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Rein und raus

Lange wurde das Auswandererhaus in Bremerhaven renoviert. Und hat sich dabei zu einem Einwandererhaus erweitert. Besuch in einem Museum, das sich klug allen Diskursen stellt

Aus Bremerhaven Jan Feddersen

Dass Corona auch vielen kulturellen Institutionen gelegen kam, jedenfalls nicht sehr störte, gilt wenigstens für das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven. So konnte man sich in Ruhe dem Geldausgeben widmen, rübergeschoben aus dem Budget von Kulturstaatsministerin Monika Grütters, eine geringere Summe aus dem Säckel des Bundeslandes Bremen, zu dem ja diese Stadt am Ausgang der Weser in die Nordsee gehört. Viele Monate konnte umgebaut, saniert und aufgehübscht werden – und jetzt ist das Haus wieder offen, nur mit Maske betretbar natürlich, wie sonst.

Manche sagen, die Aufpimpung des Hauses – eigentlich samt Anbau des Doppelhauses – diene nur dazu, den überquellenden Beständen aus dem Fundus ein wenig Raum zu gönnen, die Wahrheit ist aber auch, dass das Auswandererhaus nun mit gleichem Recht Ein- und Auswandererhaus heißen könnte. Denn darum ging es, museologisch gesprochen, damals ja hauptsächlich: Um den erinnerungspolitischen Blick auf die Millionen Deutschen, die von diesem Hafenstädtchen aus meist nach Amerika auswanderten, denn in der alten Heimat gab es nichts, was Zukunft versprach.

Die Flüchtlings­einwanderung mit dem Jahr 2015 ist noch nicht aufbereitet – die Erinnerung ist zu frisch

Ein Morgen, das nicht in der alten Heimat sein kann, aus wirtschaftlicher Not, aus Gründen politischer oder religiöser Verfolgung – und also in Deutschland sein soll, ist als kuratorische Perspektive erst später hinzugekommen. Das Städtchen selbst bietet sich als Platz der Einwanderung nicht so direkt an, die meisten neuen Deutschen kamen ja nicht mit dem Schiff, aber als Zeichen aktueller Bremerhavenhaftigkeit lag das ganz nah: Ein Viertel der Stadtgesellschaft entstammt mehr oder weniger recht frisch sogenannt migrantischen Verhältnissen. Außerdem: Womit soll dieser Flecken sonst prunken, wenn nicht mit den Stadtmöbeln, die auf dem alten Hafengelände an der Weser angesiedelt wurden? Riecht jetzt auch alles recht frisch, auf dieser anderen Art von Museumsinsel, in der Nachbarschaft liegen das populäre Klimahaus, das Überseemuseum und der maritim orientierte Zoo.

Sonst hat Bremerhaven, nach der Abwicklung der Hafenindustrie und der Fischwirtschaft, ja nicht so viel zu bieten, ökonomisch. Man braucht Menschen, die hier – umgeben von grünen Stränden und zum Hinterland durch saftige Geest- und Moorlandschaften – mal zu Besuch kommen, Touristen und Touristinnen, gern mit Kindern, heißt es, das meiste wirkt anfassbar und wenig museal. Eine Stadt, die nur wenig Schlagzeilen macht, 1958 das vorletzte Mal, denn in Bremerhaven macht das US-Militärschiff fest, mit dem Elvis Presley – der Gott des Pop schlechthin damals – in der amerikanischen Zone der Nachkriegsrepublik ankam, um dort seinen Militärdienst abzuleisten, tausende kreischende Teenager zum Empfang am Kai inklusive. Und 2005 kam die Stadt ins Gerede, weil im Zoo zwei ein Ei ausbrütende Pinguine sich als Männerpaar herausstellten und die Zoodirektorin das alles peinlich fand und mit dem Import von weiblichen Exemplaren dieser Tiere hoffte, die alte Ordnung, ihre Ordnung, wiederherzustellen, was sie heutzutage, in den Zeiten des Regenbogens, in die Hölle der öffentlichen Verdammnis trüge.

Zur Eröffnung ist denn auch alles versammelt, was in Bremerhaven Rang hat – und das Ein- und Auswandererhaus hat es auch verdient, als renoviertes Juwel im Reigen der feinen Bauten an der Hafenmeile gewürdigt zu haben. Simone Blaschka, Direktorin des Hauses, betont sehr, dass viele der migrantisch geprägten Handwerker bisweilen vor den neuen Exponaten verweilten und, „mit Rührung“ etwas der eigenen Familiengeschichte wiedererkannten. Insgesamt aber haben sich nur – allerdings gewichtige – Details im Auswandererhaus geändert. Klar, man hat mehr Platz, über 3.000 Quadratmeter – und wo das holzpaneelisierte Urgebäude mal mit einer Brücke mit dem neuen, weißen Anbau verbunden war, wirken nun beide Gebäude wie eines: Das eine ist der Auswanderung gewidmet, das andere der Einwanderung. Im alten Haus geht man immer noch wie durch ein Schiff, kann in enge Schlafkojen klettern, betritt Lädchen mit Lebensmitteln aus Amerika; auch ein „Sweatshop“ ist inszeniert, darin Nähmaschinen, an denen die Neuankömmlinge in den USA im Akkord schufteten, Frauen durchweg. Was fehlt, fehlt in allen Museen und Häusern dieser Art, also solchen, die Jobverhältnisse von dereinst zeigen wollen: Die Bedrängnis der räumlichen Enge ist nicht nachfühlbar, doch auch ein realistischer Geruch, ja, Muffigkeit und Gestank sind nicht zu reinszenieren: Wer würde sonst gucken wollen?

Im neuen Haus kommt es denn zum Eingemachten, zu Fragen der Flüchtlinge, der Migration, des Rassismus und der gesellschaftlichen Ungemütlichkeit, vor allem für jene Menschen, die nach Deutschland kommen und dort ankommen wollen: „Migrationsgeschichte als Bildungs- und Besuchserlebnis“, eine neue Dauerausstellung samt Akademie für vergleichende Migrationsforschung. Das bieten andere Institutionen auch, das Akademische, Forschende. Hier in Bremerhaven gibt es indes einen „Saal der Debatten“, in dem am Beispiel von vier Feldern die Geschichte auch des deutschen Nachkriegs aufbereitet wird. Etwa wie gehässig und abweisend man in der Bundesrepublik mit den Vertriebenen aus den deutschen Ostgebieten umging; oder dass es massive Arbeitskämpfe (zunächst noch) ausländischer Arbeitskräfte in den sechziger und siebziger Jahren gab; schließlich und drittens der Diskurs um die Asylrechtsreform der achtziger und neunziger Jahre und endend mit der rassistischen Kampagne der Union gegen die Staatsangehörigkeitsreform der rot-grünen Regierung Gerhard Schröder. Die Flüchtlingseinwanderung mit dem Jahr 2015 ist noch nicht aufbereitet – die Erinnerung ist zu frisch, aber sie besagt: Deutschland ist faktisch in demokratischen Zeiten stets ein Einwanderungsland gewesen – und es gab und gibt starke Kräfte, die das heftig ablehnen. Zusammen mit vielen neuen Exponaten – Handtaschen, Teekannen, Kinderwägen – und einer Sammlung von Zeitzeugengesprächen mit Bremerhavener Menschen ist das alles ein lohnendes, interessantes Arrangement.

Dass vor dem Auswandererhaus kein edles Museumscafé angesiedelt ist, wird zum Erfolg in Zukunft beitragen. Auf dem Anbau steht am großen Fenster zur Stadtseite der Satz: „Wir leben zusammen.“ Lakonischer, schöner geht das, was als Gefühl mitgenommen werden kann, nicht. Bremerhaven lohnt viele Ausflüge, dieses Gesamtexponat gehört dazu.

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