Regisseure über Hamburger Mitmachtheater: „Menschen, die nie jemand fragt“

Eine Bühne für Bürger*innen: Das Stück „Citizenpark“ zu Migration, Recht und Teilhabe wurde durchweg mit jungen Betroffenen entwickelt.

Vor einem schwarzen Hintergrund stehen vier Figuren mit gereckten Armen und einem Plakat

Utopischer, offener Ort, an dem es keine Restriktionen gibt: der „Citizenpark“ Foto: ismilealot

taz: Herr Salihoglu, wenn Sie gefragt werden, woher Sie kommen: Was antworten Sie?

Serkan Salihoglu: Aus der Türkei. Ich habe einen deutschen Pass, keinen türkischen mehr, aber ich komme aus der Türkei. Aber ich finde die Frage nach der Herkunft ein bisschen irrelevant, sie beschreibt nur eine geografische Situation, nämlich die, wo ich geboren bin. Und sie sagt aus, dass wir immer eine solche Besessenheit haben, uns auf die Vergangenheit zu konzentrieren und nicht auf die Gegenwart.

Migration, Partizipation und Gleichberechtigung sind Thema der vierten „Bür­ge­r*in­nen­büh­ne“. Wie gehen Sie das in „Citizenpark“ an?

Salihoglu: Sidar Kurt und ich sind Immigranten, und unsere Teil­neh­me­r*in­nen sind, bis auf eine Person, auch Einwander*innen. Ich bin erst 2003 nach Deutschland gekommen, aber da ich in der Türkei auf einer deutschen Schule war, hatte ich schon vorher einen Bezug zu Deutschland. Als ich zum Studium nach München gezogen bin, waren die Diskussionen noch andere. Jetzt, vor diesem Projekt, habe ich mich noch mal intensiver mit dem Thema Einwanderung befasst, auch um zu verstehen, wo wir gerade stehen. Die Themen haben sich extrem geändert …

36, geboren in Istanbul, studierte Theaterwissenschaft, Soziologie und Literaturwissenschaft in München. Regiearbeiten u. a. in Hannover. Lebt und arbeitet seit 2019 in Hamburg.

Inwiefern?

Salihoglu: Eigentlich sehe ich eine ganz, ganz positive Entwicklung. Viele Themen, über die vor einigen Jahren nicht laut geredet wurde, sind jetzt – vielleicht durch Social Media – stärker in den Massenmedien vertreten. Die Ein­wan­de­r*in­nen der 3. oder 4. Generation sind besser ausgebildet und dadurch mündiger geworden. Auch in der Literatur, im Theater, in der Kunst ist die kulturelle Vielfalt größer geworden. Es ist keine schnelle und noch nicht optimale Entwicklung, aber es ist eine Entwicklung.

Sidar Kurt: Die Definition von Migration hat sich verändert. In einem Bilder-Wörterbuch könnte unter dem Begriff „Gastarbeiter“ jetzt ein Bild zu sehen sein, auf dem ein Gastarbeiter ein Foto von Serkan und mir in der Hand hält, wie wir hier am Lichthof-Theater ­arbeiten.

31, wurde in einer kurdischen Familie in Istanbul geboren. Der Dichter, Performer, Theater- und Filmautor lebt und schreibt seit zwei Jahren in Hamburg.

Warum gehen Sie diese Themen gerade jetzt an?

Salihoglu: Nach 20 Jahren Merkel-Regierung befindet sich Deutschland an einem Punkt, wo es sich entscheiden kann, in welche Richtung es gehen will. Ob man sich als eine vielfältige, offene Gesellschaft bezeichnen oder ob man zurück in die Vergangenheit gehen will. Dass die Jugendlichen jetzt das Wort ergreifen, sei es durch Fridays for Future oder Black Lives Matter, ist wichtiger denn je.

Arbeiten Sie deshalb mit jungen Migrant*innen?

Salihoglu: Ja, wir haben nach neuen Perspektiven auf das Thema „Migration“ gesucht. Wir wollten mit jungen Menschen – unsere Teil­neh­me­r*in­nen sind zwischen 16 und 24 – darüber reden, und ihnen zuhören, wie sie sich fühlen, wie sie ihre Situation beschreiben und wie ihre Zukunftsperspektive aussieht. Die anstehenden Bundestagswahlen sind der Ausgangspunkt. Wenn man darüber redet, kommt man schnell zu Fragen wie: Was ist Deutschland? Was heißt es, ein Deutscher zu sein? Daraus ergeben sich Gespräche über Identität, Passproblematik, Diskriminierung, Rassismus.

Wie sind Sie auf die sechs Mitwirkenden gekommen?

Salihoglu: Wir haben eine Ausschreibung gemacht und mit den Leuten, die sich beworben haben, viele Gespräche geführt.

Kurt: Dabei war die Frage zentral: Wie kann man an einer Gesellschaft teilhaben, obwohl man nicht dieselben Rechte hat wie alle anderen?

Was genau verbirgt sich hinter dem Titel „Citizenpark“?

Kurt: Er bezieht sich auf den Park als einen offenen Ort, an dem es keine Restriktionen gibt.

Salihoglu: Im Stück heißt es: „Wenn sie uns nicht hören wollen da draußen in ihren öffentlichen Gebäuden, werden wir unseren eigenen Freiraum schaffen in unserem Park.“

„Citizenpark“.

Premiere: Fr, 3. 9., 20.15 Uhr, Hamburg, Lichthof-Theater. Weitere Vorstellungen: Sa, 4. 9., 20.15 Uhr; So, 5. 9., 18 Uhr; Do–Sa, 23.–25. 9., jeweils 20.15 Uhr; So, 26. 9., 16 Uhr

www.lichthof-theater.de/programm/citizenpark-3

Was finden Sie an der Arbeit mit Nicht-Profis reizvoll?

Salihoglu: Die Authentizität. Wir wollen Menschen begegnen, denen normalerweise niemand eine Frage stellen würde. Deswegen finde ich es wichtig, was sie auf der Bühne zu sagen haben, aber vor allem auch, dass sie überhaupt auf einer Bühne sichtbar werden. Unsere Mitwirkenden sind in der Ukraine, in Frankreich, in Marokko, in Syrien, in Vietnam und in Deutschland geboren. Und wenn wir über Demokratie reden, haben alle einen anderen Begriff davon. Alle lernen voneinander. Das war eigentlich das Hauptziel des Projekts. Für mich sind jetzt schon 90 Prozent meiner Ziele erfüllt.

Sie brauchen das Publikum also nur für die restlichen 10 Prozent?

Salihoglu: Jetzt ist es an der Zeit, mit den Zu­schaue­r*in­nen ins Gespräch zu kommen. Es geht uns darum, dass wir bei den Aufführungen zusammensitzen und über unsere Zukunft diskutieren. Hoffnung zu verbreiten ist mir in meiner künstlerischen Arbeit sehr wichtig und dabei aber auch das Bewusstsein zu haben, dass wir nur in ganz kleinen Schritten vorankommen.

Wie erarbeiten Sie den Stücktext?

Kurt: Wir hatten am Anfang nur unser Konzept. Anschließend gab es verschiedene Workshops und Treffen, bei denen ich mit allen lange Gespräche geführt habe. Dabei wollte ich verstehen, was ihnen wichtig ist, und herausfinden, welche Perspektiven und Erfahrungen sie haben – in Bezug auf ihren Alltag, ihr Leben, ihre Meinung zu Demokratie. Daraus habe ich ein Skript geschrieben, das sich über den Probenzeitraum immer weiterentwickelt hat.

Aber irgendwann legt man den Text fest.

Kurt: Ja, aber für mich muss ein Text immer lebendig bleiben und sich verändern dürfen.

Woran liegt es, glauben Sie, dass es zwischen den verschiedenen Kulturen immer noch so wenige Berührungspunkte gibt?

Salihoglu: Es braucht keine Berührungspunkte. In einer Gesellschaft kann und darf einfach einiges anders sein. Man kann miteinander reden, aber es muss nicht alles gleich sein.

„Staging Democracy“ hieß die Produktion, mit der das Hamburger Lichthof-Theater seine „Bürger*innenbühne“ 2017/18 eröffnete.

Jährlich eine Produktion öffnet dort seither die Bühne für „echte Menschen“ oder auch „Expert*innen des Alltags“: Zusammen mit Profis erarbeiten sie neue Formate, „die uns alle angehen“ sollen.

Ein Rechercheprozess geht dem Proben und Spielen dabei voraus: In Diskussionen, Workshops, Ausflügen erarbeiten die Teilnehmenden die Inhalte – aus ihrem persönlichen Erleben und ihren eigenen Geschichten heraus.

Was ist dann Integration?

Salihoglu: Die Integration ist tot. Integration ist Assimilation. Wir brauchen unterschiedliche Menschen in einer Gesellschaft und den Respekt voreinander.

Kurt: Es geht vielmehr um Akzeptanz und Verständnis und darum, jeden Menschen als Individuum wahrnehmen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.