Die Löwin von Nasirijah

Zahraa Amer ging auf die Straße, demonstrierte und warf Steine, damit sich was ändert. Dafür wurde sie angeklagt. Aber ihr Kampf ist noch lang nicht vorbei

Illustration: Marén Gröschel

Nachdem ihr Bruder bei einer Demonstration am 1. Oktober 2019 von Sicherheitskräften verletzt worden war, hielt Zahraa Amer, 20, es nicht länger zu Hause aus. Mit Freunden ging sie zum zentralen Al-Haboubi-Platz in Nasirijah, wo sich die Protestierenden versammelten. Es war ihre erste Demonstration. In der südirakischen Stadt gelten besonders strenge Traditionen, die Frauen vom öffentlichen Leben weitgehend fernhalten. Doch Zahraa, ermutigt von ihrer Familie, stand von nun an täglich mitten in der aufgebrachten Menge. Sie organisierte ein Team, das den Platz nach der Demonstration aufräumte, malte Parolen auf Transparente oder kümmerte sich um Verletzte.

Und immer wieder forderte die junge Frau lauthals ein Ende des korrupten Regimes. Irgendwann „haben junge Leute mich fotografiert, ohne dass ich es mitbekommen habe“, sagt Zahraa Amer. Das Foto, ein Bild einer energisch rufenden jungen Frau, hing wenig später sogar auf dem Tahrir-Platz in Bagdad, es wurde in verschiedenen nationalen TV-Nachrichtensendungen gezeigt. Auf Häuserwänden ist ihr Graffiti noch zu sehen. Zahraa Amer, von vielen Männern bestaunt und manchen als „Löwin von Nasirijah“ bewundert, galt plötzlich als eine Ikone des Aufstandes.

Von der schlimmsten Nacht, vom 27. auf den 28. November 2019, erzählt Zahraa Amer stockend, manchmal weinend. Dschamil al-Schammari, ein Kommandeur aus Bagdad, habe mit scharfer Munition auf Demonstranten schießen lassen. Zahraa Amer verband Verletzte, mischte Pepsi mit Hefeteig gegen das Tränengas. Sie half dabei, Verwundete ins Krankenhaus zu transportieren. Im Kugelhagel brach plötzlich neben ihr eine Freundin tödlich getroffen zusammen. Sie selbst kam lebend davon. Eine schwere Schussverletzung am Arm schmerzt bis heute.

Mona Abdel

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Die Journalistin aus Nasiriyah würde als irakische Präsidentin für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen: „Auch Staat und Religion würde ich trennen.”

In dieser Nacht schleuderte Zahraa Amer auch mal Steine in Richtung der Sicherheitskräfte, „um die Schussbahn der Soldaten zu stören und Demonstranten so zu schützen“, wie sie sagt. Deshalb wurde Anklage erhoben.

Trotz Einschüchterung und sogar Morddrohungen gegen sie und ihre Familie will Zahraa Amer nicht aufgeben. „Wer sich fürchtet, für den gibt es keine Freiheit“, diesen Slogan vom Al-Haboubi-Platz nimmt sie für sich in Anspruch. „Wir, die Jugend des Irak, sind in der Revolution aufgestanden, wollten unser gestohlenes Heimatland zurück. Wir hatten gehofft auf den Sturz des Regimes und einen neuen zivilen Staat, der sich an Freiheit, Menschenwürde und sozialer Gerechtigkeit orientiert. Auch wenn daraus nichts geworden ist, hat die Tischreen-Revolution doch viel erreicht: Die Jugend hat sich verständigt auf Ziele, viele Menschen haben sich befreit aus demütiger Haltung. Wir Frauen haben gesprochen und uns Respekt verschafft.“

Im Kugelhagel brach plötzlich neben ihr eine Freundin tödlich getroffen zusammen

Bei den Parlamentswahlen im Oktober dieses Jahres, hofft Zahraa Amer, könnten einige neue Parteien und erstmals antretende Politiker gewählt werden. „Wir brauchen dringend Verfassungsreformen und ein neues Parteiengesetz.“ Deshalb wirbt Zahraa Amer dafür, sich an der Wahl zu beteiligen.