Berlin und afghanische Geflüchtete: Signalwirkung reicht nicht

Berlin hat ein Landesaufnahmeprogramm für gefährdete Af­gha­n*in­nen beschlossen – leider kommt das aber ziemlich spät.

Afghanische Geflüchtete protestieren am 14. August vor dem Brandenburger Tor gegen die Taliban Foto: dpa

Um dieses Thema kam man vergangene Woche wirklich nicht herum: Afghanistan. Vor einer Woche zeichnete sich ab, dass die Taliban als nahezu letzte Region die Hauptstadt Kabul einnehmen würden, am vergangenen Sonntag war es so weit. Dramatische Bilder gingen um die Welt: Menschen, die sich verzweifelt an ein startendes US-Flugzeug klammern oder von einem fliegenden Flugzeug stürzen.

Dass die Bundesregierung einige dieser Menschen, zunächst nur die sogenannten Ortskräfte, evakuieren wollte, schwang dabei immer mit. Im Juni hatte sie ein Ortskräfteprogramm beschlossen, aber dabei versagt, es umzusetzen, als noch Zeit dafür war.

Seit Anfang der Woche ist es nun schier unmöglich, eine geordnete Evakuierung zu organisieren. Die Menschen werden von den Taliban kaum zum Flughafen durchgelassen. Da ist es zwar ein wichtiges Signal, dass der Berliner Senat am Dienstag ein Landesaufnahmeprogramm beschlossen hat, über das nicht nur ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr kommen sollen, sondern auch gefährdete Personen wie Frau­en­recht­le­r*in­nen und Journalist*innen. Auch Brandenburg will Af­gha­n*in­nen aufnehmen.

Doch es kommt zu spät. Und es wirkt seltsam hilflos, wenn Senatssprecher Julian Mieth davon redet, dass das in den nächsten Monaten geschehen solle. Menschen, die nicht schon in Afghanistans Nachbarländer geflüchtet sind, wird das Programm dann wohl kaum helfen können. Denn ob in einigen Monaten Af­gha­n*in­nen noch aus dem Land kommen – fraglich.

Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass gerade die SPD sich mit Geflüchteten aus Afghanistan nicht immer so solidarisch zeigte

Angesichts dessen, „was in Afghanistan geschieht“, das, so der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) „niemanden unberührt lassen“ könne, kann der Senat jetzt kaum anderes beschließen – zumindest, wenn er sich noch als sozialdemokratisch oder links begreifen will. Die Vergangenheit zeigt jedoch, dass gerade die SPD sich mit Geflüchteten aus Afghanistan nicht immer so solidarisch zeigte.

Man denke etwa an Äußerungen der Berliner SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey: Noch vor sechs Wochen sprach sie davon, dass man Ge­fähr­de­r*in­nen und Straf­tä­te­r*in­nen aus Afghanistan abschieben müsse. Was damals schon pures Fischen am Law-and-order-Rand war, strategisch geäußert in der Bild am Sonntag, wirkt im Rückblick umso untragbarer. Berlin hat noch in diesem Jahr drei Menschen nach Afghanistan abgeschoben, Brandenburg im April gleich 20 auf einmal. Mit Blick auf die Statements der letzten Woche drängt sich da ein Vorwurf auf: Heuchelei.

Für die afghanische Diaspora hierzulande ist die Situation ohnehin doppelt belastend: Sie muss mit ansehen, was in dem Land passiert, und fast alle haben noch Verwandte dort. Daran sind auch die Regelungen zum Familiennachzug Schuld. Nur minderjährige Kinder und Ehepartner dürfen nachgeholt werden; Eltern und Geschwister nicht. Vielen geflüchteten Af­gha­n*in­nen wurde in den vergangenen Jahren gar nicht erst der Status erteilt, der sie zum Familiennachzug berechtigt. Nur rund 40 Prozent bekommen überhaupt einen geschützten Asylstatus.

Nicht umsonst kritisiert der Verband der afghanischen Organisationen in Deutschland, dass Af­gha­n*in­nen in Europa schon lange wie Geflüchtete zweiter Klasse behandelt würden. Vielleicht ändert die aktuelle Aufmerksamkeit für das Land daran etwas – wenn sie denn anhält.

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