Kolumne Heult doch!: Ausgeheult!

Wer erzieht hier eigentlich wen, oder: Kennen Sie auch dieses merkwürdige Gefühl, wenn Erziehung offenbar wirklich mal gewirkt hat?

Zwei Jungen mit großen Schulranzen auf dem Rücken legen einander die Arme um die Schultern.

„Die ist doch noch gut!“: Elterntrostobjekt Schultasche Foto: dpa

Kind Nummer zwei ist jetzt auch in der Schule. Er wollte keine neue Schultasche haben, er nehme die ausrangierte Tasche seines großen Bruders, weil: „Die ist doch noch gut!“ Und auch die Federmappe aus der Kita-Vorschule wolle er weiter benutzen. „Man muss ja auch nicht immer so viel wegschmeißen“, sagt das Kind seelenruhig und löffelt seine Cornflakes. Selbst der große Bruder hebt verwundert den Kopf über seiner Müslischüssel, dabei ertrinkt er sonst eigentlich morgens vor sieben vor schlechter Laune eher mit der Nase in der Schokomilch.

Es ist manchmal ein merkwürdiges Gefühl, wenn Erziehung wirkt. In dem Fall fand ich es sogar regelrecht ungünstig, weil ich mich drauf gefreut hatte, shoppen zu gehen: Schultasche, Federmappe, Sporttasche, der ganze Schulstartklimbim. Dem Konsum frönen, und wenn man dann 250 Euro über die Ladentheke schiebt für die überteuerte Star-Wars-Schultasche mit passender Federtasche, ist man auch nicht länger sentimental, weil jetzt auch Kind Nummer zwei zur Schule kommt und die Kleinkind-Kita-Phase damit endgültig zu Ende geht.

Ist es eigentlich okay, wenn man mit fast sieben Jahren konsequenter ist als die eigenen Eltern? Wer erzieht hier eigentlich wen?

Vielleicht machen ich und meine Whatsapp-Blase es sich beim Projekt Kind aber auch bloß unnötig schwer. Ein ungeschriebenes Gesetz in meinem Eltern-Bekanntenkreis ist zum Beispiel, dass der Nachwuchs einen Sport- und/oder (besser: und) Musiktermin pro Woche hat.

Ich frage mich manchmal, was die Motivation hinter diesem Elterngesetz ist: Soll das Kind Profi-Flötist werden? Eher nein. Soll das Kind einfach bloß die C-Dur-Tonleiter können? Dass das Kind die zu Hause übt, muss man allerdings auch erst mal wirklich wollen (sonst hält man weder die Nörgelei des Kinds deswegen noch das Gequietsche der Flöte aus).

Also: warum? Außer natürlich, dass die Whatsapp-Gruppe es so macht. Aber das wiederum kann ja auch nicht die Antwort sein,

„Es geht natürlich darum, Angebote zu machen“, sagt eine Bekannte, die aufs Dorf gezogen ist und jetzt das Problem hat, dass es mit den „Angeboten“ auf dem Dorf so eine Sache ist. Den Cello-Unterricht für den Sohn gibt es jedenfalls nicht um die Ecke. Bloß den Fußballplatz gebe es im Ort, allerdings ohne Verein dazu. Aber, immerhin, das Kind sei da nach der Schule augenscheinlich glücklich mit den Nachbarskindern.

Und vielleicht reicht das ja auch. Ich habe manchmal den Verdacht, wir gehen das „Angebotemachen“ etwas klemmbrettmäßig an. Wenn das Kind für sich herausfindet, dass Fußball glücklich macht und was es Mittwochnachmittag mit seiner Langeweile anfängt, wo die Eltern es eigentlich gern beim Cello hätten, lernt es dadurch vermutlich mehr fürs Leben, als die C-Dur-Tonleiter bewirkt hätte.

Ich glaube keineswegs, dass eine Dorfkindheit per se glücklich macht, das ist auch bloß so eine komische fixe Idee, die in meiner Whatsapp-Blase übrigens gar nicht so selten vertreten ist. Und Musikschulen und Sportvereine sind was Tolles.

Einfach mal entspannen?

Noch toller wäre, man würde sich einfach mal entspannen. Meistens sind die Kinder ja sowieso viel schlauer als man selbst, auch ohne 30 Förderangebote an Körper und Geist (wir setzen auf Cello und Akrobatik). Das Kind macht jetzt jedenfalls neuerdings immer das Licht hinter mir im Flur aus und im Treppenhaus gleich überhaupt nicht mehr an, weil ich nicht sicher sagen konnte, ob das wirklich 100 Prozent Ökostrom ist.

Insofern überlege ich, ob ich meinen Job als Erziehungsberechtigte vielleicht schon erledigt habe. Ob alles gesagt ist. Zumindest für diese Kolumne gilt das: Ich habe einfach keinen Grund mehr, mich auszuheulen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.