Musikfest-Chef über sinkende Gagen: „Es wird eine Umverteilung geben“

Thomas Albert rechnet damit, dass mit den Zuschauerzahlen auch die Gagen der Stars sinken werden. Daraus ergebe sich eine Chance für den Nachwuchs.

Flasche auf einem Sitz der Elbphilarmonie

Anblick auf Dauer: Im Konzertsaal (hier: der Elb­philharmonie) markieren Flaschen erlaubte Plätze Foto: Markus Scholz/dpa

taz: Herr Albert, wie überstehen klassische MusikerInnen die Pandemie?

Thomas Albert: Um die fest angestellten OrchestermusikerInnen mache ich mir wenig Sorgen. Mein Augen­merk liegt auf den freien MusikerInnen und Ensembles. Die ja meist die spannenderen Projekte machen, sie sind das Salz in der Suppe. Für sie hat es in Frankreich, Italien, Großbritannien recht früh ein staatliches Auffangnetz gegeben, um zumindest die Sub­stanz zu erhalten. Auch in Deutschland hat das, soweit ich weiß, schnell funktioniert. Sogar im Deutschen Bundestag zum Beispiel wurden – erstmals in dessen Geschichte – die Namen konkret gefährdeter freier Ensembles genannt. In der Folge hat dann auch Bremen ein Förderprogramm für musikalische Projekte aufgelegt. Überhaupt sind die MusikerInnen kreativ geworden, haben in Gottesdiensten gespielt, Online-Unterricht gegeben und Ähnliches. Sie haben diese Krise als Chance begriffen.

Redet man sich da nicht eine existenzbedrohende Situation schön?

Ich finde nicht. Ich glaube vielmehr, das ist das Überlebensgen des Menschen, zu sagen: Krempeln wir die Ärmel auf und schauen, welche Chancen es gibt. Wenn wir irgendwann mit dem Virus umzugehen gelernt haben, werden die Chancen gerade im Kulturbereich weit größer sein als bisher. Weil die Wertigkeit kultureller Projekte so viel höher eingestuft sein wird.

Woraus schließen Sie das?

Daraus, dass genau das im Bund passiert ist: dass auch jemand wie Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier verstanden hat, dass dieser Sektor wertvoll ist und unterstützt werden muss.

Zu Beginn der Pandemie spürte man wenig davon. Kultureinrichtungen wurden mit als erste geschlossen und ansonsten ignoriert.

Ja. Aber wo ein Tal ist, kommt auch wieder ein Berg. Viele KulturfunktionärInnen aus Musik- und Kulturrat sagen inzwischen: Da sind Themen aufgewertet worden. Bisher ist die Kulturlobby immer gegen Wände angerannt, das heißt gegen die Finanz-Verantwortlichen in Bund und Ländern. Und plötzlich ist das aufgeweicht, auf mehreren Ebenen.

Inwiefern?

Unabhängig davon, dass dann Geld geflossen ist, haben PolitikerInnen angefangen, sich positiver über Kultur zu äußern und überhaupt erstmals deren Notwendigkeit zu begreifen. Das ist ein neuer, positiver Ausgangspunkt für künftige Debatten über die Förderung von Kultur.

68, Violinist und bis 2018 Professor für Barockvioline an der Bremer Hochschule für Künste, rief 1989 das Musikfest Bremen ins Leben, das er seitdem leitet. Das 32. Musikfest beginnt am 28.8.2021.

Trotzdem galten für das Konzert- und Museumspublikum lange genauso strenge Auflagen wie für ausgelassene Fußballfans.

Das stimmt, aber inzwischen hat sich doch alles geändert. Durch die öffentliche Debatte haben sich Verhärtungen gelockert, es gibt mehr Verständnis füreinander. Ich sage ja nicht, dass alles schon optimal ist. Wir sind mitten im Prozess. Entscheidend ist aber, dass wir durch die Impfungen jetzt ein Stück weiter sind und gerade neue Regeln für ein Miteinander aushandeln. Denn wie Frau Rabl-Stadler, Präsidentin der Salzburger Festpiele, in diesem Jahr vor jedem Konzert zum Publikum sagt: „Wir sind dankbar, dass die Festspiele stattfinden können. Wir tun unser Möglichstes, um das gut zu machen. Aber wir brauchen Ihre Mithilfe und Unterstützung.“

Sie meinte nichts Finanzielles.

Nein. Es ging um das Verhalten: dass man Abstand hält und im Foyer auch als Geimpfter nicht alle umarmt. Denn es wäre ein Fehler, sich so zu verhalten, als gäbe es kein Corona, nur weil man ein paar Schritte weiter ist. Im Gegenteil: Wenn wir auf diesem Planeten mit dem Virus umgehen wollen, müssen wir einen Codex entwickeln, der gemeinsame Veranstaltungen und künstlerische Prozesse weiter möglich macht. Da geht es ganz schlicht um Artikel 1 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen – ausdrücklich auch die des Mitmenschen. Und wer den Codex nicht einhalten will, kann eben nicht teilnehmen.

Welche Regeln haben Sie für das anstehende Bremer Musikfest aufgestellt?

Zunächst die üblichen: tägliches Testen aller im Team, Abstand, 3G …

… also die Erfordernis, vollständig geimpft zu sein, nachweislich genesen oder zumindest frisch negativ getestet …

… Kontaktverfolgung, nur circaein Drittel der BesucherInnen im Saal. Außerdem haben wir die Eröffnungsnacht modifiziert: Normalerweise bewegen sich da 4.000 BesucherInnen gleichzeitig zwischen neun Konzertorten hin und her, Tausende flanieren durch die illuminierte Innenstadt, stehen dicht gedrängt auf dem Marktplatz. Diese Pulkbildung vermeiden wir diesmal: Erstens sind es ohnehin weniger BesucherInnen. Zweitens haben wir Zeiten und Orte der Konzerte sowie die Wegführung so gestaltet, dass immer nur zwei BesucherInnen-Cluster gleichzeitig unterwegs sind, zwischen zwei weit entfernten Orten, sodass sich nicht alles am Markt ballt. Zudem haben wir schlecht belüftbare Spielstätten wie das historische Rathaus und den Schütting herausgenommen.

Weniger Publikum bedeutet weniger Einnahmen. Wie rechnet sich das?

Es gibt zwar keine Ausfallgarantie, aber wenn man sich rechtzeitig bewirbt und die ungefähren coronabedingten Einbußen angibt, springt der Bund ein.

Reduzieren sich auch die KünstlerInnengagen?

Ja. Wir sagen in den Honorarverhandlungen sehr klar: Einerseits wollt und sollt ihr auftreten. Andererseits haben wir in diesem Jahr nur ein Drittel des Publikums im Saal. Da sind wir wieder an diesem Solidaritätspunkt: Bis auf einen Fall, wo ich nicht ganz das Verständnis fand, das ich mir gewünscht hätte, hat sich keiner gegen ein geringeres Honorar gewehrt.

Wird das so bleiben? Halb leere Säle wird es wohl noch eine ganze Weile geben.

Das ist ein wichtiger Punkt: Die Honorarvorstellungen sind, geschürt durch Faktoren wie Plattenindustrie und Vermarktungskampagnen, zum Teil in schwindelerregende Höhen geraten. Aber fast alle KünstlerInnen verstehen: Wenn das Schiff weiterfahren soll, müssen wir uns auf ein neues „Betriebssystem“ verständigen.

Könnten die Honorare dauerhaft schrumpfen?

Ich denke, dass diese Frage nicht ausbleiben wird. Es gibt zwar noch Menschen, die glauben, dass alles so wird wie früher. Aber auch das kulturelle Leben wird sich ändern durch Corona. Wie das Danach aussieht, ist ungewiss.

Wird das sinkende Gagenniveau unbekannte MusikerInnen nicht härter treffen als die Stars?

Ich denke eher an eine Umverteilung. Es gibt etliche NachwuchsmusikerInnen, die für weit weniger Geld hervorragende Leistungen bringen. Sie bekommen dann vielleicht ihre Chance. Der Markt wird sich regulieren.

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