“ heraus. „Es irritierte mich, dass mein Fach so wenig auf diese Thematik schaut“, erklärt der Wissenschaftler. „Denn der Tod ist, genau wie die Geburt, eine elementare Form des sozialen Lebens. Nur während die Geburt absolut positiv wahrgenommen wird, ist der Tod vor allem: sehr traurig – jedenfalls in unserer westlichen Kultur“, erläutert Benkel und weist auf das Spannungsfeld hin, welches sich aus dem Verdrängen des eigenen Todes einerseits und der starken medialen Präsenz desselben Themas andererseits ergibt.

„Meine empirische Forschung führte mich an Orte, an denen man sich professionell mit dem Tod befasst“, beschreibt Benkel. Das waren zunächst Friedhöfe, auf denen sich durch zunehmenden Parkcharakter ein deutlicher Strukturwandel bemerkbar mache. Im medizinischen Bereich widmete er dem Phänomen besondere Aufmerksamkeit, dass global kein Konsens darüber herrscht, wann ein Mensch tot ist. „Wie der Tod bestimmt wird, ist vom kulturellen Kontext abhängig.“ Während in Deutschland der Hirntod als finale Diagnose gilt, ist dies in Japan höchst umstritten, dort versteht man den Herz- und Atemstillstand als Todeskriterium.

Auf dem Gebiet der Trauer- und Begräbniskultur stellt der Forscher im Zuge der Individualisierung der Gesellschaft eine Wandlung von alten Ritualen und Bräuchen hin zu neuen, vermeintlich individuelleren Konzepten fest. Im Pressen der Asche eines Verstorbenen zu einem Diamanten etwa, oder im Verwahren der „unbestatteten“ Urne auf dem heimischen Kamin – entgegen der in Deutschland geltenden Bestattungspflicht – finde eine „Autonomie der Trauer“ ihren Ausdruck. „Deutschland hat mit die strengsten Bestattungsregeln, doch es gibt Grauzonen und diese nutzen Angehörige zunehmend, um ihrem subjektiven Trauerempfinden Rechnung zu tragen“, erläutert Benkel. Das Wichtigste sei, zu tun, was einem in der Verarbeitung der Trauer am besten hilft: „Verbote in Verbindung mit Trauer funktionieren nicht“ – denn die persönliche Trauer wiege schwerer als ein Gesetz.

Die Angehörigen und Trauernden spielen auch in den Perimortalen Wissenschaften eine zentrale Rolle. Theologe Scheule: „Als Seelsorger fiel mir auf, dass man für einen guten Beistand von Trauernden immer zu spät dran ist, wenn man erst auf der Matte steht, wenn es einen Toten im Haus gibt.

Zu dem Zeitpunkt ist ein höchst dynamischer Abschiedsprozess schon lange im Gang. Eine gute Begleitung von Trauernden kann nur eine sein, die sich um alle kümmert, die Abschied nehmen müssen.“

Einen ganzheitlichen Blick auf den Sterbenden hat auch die Palliativmedizin, ihre Unit of Care umfasst Sterbende und deren Angehörige. „Durch die Einbindung der Angehörigen entsteht eine positive Zusammenarbeit, für viele Patienten bedeutet dies, einen Teil des vertrauten Umfeldes zu spüren“, so eine Hamburger Palliativmedizinerin. Sofern von beiden Seiten gewünscht, können die Angehörigen nach Anleitung in die Pflege des Sterbenden einbezogen werden, seine Ernährung begleiten oder mit in seinem Zimmer übernachten. Das Spektrum der Möglichkeiten ist breit, letztlich gilt: „Jeder stirbt seinen eigenen Tod“.

Um die Lebensqualität eines Sterbenden zu verbessern und seine Autonomie zu erhalten, arbeitet ein Team aus Ärzten, Pflegekräften, Psychologen, Sozialarbeitern, Physio- und Ergotherapeuten, Musiktherapeuten und Seelsorgern zusammen.

Wie also umgehen mit dem schaurigen Eckensteher Tod? Für Scheule wäre es wünschenswert, „wenn wir mitten in unserem Leben einen guten Platz hätten für den Tod. Und mit ihm für die Sterbenden und die Trauernden.“

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