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Rette sich,wer kann

Die Klimaziele des Paris-Abkommens einzuhalten, ist laut dem Klimarat IPCC schwierig, weil politisch nicht gehandelt wird. Der Klimawandel zeigt sich mittlerweile überall auf der Welt

Kann man die Katastrophe noch eindämmen? Das Dorf Gouves auf der griechischen Insel Euböa am 8. August 2021 Foto: Kostaninos Tsakalidis/Bloomberg/getty images

Von Susanne Schwarz

Hitzewellen, Stark­regen, Dürren, Fluten, Brände: Die Wetterlage zeigt seit Wochen, was Kli­ma­wis­sen­schaft­le­r:in­nen nun im ersten Aufschlag zum 6. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC schreiben. Veränderungen im Klima sind demnach jetzt schon in allen Regionen der Erde zu beobachten. Teilweise seien schon Prozesse angestoßen, die über Jahrhunderte oder gar Jahrtausende nicht mehr rückgängig zu machen sind.

Ohne eine massive Reduktion der Treibhausgase liegt es laut dem Bericht außer Reichweite, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen – oder auch nur auf 2 Grad. Dabei haben fast 200 Regierungen der Welt mit dem Paris-Abkommen 2015 genau das versprochen: den Erhitzungsstopp bei deutlich unter 2 Grad und möglichst sogar bei 1,5 Grad. Mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad drohen krassere Folgen durch die Erderhitzung, die auch Ernährung und physische Sicherheit der Weltbevölkerung gefährden.

Fünf beispielhafte Szenarien zur Entwicklung der globalen Emissionen stellt der IPCC auf. Nur in einem wird die 1,5-Grad-Schwelle bis zum Ende des Jahrhunderts nicht geknackt. Das Szenario enthält einen straffen Zeitplan für den Klimaschutz: Noch innerhalb dieses Jahrzehnts halbieren sich danach die Emissionen, im Jahr 2050 folgt die Klimaneutralität.

Ob das gelingt, ist höchst fraglich: Selbst dann müssten der Atmosphäre noch Unmengen an alten Emissionen wieder entzogen werden. Technologien, die die Wälder, Moore und Böden bei dieser Aufgabe unterstützen können, sind nämlich noch nicht im großen Stil einsatzbereit und gelten als riskant. Wie realistisch das Szenario ist, dazu macht der Bericht keine Aussage.

Warnsignal im heutigen Bericht sind auch die erstmals enthaltenen Angaben dazu, wie schnell sich wirksamer Klimaschutz bemerkbar machen würde. Das Klima reagiert verzögert. Nebeneffekte wie eine verbesserte Luftqualität durch weniger Kohleschlote und Auspuffe gäbe es recht schnell. Die globale Durchschnittstemperatur würde sich aber erst nach rund 20 Jahren stabilisieren.

Regierungen müssen laut IPCC also jetzt Entscheidungen treffen, deren positive Wirkung in vielen Fällen erst mehrere Legislaturperioden später sichtbar wird. „Wir übernehmen die Verantwortung für viele, viele Generationen“, sagt die Klimaforscherin Veronika Eyring vom Institut für Physik der Atmosphäre des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, die koordinierende Leitautorin in einem Kapitel des Berichts war.

Der Weltklimarat sammelt regelmäßig den aktuellen Kenntnisstand der Klimaforschung. Hunderte Wis­sen­schaft­le­r:in­nen sichten dafür alle relevanten Studien und stellen fest, was sichere Erkenntnisse sind und wo noch Forschungsbedarf besteht. Der letzte Sachstandsbericht erschien vor 8 Jahren. Seitdem ist die Erde im Schnitt um 0,3 Grad Celsius heißer geworden. Die Menschheit hat die Atmosphäre außerdem jährlich mit weiteren 50 Milliarden Tonnen CO2 belastet. Insgesamt hat sie den Planeten damit laut Bericht schon um 1,1 Grad aufgeheizt. Schon deshalb zeigt sich in dem neuen Bericht eine verschärfte Lage.

„Neu ist, dass wir jetzt viel mehr auf den menschlichen Einfluss zurückführen können“, sagt Eyring. Ihr Kapitel hat sich damit befasst, wo im Klima der menschliche Fingerabdruck nachweislich ist. Es ist grundsätzlich immer zu beachten: Das Klima hat auch eine natürliche Variabilität. Das einwandfrei von dem Einfluss der Treibhausgase zu trennen, die die fossile Wirtschaft und damit der Mensch in die Atmosphäre schießt, beschäftigt die Wissenschaft – auch wenn natürlich schon lange klar ist, dass es diesen Einfluss gibt.

„Wir haben zum ersten Mal Evidenz, dass Extremereignisse sich überall auf der Welt verändert haben und dass der Klimawandel in vielen Fällen eine Ursache dieser Veränderungen ist – und bei Hitzewellen die dominante Ursache“, sagte die Physikerin Friederike Otto von der Universität Oxford, im aktuellen Bericht Leitautorin des Kapitels über Extremwetter.

„Wir haben den Realitätscheck geliefert“, meint Eyring. „Wir sehen, die globale Erwärmung liegt schon bei 1,1 Grad, wir sind nicht mehr weit vom 1,5 Grad-Ziel entfernt – der Bericht belegt eindeutig die Dringlichkeit des Handelns.“

Eigentlich kann keine Regierung behaupten, den Inhalt des Berichts nicht zu kennen. Bei den IPCC-Berichten gibt es nämlich immer eine Zusammenfassung für Entscheidungsträger:innen. Deren Wortlaut handeln die Wis­sen­schaft­le­r:in­nen Zeile für Zeile mit Ver­tre­te­r:in­nen der fast 200 Staaten des Pariser Klimaabkommens aus.

Keine Regierung kann behaupten, den Inhalt des Berichts nicht zu kennen

Das hat dem IPCC auch schon den Vorwurf eingebracht, zu politisch zu sein. Die eigentlichen Ergebnisse und auch die Formulierungen in der Langfassung des Berichts werden aber nicht mehr angerührt. Die Hoffnung: dass die Zusammenfassung auf diese Art eine Sprache bekommt, die die Politik auch versteht.

In der Klimawissenschaft gibt es aber auch Stimmen, die Zweifel daran äußern, dass die Regierungen für die präzisierten Erkenntnisse empfänglich sind. Die Kernanforderung an die Politik, dass also die Emissionen drastisch sinken müssen, ist schließlich lange bekannt. Man hätte längst handeln können. „Im Wesentlichen bestätigt der Bericht die Aussagen der vorangehenden Berichte“, sagt der Ozeanograf Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel. „Das zeigt, dass die Wissenschaft schon vor 30 Jahren die wesentlichen Entwicklungen korrekt vorhergesagt hat.“

Er fasst die neuen Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Die Menschheit ist dabei, den klimatischen Wohlfühlbereich zu verlassen, den sie über die letzten Jahrtausende genießen durfte.“ Selbst für das 2-Grad-Ziel seien die nötigen politischen Entscheidungen nicht in Sicht.

Der Atmosphärenforscher Andrew Dessler, Professor an der US-amerikanischen Texas A&M University, veröffentlichte auf Twitter eine eigene, satirische Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger:innen: „Hallo Arschlöcher. Wir haben euch Jahrzehnte erzählt, dass das passieren würde, wenn nicht die Treibhausgasemissionen sinken. Ihr habt nicht zugehört und jetzt passiert es alles. Hoffentlich seid ihr glücklich. Genießt Hitzewellen, Starkregen, Meeresspiegelanstieg, Ozeanversauerung und noch viel mehr, ihr verdammten Idioten.“

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