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Im Rongorongo steht jede zweite Zeile auf dem Kopf

Der Sprachforscher Harald Haarmann erläutert in seinem neuen Buch seltene sprachliche Phänomene in den Sprachen der Welt

Auch eine Sprache: Klingonisch wurde in den 1980ern von einem Linguisten erfunden Foto: Mary Evans/Paramount/imago

Von Katharina Granzin

Man lernt immer eine Menge dazu bei der Lektüre eines Buchs von Harald Haarmann. In seiner langen Linguistenkarriere – seit der Promotion im Jahr 1970 über den „lateinischen Lehnwortschatz im Kymrischen“ – hat Haarmann um die vierzig Bücher geschrieben, die inhaltlich irgendwo im weiten Feld zwischen Sprachforschung und Anthropologie angesiedelt sind.

Sein neuestes trägt den etwas unglücklichen Titel „Die seltsamsten Sprachen der Welt“, den der Autor im Vorwort erläuternd relativiert: Noch im frühen Mittelalter habe „seltsam“ die Bedeutung „selten zu sehen“ gehabt. Für sein Buch wolle er einen Mittelweg beschreiten: sowohl seltene Sprachphänomene vorstellen als auch solche, die aus Sicht von deutschen SprecherInnen seltsam im Sinne von sonderbar erscheinen mögen. (Auf einer US-amerikanischen Liste von „seltsamsten Sprachen“ kam das Deutsche im übrigen auf einen stolzen zehnten Platz.)

Viele der vorgestellten Wortschatzphänomene erscheinen im Rahmen einer kulturrelativistischen Betrachtungsweise allerdings ziemlich selbstverständlich. Warum sollte es merkwürdig, sein, dass es im Japanischen ein großes, einzigartiges Begriffsfeld für Gerätschaften und Tätigkeiten rund um die Teezeremonie gibt?

Und es ist leicht einzusehen, warum die rentierhaltenden Völker des Nordens einen reichen Wortschatz entwickelt haben, der die Beschaffenheit des Schnees betrifft, während die zwar ebenso weit nördlich lebenden, doch vornehmlich von der Robbenjagd lebenden Inuit für Schnee auch nicht mehr Wörter kennen als etwa die EngländerInnen.

Sprache ist ein kulturabhängiges soziales Werkzeug, und jede Kultur ist anders. Haarmanns Buch wiederum geht mit dem Sonderbarkeitsbegriff vielleicht etwas sehr lässig um, ist insgesamt aber eine sehr lesenswerte Aufstellung und Beschreibung interessanter sprachlicher Phänomene.

Sein Buch nach linguistischen Kategorien gliedernd, stellt Haarmann für jede Unterkategorie Besonderheiten vor. Was das Phonetische betrifft, stehen die Klicklaute – die eigentlich Schnalzlaute sind – der afrikanischen Khoisan-Sprachen ganz oben auf der Liste der sprachlichen Extras: Es gibt grundsätzlich vier Basis-Schnalzlaute, ist dazu zu erfahren; in manchen Sprachen sogar mehr. Das Schnalzen ist eine uralte phonetische Technik. Man weiß das, weil auch Aborigine-Sprachen in Australien diese Laute kennen, die Technik sich also höchstwahrscheinlich noch vor Trennung der Kontinente entwickelt hat.

Eine ganz anders beschaffene phonetische Eigenart hat das Französische aufzuweisen, in dem das „h“ nicht gesprochen, wohl aber mit einem Verschlusslaut markiert wird – das allerdings nur in Lehnwörtern fränkischer Herkunft, was für Französisch nur radebrechende AusländerInnen oft schwer zu erschließen ist und zu peinlichen Fehlern führen kann.

Unter den „Seltsamkeiten in Grammatik und Satzbau“ findet das Deutsche mit seiner Satzklammer Erwähnung. Die Eigenart, bei zusammengesetzten Zeiten das Partizip vom Hilfsverb zu trennen und es ganz ans Ende eines beliebig langen Satzes zu platzieren, stamme aus dem Obersächsischen. Dass es allgemeine Verbreitung gefunden habe, erklärt Harald Haarmann, sei Martin Luther zu verdanken, der damit einen „feinen Stil“ einzuführen glaubte.

So reiht sich Besonderheit an Besonderheit, wobei Eigenarten im Wortschatz wohl die meisten Beiträge gewidmet sind. Dazu zählen auch die Zahlen, wo das Koreanische ganz vorne dabei ist, das zwei Zählsysteme (koreanisch und chinesisch-basiert) in verwirrender Weise nebeneinander verwendet: „Bei Zeitangaben“, schreibt Haarmann, „werden koreanische Zahlwörter für die Zählung von Stunden verwendet […], sinokoreanische Zahlwörter dagegen bei der Zählung von Minuten.“

In einem anderen Kapitel wird das koreanische Schriftsystem Hangul als „vielleicht das systematischste Schriftsystem in allgemeiner Verwendung“ hervorgehoben. (Allerdings wird es nur in Nordkorea in Reinform verwendet, während man es im Süden mit chinesischen Zeichen kombiniert.)

Auch pragmatische Eigenheiten, die sprachlich den sozialen Umgang regeln, sind häufig und enorm vielfältig. Das Japanische, in dem Höflichkeitsregeln tief in die Sprache eingeschrieben sind, nimmt dabei eine besondere Stellung ein, aber auch das Khmer, in dem das ich-Wort sowohl vom sozialen Status der sprechenden als auch vom Status der angesprochenen Person bestimmt wird und es darüber hinaus für bestimmte Begriffe eine Frauen- und eine Männersprache gibt.

Haarmann beschließt sein Buch mit einem Text über das Klingonische – das nicht nur deswegen ein Sonderfall ist, weil es von einem einzigen Menschen (dem Linguisten Marc Okrand) künstlich geschaffen wurde, sondern auch, weil in seiner Syntax das Objekt vor Verb und Subjekt steht. Das sei sehr selten und sonst „nur in Sprachen der Amazonas-Region verbreitet“. Wieder viel gelernt.

Harald Haarmann: „Die seltsamsten Sprachen der Welt“. C. H. Beck, München 2021, 206 Seiten, 18 Euro

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