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Schneewittchens Kleid bekommt rote Flecken

Kolumbien: Carolina Ramírez hat das erste Menstruations-Aufklärungsbuch in Lateinamerika geschrieben

Carolina Ramírez hat eine Mission: „Für uns ist es das Wichtigste, uns komplett von der traditionelle Lesart der Menstruation zu lösen, die rein auf Reproduktion beruht“, sagt die 39-Jährige. „Wir wir sind davon überzeugt, dass dies die Unterdrückung von Mädchen und Frauen begünstigt hat.“

Ramírez ist Psychologin. Zwölf Jahre lang hatte sie im Umland von Medellín mit Frauen gearbeitet, von denen viele sexuelle Gewalt erlebt hatten. Immer wieder ging es um Menstruation – und wie man darüber mit den Töchtern spricht.

In der 9. Klasse, wenn in Kolumbiens Schulen Sexualkunde drankommt, wird Menstruation im besten Fall unter Fortpflanzungsaspekten behandelt. „Menstruieren ist aber nicht nur dazu da, um schwanger zu werden“, sagt Ramírez. „Die Hormone sind gut für das Wohlbefinden der Frau, die Menstruation reinigt die Gebärmutter von Krankheitserregern.“

So entstand die Idee, das Thema liebevoller und lustiger aufzubereiten – und im Jahr 2016 das Buch „Das Kleid von Schneewittchen hat sich rot gefärbt“. Darin merkt Schneewittchen mit Hilfe einer Blumenpracht, die auf einmal in ihr wächst und als roter Honig aus ihr herausläuft, was für sie wichtig im Leben ist. Ein Prinz kommt nicht vor.

Das Buch gilt als erstes Kinderbuch in Lateinamerika zum Thema überhaupt. Seitdem hat Ramírez vier weitere Menstruationsmärchen geschrieben. Sie will mit alten Denkmustern aufräumen, welche die Menstruation nutzen, um Frauen von Orten oder Ämtern fernzuhalten.

Ihr Team vom Projekt „Princesas Menstruantes“ hat um Medellín Mädchen befragt. Dabei stellte sich heraus: Der häufigste Grund, weshalb sie in der Schule fehlen, waren nicht fehlende Hygieneprodukte – sondern die Angst vor Flecken. „Diese Angst lässt sich nur mit Bildung nehmen“, sagt Ramírez. Eine weitere Erkenntnis: „Die Schule ist kein sicherer Ort zum Menstruieren. Es gibt keine Fürsorge, keine Begleitung, keine Binden, oft nicht einmal Wasser, Klopapier oder Türen, die richtig schließen.“ Viel zu oft lassen Leh­re­r*in­nen die Mädchen nicht auf die Toilette gehen und sagen, sie sollten ihren Körper kon­trollieren.

„Princesas Menstruantes“ bietet Lehrmaterialien, Workshops für Mädchen und Erwachsene sowie eine Weiterbildung zur Menstruations-Erzieherin. Die „Schule der mächtigen Mädchen“ soll Mädchen im Alter von acht bis zwölf Jahren helfen, ihre Pubertät zu einer positiven Erfahrung zu machen und ihre Autonomie fördern. „Wir reden darüber, wie sie sich um sich selbst kümmern und ein Unterstützungsnetz aufbauen und eine Vertrauensperson finden können, mit der sie reden können, wenn ihnen etwas passiert“, sagt Ramírez.

Bis zum letzten Jahr haben Carolina Ramírez und ihre Kolleginnen mehr als 12.000 Mädchen, Jugendliche und Frauen in Lateinamerika geschult. „Menstruationsbildung darf kein Privileg sein“, sagt sie. „Wenn uns eine Schule anruft und sagt: Wir haben da 50 Mädchen, aber kein Geld – dann versuchen wir, es irgendwie aufzutreiben, und nehmen uns drei Tage frei.“

Katharina Wojczenko, Bogotà

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