Hip-Hop in Osteuropa: Bikini Bottom in der Ukraine

Die Rapperin Alyona Alyona hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Das belegt auch der Erfolg ihres neuen Albums „Galas“.

Rapperin Alyona Alyona

Die ukrainische Rapperin Alyona Alyona Foto: Alexander Dobrev

Alyona Alyona muss laut lachen, schüttelt sich sogar, sodass das Bild verwackelt. Die ukrainische Künstlerin, die eigentlich Alyona Olehivna Savranenko heißt, sitzt mit knallrotem, sonnenverbranntem Gesicht in einem ägyptischen Hotelzimmer. Im Urlaub führt sie unser Gespräch per Handy-Zoom.

Lachen muss sie über ihre Antwort auf die Frage, wie sie als Künstlerin Corona gemeistert habe. „Ich konnte währenddessen zwar ein Album veröffentlichen, darf aber nicht touren. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Wenigstens habe ich TikTok für mich entdeckt, das macht mir einfach Spaß.“ Derzeit hat sie beim sozialen Netzwerk der Wahl von Jugendlichen und Kindern über fünf Millionen Likes. Mehrmals wöchentlich lädt Alyona Alyona dort kurze selbstironische Clips hoch.

„Einfach Spaß“: Um die eigentlich ernste Musik und Karriere der 29-jährigen Frau, derzeit beliebteste Rapperin der Ukraine, zu erklären, sind das wichtige Stichworte. Auf Instagram persifliert Alyona Alyona die makellosen Fotos von normschönen Stars wie Miley Cyrus.

Mit einer Mischung aus Witz und Body Positivity bringt sie das Thema von den Großstädten auch aufs Land. Alyona Alyona, die ursprünglich aus einem Dorf bei Kiev stammt, erreicht via Smartphone jeden Winkel. Sie hat das Internet verstanden. Doch die Künstlerin deshalb nur auf ihre Social-Media-Präsenz zu reduzieren wäre falsch.

Kassetten tauschen und Eminem hören

Alyona Alyona hat die klassische Hip-Hop-Schule durchlaufen. Als Kind schrieb sie kleine Gedichte, tauschte Kassetten mit Freund:innen, stieß so zunächst auf den Brachialsound der US-Crossoverband Limp Bizkit und schließlich auf Eminem. Den Detroiter Gangsta bezeichnet sie als Seelenverwandten ihrer Jugend. „Ich habe kein Wort Englisch verstanden und dennoch seine Texte und Flows imitiert“, erklärt die Künstlerin. Es folgten erste Rapsongs, die kaum jemand hörte, dann kam lange nichts.

Eine Szene entstand erst nach dem Zerfall der Sowjetunion, in der westliche Musik unerwünscht war

Schließlich tauchte 2018 urplötzlich das Youtube-Video zu ihrem Song „Рибки“ auf. Knallbunt, aus Cartoons und Found Footage collagiert. Alyona Alyona mit Popeye, Alyona Alyona in der Spongebob-Stadt Bikini Bottom. Dazu ein harter Trap-Beat und eine Rapperin, der man anhörte, dass sie nicht nur die Flows von Eminem, sondern auch den US-Hip-Hop-Zeitgeist verinnerlicht hat.

Ihr Video machte Alyona Alyona über Nacht international bekannt. „Zuvor habe ich als Kindergärtnerin gearbeitet und meine Musik nur meinen Freun­d:in­nen gezeigt“, sagt sie. „Ich wollte nie berühmt werden – das hat sich von einem auf den anderen Tag geändert“.

Seitdem ist Alyona Alyona in zweierlei Hinsicht Kulturvermittlerin: Sie bringt einerseits der Ukraine, die in der Rapmusik – wie sie sagt – noch keine große Rolle spielt, den Sound näher. Viele ehemalige Ostblockstaaten sind Nachzügler in Sachen Hip-Hop. Eine Szene entstand erst Anfang der 1990er-Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion, in der westliche Musik offiziell unerwünscht war.

Von Anfang an auf Ukrainisch

Außerdem tourte Alyona Alyona nach den ersten Erfolgen um die Welt, unter anderem gastierte sie in Deutschland, Island und Israel. Speziell an ihr ist auch, dass sie ihre Texte von Anfang an auf Ukrai­nisch rappte und die Sprache durch viele Touren im globalen Popkontext repräsentierte. „Viele bekannte ukrainische Rapper texten auf Russisch und machen auch Karriere in Russland“, sagt sie.

Das habe sich nach der friedlichen Revolution im Jahr 2014 aber gravierend geändert. „Die Musikszene hat sich geteilt. Wer Musik auf Ukrainisch gemacht hat, wurde von den Menschen unterstützt, die zu den Konzerten gekommen sind. Wer Musik auf Russisch macht, blickt eben stärker nach Russland!“ Ein Augenzwinkern ist bei dieser Aussage nicht herauszuhören.

Mit Statements zur aktuellen politischen Lage in der Ukrai­ne und dem andauernden Konflikt mit dem Putin-Regime, das kürzlich Militärübungen in der Schwarzmeerregion verkündete, hält sich Alyona Alyona zwar zurück. Doch man hört ihr den Frust über die aktuelle Situation an. Sie spricht trotzdem lieber über das Positive.

Nach 2014 seien eine Menge Festivals in der Ukraine entstanden, viele Menschen haben damit begonnen, Musik zu machen, ukrainische Texte zu dichten, mit Sounds zu experimentieren, zu touren. „Mittlerweile gibt es hier so viele gute Musiker:innen, dass die Leute nicht mehr wissen, wen sie zuerst hören sollen.“

Experimentell in verschiedenen Sprachen

Auch ihr zweites Album „Galas“ ist wieder experimentell gehalten. Alyona Alyona verknüpft in ihren Tracks verschiedene Sprachen und Vorstellungen davon, wie Rap klingen sollte. Als Gäste sind Mu­si­ke­r*in­nen aus vielen Ländern versammelt. Unter anderem die israelische Sängerin Noga Erez und der deutsche Rapper Olexesh.

Alyona Alyona: „Galas“ (Come True/DefJam/Universal)

Es sei ihr darum gegangen, dass in den einzelnen Songs in verschiedenen Sprachen dieselben Themen verhandelt werden, sagt die Künstlerin. Das Resultat ist ein expressives, meistens gut funktionierendes Sound-Sammelsurium. Verschiedenste Formen von Gesang, hartem Rap und gefühlvollen Spoken-Word-Performances treffen aufeinander. Bindeglied sind die ukrainischen Texte von Alyona Alyona.

Sie geht in der Kulturvermittlung schon wieder einen Schritt weiter. Nun will sie Drill-Musik aus Großbritannien in ihren Sound integrieren. Ihr liegt nicht nur die eigene Musik am Herzen. Ihr größter Wunsch sei es, sagt sie, dass es in der Ukrai­ne mehr Rap­pe­r:in­nen gibt. „Die Jugendlichen wollen Figuren wie Lil Pump, der sich die Fingernägel lackiert und seltsam rüberkommt.“

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