piwik no script img

Japans dezente FreundlichkeitMentalität des Hegens und Pflegens

Omotenashi ist ein Prinzip des Umgangs, das alle Bereiche des japanischen Lebens durchdringt – und nicht immer offensichtlich ist.

Freundliches Desinfizieren: Omotenashi hilft auch bei der Hygiene Foto: Christophe Ena/ap

A ls die Stadt Tokio während der letzten Vergaberunde in Buenos Aires 2013 um den Zuschlag für die aktuellen Spiele kämpfte, strich die damalige Botschafterin des Bewerbungskomitees, die französisch-japanische TV-Moderatorin Christel Takigawa, die landeseigene Tradition der Gastfreundschaft heraus.

An ihre fröhliche Rede auf Französisch, in der sie den japanischen Ausdruck „O-mo-te-na-shi“ zum besseren Verständnis der Nichtjapaner extra langsam aussprach und jede einzelne Silbe mit einer Handbewegung begleitete, erinnert sich das halbe Land bis heute. Die meisten Reiseführer übersetzen Omotenashi als „Gastfreundschaft“.

Doch das kulturelle Konzept reicht tiefer, bis zu den Ursprüngen der Teezeremonie im Mittelalter, und es bestimmt die prinzipielle Beziehung zwischen Gast und Gastgeber sowie zwischen Kunde und Dienstleister in Japan. Omotenashi meint einen qualitativ hochwertigen Service, der die Erwartungen der Kunden nicht nur vorausahnt, sondern gar übertrifft.

Unauffälliger Premiumservice

Neben der üblichen Freundlichkeit und Rücksichtnahme zeigt sich Omotenashi in durchdachten Details, die den Beteiligten erst bei genauerem Hinschauen auffallen: Zum Beispiel kommt das Stofftuch zum Händereinigen, das ein Restaurant dem Gast nach dem Hinsetzen als Erstes reicht, im kalten Winter angewärmt und im heißen Sommer gekühlt. Oder die Banken stellen neben jeden Geldautomaten einen Ständer, falls der Kunde gerade einen nassen Schirm mit sich trägt. Dieser unauffällige Premiumservice macht den Aufenthalt in Japan sehr angenehm. Dort sagt man nicht „Der Kunde ist König“, sondern „Der Kunde ist Gott“ und lebt diesen Gedanken. Die Zuwendung wirkt selten gespielt.

Daher haben der Verzicht auf ausländische Zuschauer und die Beschränkung des Olympia-trosses auf Unterkünfte und Wettkampfstätten ohne Kontakt zu Land und Leuten die japanischen Veranstalter hart getroffen. Denn ihr damaliges Versprechen, die Gäste während ihres Aufenthaltes perfekt zu umsorgen, können sie nur eingeschränkt umsetzen.

Doch an einigen Stellen schimmern ihre Serviceanstrengungen durch: Die aus festem Karton gebauten Betten im Olympia-Dorf lassen sich zum Beispiel durch ein Extramodul für besonders hochgewachsene Sportlerinnen und Sportler ruckzuck verlängern. Und die sogenannten Washlet-Toi­letten in den Athletenunterkünften, die in japanischen Wohnungen schon lange Standard sind, besitzen eine Bidet- und Waschfunktion einschließlich Trockenföhn.

Auch die zahlreichen superfreundlichen Einweiser, die für den Geschmack von Ausländern manchmal unnötig zahlreich in der Gegend herumstehen, spiegeln diese Mentalität des Hegens und Pflegens wider. Übrigens: Die Gäste sollen Omotenashi als reine Selbstverständlichkeit erleben und genießen. Daher sind hierzulande weder ein Dankeschön noch ein Trinkgeld üblich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Martin Fritz
Auslandskorrespondent Japan/Südkorea
Volontariat beim NDR. War Hörfunk-Korrespondent in Berlin während der deutschen Einheit. Danach fünf Jahre als Südasien-Korrespondent in Neu-Delhi. Berichtet seit 2001 aus Tokio über Japan und beide Koreas.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Ach, die berühmte japanisache Höflichkeit. www.sueddeutsche.d...chrechte-1.5308245

  • Mal wieder wird eine fremde Kultur mit europäischer Brille nach europäischen Kriterien be/verurteilt.

    Omotenashi hat nichts mit Auroritätsglaube, Faschismus und dergleichen zu tun. Es ist das schlichte Mitdenken der Bedürfnisse Anderer, ein Jahrtausende altes Mindset, was wir uns im hyperindividualisierten Westen, wo jeder zuerst an sich, dann an sich, und zuletzt an sich denkt, noch nicht einmal mehr vorstellen können.

    Deshalb tragen Japaner Masken, auch ohne Pandemie.

    Deshalb sind japanische Autos, sogar die Kleinwagen, viel nutzerfreundlicher als deutsche Luxuskarossen. Da gab es schon Einparkhilfen, teilbare Rücksitzlehnen, Rundumkameras usw. serienmäßig 10 Jahre bevor es das bei uns als "Extra" für 4x so teure Autos gab.

    Dieses "Mitdenken" gibt es auch im Gartenbau: traditionelle japanische Gärtner nehmen die Gegebenheiten, wie z.B. alte Bäume und Felsen, und arbeiten sie in ihr Konzept ein. Europäer machen erst mal alles platt.

    Das System der Verbesserungsvorschläge in der Industrie gab es schon in Japan, als in Europa in den Fabriken noch Befehl und Gehorsam galten.

    Bei uns wird "Schuld" und "Verantwortung" oft gleich gesetzt. In Japan übernehmen Manager die "Verantwortung" (= Konsequenzen tragen, Maßnahemn ergreifen, Schaden begrenzen, Antworten geben), auch wenn sie keine "Schuld" im westlichen Sinn haben.



    Genauso übernimmt der Gastgeber/der Händler die Verantwortung für das Wohlergehen seines Gastes/seines Kunden - und umgekehrt! (Erinnert sich noch wer, wie Japaner bei der WM hinter sich im Fußballstadion aufgeräumt haben?)

    Das gedankliche Konzept dahinter ist nicht vergleichbar mit der traditionell europäischen Gastfreundschaft als einer Art Solidarität unter Reisenden, sondern eher mit "Die Gottheit in Gestalt eines Wandereres beherbergen", was ja auch ein christliches Meme bei uns war.

    Omotenashi ist allerdings auch nur ein Ideal, das manche erfüllen, manche nicht.

    • @Schnetzelschwester:

      Othering und Exotisierung sind aus der Ethnologie bekannte Schwächen der Beurteilung fremder Kulturen. Herrn Fritz' Kolumne ist nicht frei davon, die Kommentare von Mowgli, Franz Koch und Ihnen sind es ebensowenig wie meiner. Ich glaube gar, dass man um diese Schwäche nicht herumkommt, sobald man sich überhaupt eine Beurteilung erlaubt, egal ob diese positiv oder negativ ausfällt.

      Inhaltlich kann ich Ihrer persönlichen Sichtweise auf das Omotenashi und Ihren angeführten Beispielen viel abgewinnen, den beiden Kommentaren vor Ihrem jedoch ebenfalls.

      Als eigenen Beitrag möchte ich anfügen, dass die gesundheitlich für viele Japaner/innen problematische Arbeitswelt, die sich in sozialen Belangen vor allem durch Persistenz und nur langsamen Wandel auszeichnet, vielleicht auch in gewissem Zusammenhang mit dem Überleistungsideal steht. Ich denke auch hier hat die Medaille wie so häufig (mindestens) zwei Seiten.

      • @Saturday:

        Ihren Kommentar empfinde ich als wohltuend. Unser anfänglich euphorischer Touristenkontakt, der einfach beglückt die Freundlichkeit der Menschen und das angenehme Miteinander genießen durfte, ist nach näherer Betrachtung über die Jahre einem leise enttäuschten Schmerz mit der Erkenntnis gewichen, dass zumindest in der Alltags- und Arbeitswelt für die dort lebenden "Hafus" als Aussenseiter auf immer ein wenig Glücks-Lack abblättert.

        Dennoch kann man sich nur sehr schwer dem Charme und der Schönheit dieses wunderbaren Landes und seiner Bewohner entziehen. Besonders wenn man nach der Rückkehr wieder deutschen Boden betritt und die kalten Gegensätze (einschließlich Toiletten) zu spüren bekommt.

  • … und wenn nun das uralte Prinzip „O-mo-te-na-shi“ Japan bzw. „die Japaner“ davor bewahrt hätte, an der Seite „der Deutschen“ und „der Italiener“ die Weltherrschaft anzustreben in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, wäre ich durchaus geneigt zu erklären: „Super, das machen wir auch!“ Hat es aber nicht.

    Höflichkeitsformeln haben noch niemanden davor bewahrt, zum Monster zu mutieren. Auch Nazi-Mörder haben auf die Etikette geachtet. Das waren sie sich einfach schuldig. Vornehm (und höflich) geht die Welt zugrunde, hieß es da, wo ich herkomme. (Nein, es war nicht die Titanic.)

    Wenn Götter und Könige eines gemeinsam haben, dann die Vorliebe für willkürliche, für Normalsterbliche nicht nachzuvollziehende Entscheidungen und Handlungen. Man kann ihnen vorauseilend Gehorsam leisten und letztendlich doch unvermittelt platt gemacht werden.

    Ein Kunde, der wie ein Gott oder König behandelt wird, benimmt sich mitunter auch wie ein Gott oder König: weise und gütig an einem Tag, launisch und ungerecht an einem anderen.

    An Gott muss der Mensch also glauben wie an einen König. Er muss sich ihm ausliefern, um ungestört leben zu können. Er muss seine Mündigkeit eintauschen gegen die Hoffnung auf Gnade vor Recht. Wie das mit der Freiheits-Ideologie des Westens zusammen gehen soll, muss dem gelernten DDR-Bürger in mir erst noch jemand erklären. Denn wie schon gesagt: mit dem Glauben hab‘ ich‘s nicht so…

    • @mowgli:

      In Japan behandeln auch die Kunden die Angestellten in Geschäften und Restaurants mit Respekt. Japan hat sich sicher in der Geschichte auch einiges zuschulden kommen lassen. Das trifft aber sicher auf die meisten Nationen zu. Der respekt und rücksichtsvolle Umgang miteinander im Alltag ist aber durchaus etwas, was wir uns von den Japanern abschauen könnten. Drängeln im ÖPNV, sinnloses Gehupe im Verkehr, Kippen, Kronkorken, Flaschen, und sonstiger Abfall auf Gehwegen, Grünstreifen und in Parks, Hundkackebeutel auf die Straße oder in den Grünstreifen werfen, um nur ein paar Beispiele zu nennen, wird man in Japan kaum finden. Da sind Städte wie Berlin oder München sicher führend; das ist schließlich unsere Freiheit, ich zuerst; Rücksicht auf andere zu nehmen, ist bei uns nicht Standard.

    • @mowgli:

      Ja, Rituale um der Rituale Willen, sogar bis in den Tod, Haltung bewahren bis zum letzten Atemzug, können sehr verstörend sein und sind ein Kennzeichen einer erstarrten Gesellschaft, die das Individuum als Hülle wahrnimmt und das Leben in ihm unterdrückt. Die japanische Ästhetik, die sich auch in übersteigerten Umgangsformen zeigt, zielt auf Beherrschung der eigenen natürlichen Impulse, auf das Einschnüren von individueller Spontanität ab. Alle Menschen mit einem ausgeprägten autoritären Charakter fühlen sich da wohl. Da gibt es nationenübergreifende Wahlverwandtschaften. Der Faschismus ist ihr politischer Ausdruck, weltweit.