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Ein Bonbon von 100 Jahren

Die Ar­beit­neh­me­r*in­nen­kam­mer lässt erzählen, wie sie 1901 von Friedrich Ebert erdacht und 20 Jahre später gegründet wurde. Das ist Grund zu feiern. Dennoch hat sie Feinde

Von Lotta Drügemöller

Gute Ideen werden am Tresen geboren – das ist so ein Satz, der bestimmt nicht stimmt und der auch ein bisschen billig ist als Einstieg in einen Text. Aber er drängt sich auf bei der Geschichte der Arbeitnehmerkammer. Die feiert diesen Sommer ihr 100-jähriges Bestehen und den 120. Geburtstag der Gründungsidee, wenn man der Selbstdarstellung der Kammer im neuen Buch zum Jubiläum folgt. Da nämlich spielt Friedrich Ebert eine ganz entscheidende Rolle.

Ebert war in Bremen am Ende des 19. Jahrhunderts Wirt. „Zur guten Hilfe“ hieß seine Kneipe in der Neustadt. Und während seine Frau Louise hinterm Tresen stand, soll Fritz vor allem davor gesessen haben und seine Gäste beraten haben, in wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen. Irgendwann, so Ingo Schierenbeck, Hauptgeschäftsführer der Kammer, wurde ihm das zu viel: Probleme hatten die Ar­bei­te­r*in­nen um 1900 jede Menge. Also machte Ebert den Gewerkschaften die Idee einer institutionelleren Beratung im Arbeitersekretariat schmackhaft. Ab 1901 prägte er in der Bremischen Bürgerschaft die Idee einer Arbeiterkammer – als eine Einrichtung, die arbeitsrechtliche Gutachten anfertigen und Gesetze der Bürgerschaft kommentieren sollte.

In Wirklichkeit hatte Sozialdemokrat Erich Sanders den Vorschlag schon 1888 ins Parlament eingebracht. Auch sollte es nach Ebert noch 20 Jahre dauern, bis es zur Gründung kam. Aber: Viele seiner Vorstellungen sind später in die Konzeption der Kammer eingeflossen. Es ist auch etwas glanzvoller für die Arbeitnehmerkammer, sich selbst auf den späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert zurückzuführen als auf den Maurergesellen Sanders, von dem nicht einmal Geburts- und Todesdaten bekannt sind. Und schließlich ist es auch deshalb die bessere Geschichte, weil ursprünglich bei der Institution tatsächlich die gute Hilfe im Vordergrund stand.

Bei der Gründung der ursprünglich zwei Kammern – eine für Arbeiter*innen, eine für Angestellte – am 8. Juli 1921, da hatten sie längst den Staub der Realpolitik schlucken müssen. Die vier Autor*innen, Po­li­tik­wis­sen­schaft­le­r*in­nen der Uni Bremen, zeigen auf, wie die Kammern zwar erdacht wurden von emanzipatorischen Kräften und ermöglicht durch Arbeiterkämpfe und Revolution, durchgesetzt aber durch eine konservative Bürgerschaft.

Nach dem Scheitern der Bremer Räterepublik wurde die alte Forderung nach einer Kammer auch als scheinbares Zugeständnis eingeführt. Ein Bonbon, um weitere revolutionäre Stimmungen zu beruhigen. Eine echte Verbesserung der Lage der Ar­bei­te­r*in­nen war nicht das Ziel. „Die Gründung der Arbeitnehmerkammern beruhte vielmehr auf der Erkenntnis, dass die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum eigenen Machterhalt unausweichlich war“, schreiben die Au­to­r*in­nen des Buches.

Die Folge: Die erste Arbeiterkammer Deutschlands war eine amputierte Version. Einfluss sollten sie nicht bekommen. „Die Erörterung von politischen Angelegenheiten ist nicht Gegenstand der Kammer“, hieß es in Paragraf 1. Aus der Förderung von „wirtschaftlichen und sozialpolitischen Interessen“ wurden „wirtschaftliche und kulturelle Interessen“. Der Aufgabenbereich blieb unklar.

Es ist kein Wunder, dass die Finanzierung insbesondere in den ersten Jahren ein Problem blieb, Arbeitgeber weigerten sich lange, für die Kammer Beiträge einzuziehen. Und dort, wo die Kammern politisch tätig wurden, kamen stets Einwände der Bürgerschaft, dass sie derlei nichts angehe.

Eine echte Verbesserung der Lage war bei der Gründung jedenfalls nicht das Ziel

Angesichts der eher mäßigen personellen Ausstattung ist es erstaunlich, was die Kammern in den frühen Jahren ihres Bestehens dennoch erreichen konnten: Sie übten Kritik an zügelloser Ausbeutung und stellten Forderungen zur Verstaatlichung des Wohnungsbaus auf. Sie erstellten Gutachten zu Gesetzen, mischten sich in die Mietenpolitik der Regierung ein, kämpften für die 48-Stunden-Woche und den Arbeitsschutz. Die Angestelltenkammer gründete eine prestigereiche Auslandsschule mit Sprachkursen und Austauschprogrammen. Und beide Kammern boten Rechtsberatung an, zum Lehrlingsschutz und zu Rentenbezügen. 1.200 bis 1.800 Beratungen pro Monat machte die Arbeiterkammer ab 1924.

Klar: So konnte es nicht weitergehen. 1933 weigerte sich der Vorstand der Arbeiterkammer – anders als jener der Angestelltenkammer – zurückzutreten. Der anschließende Versuch, sich unpolitisch zu präsentieren, beschwichtigte die NS-Regierung nicht ausreichend. ­NSDAP-Funktionär August ­Hogrefe übernahm die Kammer. Ab 1936 wurde sie ohnehin zugunsten der Deutschen Arbeitsfront eingestellt.

Dass die Kammern zu den ersten Institutionen gehörten, die nach dem Weltkrieg wieder gegründet wurden – gleich im Juni 1945 –, zeigt, wie stark sie sich trotz der widrigen Umstände zuvor hatte positionieren konnte.

Sicher in ihrer Existenz ist sie dennoch bis heute nicht: Nur im Saarland und in Bremen gibt es Arbeitnehmerkammern mit Pflichtmitgliedschaft. 0,15 Prozent des Bruttolohns müssen alle Bremer Ar­beit­neh­me­r*in­nen dafür zahlen. Die meisten dürften es nicht merken, FDP und CDU setzen sich dennoch schon seit Jahren für eine Abschaffung ein. „Eine Zwangsstruktur der Interessenvertretung von Arbeitnehmern in einer Kammer gehört abgeschafft“, schreibt etwa die FDP 2015 in ihrem Wahlprogramm. Die Kammer dürfte das als Adelung ansehen: Sie ist noch wer, sie kann noch was, sie lohnt sich noch als Gegner.

Zentrum für Arbeit und Politik (Hg.): „100 Jahre für eine gerechte Arbeitswelt“, 25 Euro, zu erwerben in den Geschäftsstellen der Arbeitnehmerkammer

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