Separatismus in Nigeria: In Biafra wächst die Unruhe

Nicht alle Angehörigen der Igbo in Nigerias Biafra-Region wollen die Unabhängigkeit. Ein paramilitärischer Arm der Bewegung kämpft trotzdem dafür.

Nnamdi Kanu

Nnamdi Kanu von der Bewegung Indigene Menschen für Biafra stand bereits 2016 in Abuja vor Gericht Foto: Afolabi Sotunde/reuters

COTONOU taz | Prince Emmanuel Kanu geht nach dem fünften Klingeln an sein Handy. Er ist der jüngere Bruder von Nnamdi Kanu, Führungsfigur der Bewegung Indigene Menschen für Biafra (Ipob). Die wird von Nigerias Regierung als Terrorgruppe eingestuft, und Nnamdi Kanu sitzt wieder einmal in Haft.

Sein Verfahren soll am 21. Oktober beginnen. Die Anklagepunkte lauten: Terrorismus, Verrat, Führung eines illegalen Unternehmens, Veröffentlichung von diffamierendem Material und illegaler Waffenbesitz. Sein Bruder sagt jedoch: „Für uns gibt es kein Verfahren. Es ist unklar, wie er verhaftet und nach Nigeria gebracht worden ist. Es gibt doch internationale Gesetze.“

Nach Informationen von Justizminister Abubakar Malami sei Kanu mithilfe von Interpol festgenommen worden, möglicherweise in Äthiopien, Kenia oder den Niederlanden. „Nnamdi Kanu hat kein Verbrechen begangen“, entgegnet sein Bruder. Für Ipob-Anhänger*innen ist Nnamdi Kanu ein Held und eine charismatische Führungsfigur. Für andere gilt er als gefährlicher Agitator, der Massen aufwiegeln kann.

Ipob war 2014 aus der Bewegung zur Erreichung des souveränen Staates Biafra (Massob) entstanden, die in den späten 1990er Jahren gegründet worden war. Ziel ist es, aus dem Südosten Nigerias einen unabhängigen Staat Biafra zu machen. Zahlen darüber, wie viele Menschen das tatsächlich unterstützen, gibt es allerdings nicht. Das war bereits während des Bürgerkriegs von 1967 bis 1970, bei dem bis zu zwei Millionen Menschen ums Leben gekommen waren, nicht geglückt.

Gewalt vor allem von staatlicher Seite

Neuerliche Separatismusforderungen will Nigerias Regierung mit aller Macht unterbinden. Bisher war Gewalt überwiegend von staatlichen Sicherheitskräften ausgegangen.

Seit Dezember 2020 hat Ipob mit dem Sicherheitsnetzwerk des Ostens (ESN) einen paramilitärischen Arm. Nach Angaben der Polizei haben ESN-Kämpfer*innen allein im Bundesstaat Imo innerhalb von drei Monaten 21 Po­li­zis­t*in­nen getötet. Im April machte die Regierung ESN dafür verantwortlich, mehr als 1.800 Häftlinge aus dem Gefängnis in Owerri befreit zu haben. Nach Einschätzung der außenpolitischen US-Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR) hat es von Januar bis März im Südosten 54 Attacken mit 222 Toten gegeben; eine Steigerung um 59 Prozent im Vergleich zu den Monaten September bis November 2020.

Prince Emmanuel Kanu hält dagegen: „ESN wurde geschaffen, um Farmland vor den Fulani zu schützen.“ Der Ressourcenkonflikt um Weideflächen und Äcker hat sich längst in Richtung Süden ausgebreitet. Meist werden die Fulani, die Viehhirten, als Angreifer und Täter präsentiert. Aufgearbeitet werden die Konflikte allerdings nicht.

Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) ist allerdings der Staat weiterhin für die Mehrheit der Gewalttaten verantwortlich. Demnach haben Sicherheitskräfte zwischen März und Juni mindestens 115 Menschen ermordet; mehr als 500 wurden verhaftet. „Unsere gesammelten Beweise zeichnen ein vernichtendes Bild rücksichtsloser exzessiver Gewalt“, sagt die Leiterin des Landes­büros, Osai Ojigho. Die Menschen würden misshandelt, ohne Haftbefehl eingesperrt und erpresst. Auch komme es zu Hinrichtungen ohne Anklage und Verfahren.

Nicht alle wollen ein unabhängiges Biafra

„Die Sicherheitslage hat sich sehr verschlechtert“, sagt Zulu Ofoelue von der Bewegung für Biaf­ra­ne­r*in­nen in Nigeria (Mobin). Der Staat nutze seine Macht, unterdrücke Meinungen und militarisiere die Region. „Je mehr Gewalt die Sicherheitskräfte anwenden, desto mehr Menschen schließen sich den Se­pa­ra­tis­t*in­nen an,“ sagt Ofoelue.

Aktivist Zulu Ofoelue

„Ein Dialog muss her. Man muss uns zuhören“

Auswirkungen hat das auch auf das angrenzende Nigerdelta, sagt Tunji Idowu, stellvertretender Direktor der 2010 gegründeten Stiftung für Partnerschaftsinitiativen im Nigerdelta (Pind). Die Stiftung sammelt Daten zu den Konflikten in der Region, hat ein Frühwarnsystem eingerichtet und will mit verschiedenen Programmen vor allem die lokale Wirtschaft stärken. „Frieden und wirtschaftliche Entwicklung gehören zusammen“, sagt Idowu.

Bereits seit 2018 habe die Gewalt in der Region zugenommen. ESN sei nun als neuer Akteur hinzugekommen. Schließlich würden auch in Bundesstaaten wie Rivers und Abia zahlreiche Igbos leben. Dennoch fühlen sich viele Menschen im Nigerdelta nicht Biafra zugehörig und lehnen einen eigenen Staat ab.

Aktiv im Nigerdelta, Nigerias Ölregion, sind auch die „Rächer des Nigerdeltas“ (NDA), die unter anderem Gas- und Ölleitungen zerstören. Banditen begehen Überfälle. Kommunen streiten um Zugang zu Wasserstellen. „Besonders betroffen sind Frauen, Kinder und ältere Menschen“, sagt Idowu. Die unsichere Lage wirkt sich auf die Wirtschaft aus. „Banken sind geschlossen, und Investoren wollen nicht investieren.“ Auch habe der Staat sein Gewaltmonopol verloren. „Dieses Vakuum füllen nun andere Akteure, und die Bevölkerung verliert das Vertrauen weiter.“

In Enugu hat Aktivist Zulu Ofoelue eine Botschaft an die Regierung, wie diese das Vertrauen der Menschen im Südosten zurückgewinnen kann: „Ein Dialog muss her. Man muss uns zuhören.“ Ofoelue wünscht sich mehr Selbstbestimmung bei Gesetzen und wirtschaftlichen Aspekten. Auf die Frage, ob auch er einen eigenen Staat will, schüttelt er den Kopf. „Wir Igbos sind doch als Händler schon überall. Wir profitieren mehr von einem großen Gebilde als von einem eigenen Staat.“

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