Wenn die Resonanz fehlt
Was macht die Kunst? Die Berliner Maler Johannes Mundinger und Daniel Hahn fragten ihre Kolleg*innen, wie sich die Pandemie auf sie auswirkte. Die Antworten ergaben ein Buch
Von Beate Scheder
Im Februar 2020, noch bevor irgendwer in Europa Covid-19 ernst nahm, reisten die beiden Berliner Maler Johannes Mundinger und Daniel Hahn nach Südkorea, um dort ihre Kunst auszustellen. So war zumindest der Plan, es kam aus bekannten Gründen anders. Schon die erste Ausstellung konnten nur wenige besuchen, bei der zweiten wirkte bereits bei der Eröffnung ein Lockdown. In Korea hätten sie schon eine Vorschau darauf bekommen, was sich in der darauffolgenden Zeit in Berlin abgespielt habe. So erzählt es Mundinger anderthalb Jahre später im Weddinger Projektraum gr_und. Dort haben Hahn und er Mitte August eine Ausstellung eröffnet. Sie begleitet die Veröffentlichung eines Buches, das die beiden herausgebracht haben. „Nothing’s gonna change my world?“ – wie im Beatles-Song, nur mit Fragezeichen – lautet der Titel von beidem, denn darum geht es: Was sich ändert und geändert hat durch Corona bei den Künstlerinnen und Künstlern und in der Kunstwelt.
Vier Fragen haben Mundinger und Hahn dazu formuliert und diese im Frühling diesen Jahres über 250 Kolleg*innen gestellt. Rund 230 antworteten, nachzulesen sind deren Einschätzungen im Buch. Ausgewählte Zitate hängen in der Ausstellung an der Wand und sind aus schmalen Lautsprecherboxen zu hören.
Doch zurück in den März 2020: Da hatten Mundinger und Hahn nach ihren Erfahrungen in Korea schon früh die Idee, ein Onlinearchiv zu gründen, eine Website, auf der Künstlerinnen und Künstler all die Ausstellungen und Projekte einstellen konnten, die geschlossen wurden, verschoben oder gleich ganz abgesagt. Raum www nannten sie diese. Wie auf einer digitalen Landkarte kann man darauf rein- und rauszoomen. Bilder zu den abgesagten Veranstaltungen erscheinen dann, mit Informationen zum anklicken. Größere und kleinere Projekte sind dabei, von etablierteren und weniger bekannten Künstler*innen. Ungeordnet stehen sie neben- und übereinander. Raum www wollte von Anfang an sein, was die Kunstwelt nie war, hierarchiefrei nämlich. Als wieder mehr möglich war und zwischenzeitlich weniger abgesagt oder verschoben wurde, organisierten Mundinger und Hahn außerdem kleine Ausstellungen zunächst in einem Park, im ersten Coronaherbst sogar in einer Galerie, dann im Schaufenster eines Projektraums und schließlich eine Wanderausstellung für private Haushalte.
Das Onlinearchiv aber blieb bestehen. Eben die gut 250 Künstler*innen, die dieses seit dem März 2020 bestückten, waren es dann auch, die Mundinger und Hahn für das Buch befragten und die teils recht ausführlich erzählen, wie es ihnen ergangen ist. Eindrücklich schildert etwa die Bildhauerin Lotta Bartoschewski die Zwangslage, in die sie kam, als sie mit einem Mal tagsüber mit der Betreuung ihres Kindes beschäftigt war, ihren Brotjob in Nachtschichten erledigen musste und keine Zeit mehr für die Kunst fand. Sehr an ihre Grenzen gestoßen sei sie, weil sie einen wahnsinnigen finanziellen Druck gespürt habe. Erleichterung verschaffte ihr schließlich eine Förderung des Kunstfonds.
Es ist ein typischer Fall, doch es gibt auch andere. Künstler*innen ohne Kinder, von denen manche, wie sie erklären, endlich mehr Ruhe für ihre Praxis fanden. Andere wiederum empfanden die ereignisarme Zeit als wenig förderlich: „Ohne Resonanz passiert bei mir nichts. Die Arbeit im Atelier ist nur ein Teil des künstlerischen Prozesses. Mein System hakt“, so bringt es Björn Streeck auf den Punkt.
Ähnlich divers fallen auch die Antworten auf die Frage nach den Auswirkungen auf die Rolle der Kunst in der Gesellschaft aus. Aus einigen spricht pure Enttäuschung. Eine hoffnungsvollere Sicht vertritt die Malerin Friederike Feldmann. Sie hoffe, dass die Kunst in Zukunft widerständiger und ihre Freiräume und Besonderheiten wieder selbstbewusster behaupten werde: „Ich hoffe, dass die Kunst weniger auf Sinn und Zweck ausgerichtet sein wird, also mit anderen Worten: dass auch mal wieder richtig Unsinn gemacht wird“.
Insgesamt weniger negativ als gedacht, aber reichlich uneinheitlich fällt das Stimmungsbild aus. Auch in der Kunst hat die Pandemie ganz offensichtlich nicht alle gleich getroffen, es gibt die, die womöglich sogar ganz gut verkauft haben – und andere, bei denen auf einmal alles wegbrach. Oder wieder andere wie Katya Quel Elizarva: „Luckily or not, I can say I was hardly affected, because I was always broke.“
Die Antworten auf Mundingers und Hahns Fragen haben nicht nur mit der Pandemie zu tun. Dass es eingefahrene, recht ungesunde Strukturen sind, die den Kunstbetrieb dominieren, ist keine Neuigkeit. Während des ersten Lockdowns hatte die Debatte darüber, was sich ändern müsse, an Fahrt gewonnen. Im Jahr Zwei nach Ausbruch von Corona erscheint die Stimmung eher ernüchtert. War da was? Am Ende behält vielleicht ja doch Clemens Behr Recht. Seine Antwort auf die Fragen: „Ich denke, es wird alles wieder wie vorher.“
Ausstellung bis 5. September gr_und, Buch erschienen bei Offset Druck Berlin, 276 S., 20 Euro