: „Das Glas ist halb voll“
Christian Bräuer von der AG Kino zur Lage der Kinos: Durch die Förderungen können Verluste ausgeglichen werden. Doch die je nach Bundesland unterschiedlichen Regelungen zur Belegung sind unübersichtlich
Von Andreas Hartmann
taz: Herr Bräuer, seit dem 1. Juli haben die meisten Kinos in Deutschland wieder geöffnet. Wie läuft der Neustart bislang?
Christian Bräuer: Den Umständen entsprechend gut, auch wenn man bei den aktuellen Auflagen und immer noch eingeschränkten Kapazitäten nicht wirtschaftlich arbeiten kann. Die Kinos, wie auch die anderen Kulturorte, erbringen aus meiner Sicht gerade einen Dienst an der Gemeinschaft, da gibt es überall sehr viel Engagement. Ich finde es toll zu sehen, wie viele sich gerade nicht entmutigen lassen und überlegen, wie sie trotz widriger Rahmenbedingungen Kultur anbieten können. Generell bin ich auch froh, dass endlich wieder über Filme geredet wird.
Und die Leute besuchen die Kinos auch?
Bundesweit hatten die Kinos im Juli fast das Dreifache an Besuchern als im selben Monat im Jahr zuvor. Im Vergleich zu 2019 waren es etwa 30 Prozent weniger Besucher, aber sogar mehr als im Juli 2018. Ich finde das schon sehr ordentlich, auch wenn man bedenkt, dass es in dem Monat auch ein paar sehr schöne Tage gab, an denen normalerweise die Kinos nicht so gut besucht sind.
Haben Sie das Gefühl, die Leute sind froh, endlich wieder ins Kino gehen zu dürfen?
Ich erinnere mich an eine Vorstellung in einem unserer Kinos in den ersten Tagen nach dem Neustart: Das Licht geht aus, der Vorhang auf, das Publikum applaudiert. Von ähnlichen Szenen wurde mir auch von anderen Kinobetreibern berichtet, davon, dass dem Personal sogar Blumen und Geschenke überreicht wurden.
Unter welchen Auflagen darf man denn aktuell ins Kino?
Das ist bundesweit unterschiedlich geregelt. In Berlin ist aktuell unter Beachtung der 3G-Nachweispflicht ein reduzierter Mindestabstand möglich. In Nordrhein-Westfalen können auf dieser Basis die Kinos voll belegt werden, auch die Kontaktverfolgung ist entfallen. In Bayern gilt dagegen weiterhin zusätzlich der Mindestabstand und Maskenpflicht auch am Sitzplatz. Andere Länder haben noch einmal andere Bestimmungen. Das ist nicht sehr verständlich und insgesamt sehr unübersichtlich.
Sind die Kinos deswegen so gut besucht, weil nach langer Pause und einem Filmstau gerade so viele interessante Filme in die Kinos drängen?
Dass wir derzeit ein sehr attraktives Programm anbieten können, hilft natürlich. Etwa die oscarprämierten Filme „Nomadland“ oder „Der Rausch“. Und es kommen jetzt nach und nach weitere Oscarpreisträger in die Kinos. Das sehr dichte Programm führt leider aber auch dazu, dass mancher gute Film etwas untergeht. Aber für das Publikum herrscht derzeit eine Luxussituation. Denn wer gerade ins Kino möchte, findet garantiert einen Film, der ihm oder ihr gut gefällt.
Die Kinos dürfen immer noch nicht ihre vollen Kapazitäten auslasten, weswegen sie auch weiterhin gefördert werden. Funktioniert das?
Die Förderungen sind, so nenne ich das immer, Schwimmflügelprogramme. Das heißt, wir können nicht untergehen, uns werden die Verluste ausgeglichen. Schwierig ist: Irgendwann müssen wir auch mal wieder wirklich Geld verdienen. Weil man vielleicht ein Darlehen zurückzahlen oder investieren muss. Wenn aktuell ein bestimmtes Kino gut läuft, führt das nur dazu, dass die Förderung etwas geringer wird. Je mehr Besucher ich habe, desto weniger Förderung bekomme ich. Wenn also die Kinobetreiber einen guten Job machen, können sich die Steuerzahler freuen, denn dann brauchen diese nicht so viel Geld vom Staat.
Schöner wäre es natürlich, wenn wir Kinobetreiber eine echte Anlaufhilfe bekämen, um in die Kinos zu investieren und im besten Falle auf Gewinne Steuern bezahlen. So wie das in anderen Wirtschaftszweigen, etwa bei den Apothekern oder Automobilkonzernen auch der Fall ist. Aber es ist leider so: Die Kunst ist da, um zu existieren und die anderen sind dazu da, Gewinne zu machen, diese Logik scheint zu gelten. Dabei wird selbst das kleinste Programmkino immer noch getragen vom persönlichen Risiko eines einzelnen Menschen. Und dem dann einen Unternehmerlohn zu gönnen, wäre doch auch schön.
Und wie blicken Sie in die nahe Zukunft? Die Corona-Pandemie ist ja wohl noch nicht vorbei.
Momentan würde ich sagen, das Glas ist halb voll und nicht halb leer. Aber es wird noch ein langer Weg vor uns liegen, wenn man bedenkt, dass Gesundheitsminister Jens Spahn jetzt schon sagt: Masken werden wohl noch bis zum nächsten Sommer getragen werden müssen. Das hieße dann auch, dass wir wohl noch bis zum nächsten Sommer Auflagen hätten. Unser Wunsch wäre aber natürlich, mit der 3G-Regelung die Kinos auch wieder voll auslasten zu dürfen. Vielleicht nicht dann, wenn die Inzidenzen erneut bei 200 oder 300 liegen sollten. Aber in Phasen mit niedrigen Infektionszahlen müsste es eigentlich einen Weg zurück zu mehr Normalität geben.
Und wenn die vierte Welle rollt, befürchten Sie dann, dass die Kinos noch einmal schließen müssten?
Dafür hätte ich kein Verständnis. Wir Kulturschaffenden mussten den letzten Lockdown akzeptieren, er war eine politische Entscheidung. Aber es wäre auch gegangen, ohne die Kultur dichtzumachen und ohne die Kinos zu schließen. Andere Länder haben das auch anders gehandhabt. Die haben teilweise die Kultur offen gelassen und hatten auch keine schlechteren oder besseren Zahlen als wir. Zudem ist inzwischen über die Hälfte der Bevölkerung bereits durchgeimpft, etwa zwei Drittel der Erwachsenen. Erkranken diese Menschen, führt dies aus heutiger Kenntnis trotzdem nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems. Und dies muss der Maßstab sein.
Der Kino-Herbst kann also kommen?
Mein Bauchgefühl sagt mir: Wir werden diesen Herbst und Winter geöffnet bleiben. Allerdings unter strengen 3G-Auflagen. Und falls es ganz schlimm werden sollte, werden vielleicht wieder etwas größere Abstände in den Kinosälen verlangt. Aber ich glaube und hoffe, dass ein weiterer Lockdown vermieden wird.
Christian Bräuer ist Vorstandsvorsitzender der AG Kino – der Gilde deutscher Filmtheater – & Geschäftsführer der Yorck-Kinogruppe, die in Berlin mehrere Programmkinos betreibt.
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