: Mein Cousin, der Gegenkandidat
In Hagen ist der Bundestagswahlkampf eine Familiensache. Zwei Cousins streiten um den Wahlkreis: René Röspel (SPD) gegen Wolfgang Röspel (CDU)
VON MARTIN TEIGELER
Hagen. Östliches Ruhrgebiet. René Röspel parkt seinen roten Volkswagen T4 an der Bundesstraße 7. Der SPD-Bundestagsabgeordnete besucht einen Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt. Es ist ein heißer Tag im Juli. Röspel ist ein wenig erkältet. „Irgendeine Nebenhöhle sitzt zu“, sagt er. Im stickigen Awo-Treff sitzen etwa 25 zumeist ältere „Genossinnen und Genossen“ zusammen. An der Wand hängen Zeichnungen vom Hagener Stahlwerk, das vor mehr als 30 Jahren dicht gemacht wurde. Eine Kellnerin geht mit einem Tablett herum und bietet Schnäpse an: „Korn oder Roten?“ René Röspel sitzt den Zuhörern frontal gegenüber und trinkt Cola.
René Röspel ist im Wahlkampf. Der 41-Jährige redet schnell. Er hat der eigenen Basis viel zu erklären. Seine Stimme ist etwas kratzig von der Erkältung. Die Zuhörer von der Arbeiterwohlfahrt schauen ihn stumm an. Röspel fährt sich beim Reden manchmal durch die Haare. Er gestikuliert ab und zu mit den Armen. Weil es so heiß ist, steht die Tür zum Awo-Gebäude offen. Von draußen hört man die vorbeirasenden Autos auf der B7.
Knapp 70 Tage vor der möglichen Bundestagswahl im Herbst spricht der Abgeordnete über die „unsoziale“ Politik der Union. „Es war Helmut Kohl, der die Reformen verschlafen hat. Wir müssen seit 1998 seinen Dreck wegmachen“, sagt Röspel. Er redet über Erfolge der Regierung. Auf die von Rot-Grün geförderte Ganztagsschule sei er stolz. „Mir hat neulich eine Lehrerin an einer Hagener Schule erzählt, dass einige Schüler durch das Ganztagsangebot wieder regelmäßig warme Mahlzeiten bekommen“, sagt Röspel. Trotzdem muss er in der alten SPD-Hochburg Hagen um seinen früher sicheren Wahlkreis bangen: „Wir müssen kämpfen, bei der Landtagswahl im Mai hatten wir hier nur einen Vorsprung von 1.500 Stimmen“, sagt Röspel. Die Awo-Zuhörer schweigen. „Mein CDU-Gegenkandidat hat die Praxisgebühren kritisiert, dabei ist die CDU dafür verantwortlich“, sagt Röspel. Der „Gegenkandidat“. Seinen Kontrahenten im Bundestagswahlkreis Hagen nennt René Röspel nicht beim Namen. Der „Gegenkandidat“ von der CDU heißt auch Röspel. Wolfgang Röspel.
Die Röspels sind Cousins. In Hagen ist der Bundestagswahlkampf nicht nur eine Sache von CDU gegen SPD, sondern eine Familiensache. Röspel gegen Röspel. Vetter gegen Vetter. „Mein Gegenkandidat versucht, auf dem Ticket ‚Röspel‘ mitzufahren“, sagt René Röspel. Die Awo-Aktivisten lachen leise.
Ortswechsel. Recklinghausen. Festspielhaus. Mehr als 200 CDU-Delegierte haben sich eingefunden, um die Reserveliste für die Bundestagswahl aufzustellen. Der Hagener Direktkandidat Wolfgang Röspel ist auch da. Er ist mit seinem Citroen C5 nach Recklinghausen gefahren. Röspel hat sich fein gemacht. Im schicken Sommeranzug sitzt er im Foyer des Glasbaus und wartet auf den Beginn der Veranstaltung. „Nein, René habe ich nicht vorab informiert, dass ich gegen ihn antrete“, sagt Wolfgang Röspel. Er spricht etwas langsamer und kürzer als sein Cousin. Er ist fast 13 Jahre älter. Anders als René, der schon seit Jahren Berufspolitiker ist, arbeitet Wolfgang als Caritas-Geschäftsführer. „Das war eigentlich nicht geplant, dass ich für die Bundestagswahl kandidiere“, sagt der 53-jährige Röspel. Doch dann habe ihn die örtliche CDU als Wahlkreisbewerber nominiert. „Wir haben den besseren Röspel“, hat der örtliche Vorsitzende der Christdemokraten in der Lokalpresse gesagt. Bei der letzten Bundestagswahl hatte sich Wolfgang Röspel noch erfolglos um die CDU-Kandidatur beworben. Diesmal darf er ran. Gegen den Cousin. „Das wird ein fairer Wahlkampf“, sagt Wolfgang Röspel. Das Verhältnis zu seinem Vetter sei „gut“. Er bescheinigt dem studierten Biologen René, der im Bundestag Karriere gemacht hat als Vorsitzender der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“, eine „gute Arbeit“.
Besonders eng ist das Verhältnis der Cousins aber offenbar nicht. Früher habe man sich öfter auf Familienfeiern gesehen. Schon seit Jahren sei „der Kontakt ein wenig abgerissen“, sagt Christdemokrat Röspel. Die Familien grüßen sich auf der Straße – mehr nicht. Von Spannungen oder gar Feindschaften könne aber keine Rede sein, sagen beide übereinstimmend.
Die Veranstaltung in Recklinghausen beginnt. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers spricht zu den Delegierten. Es gebe in Deutschland links von der Mitte keine Mehrheit mehr, sagt Rüttgers. Wie seit kurzem in NRW solle auch in Berlin bald eine Koalition aus CDU und FDP regieren. Die Delegierten klatschen. Wolfgang Röspel sitzt ziemlich weit hinten im Pulk der Ruhrgebiets-Delegierten. Beim Applaudieren hat er die Ellenbogen auf den Tisch gestützt. Anschließend wird er auf Platz 46 der Landesliste gewählt. Das dürfte kaum ausreichen für den Einzug in den Bundestag. „Mein Ziel ist es, das Direktmandat zu gewinnen“, sagt Röspel. Beide Röspels haben eher schlechte Plätze auf den Reservelisten ihrer Parteien. Um nach Berlin zu kommen, müssen sie ein Familienmitglied schlagen.
Röspel und Röspel. SPD und CDU. René Röspels politisches Vorbild heißt Willy Brandt. „Ich war damals eher nicht so in der Willy-Brandt-Bewegung“, sagt Wolfgang Röspel und lacht. Adenauer oder Ludwig Erhard hätten ihm eher imponiert. Als Jugendlicher hört René Röspel Grobschnitt, die Krautrock-Gruppe aus Hagen. Wolfgang Röspel kauft als Teenager lieber Beatles-Platten. SPD-Mann Röspel macht Urlaub in den Bergen. CDU-Mann Röspel fährt an die Nordsee. Doch die beiden Familienväter haben auch Gemeinsamkeiten: Beide sind sozial engagiert. Röspel und Röspel gehören jeweils zum linken Flügel ihrer Partei. Wolfgang Röspel will sich als Bundestagsabgeordneter für Korrekturen an der Arbeitsmarktreform Hartz IV einsetzen. „Das Gesetz funktioniert in der Wirklichkeit nicht“, sagt der Caritas-Mann. Ob Cousin René bei der Abstimmung im Bundestag gegen Hartz IV hätte stimmen sollen? „Ja, das hätte er tun sollen“, sagt Wolfgang Röspel.
In Hagen muss sich der SPD-Linke René Röspel kritischen Fragen der Awo-Basis stellen. Warum jetzt Neuwahlen? „Im Bundesrat ändert sich ja doch nichts an der CDU-Mehrheit, wenn Ihr wieder gewinnt“, sagt Ilka, eine Mittvierzigerin mit roten Haaren. Das habe er auch nicht verstanden, räumt René Röspel ein. Er sei zunächst gegen die Neuwahl gewesen. Bei der Vertrauensabstimmung hat er „trotz aller Kritik“ für Bundeskanzler Gerhard Schröder votiert. Röspel gilt als Kritiker der Regierungspolitik. Laut Spiegel soll Kanzler Schröder den Hagener einmal angeschnauzt haben: „Viele von euch wollen gar keine Reformen. Das sind genau die Leute wie du, die das alles ablehnen.“ Röspel bestätigt die Geschichte. Doch jetzt schaut er nach vorn. Fast feierlich sagt er: „Wir haben die Chance und die Pflicht, diese Wahl zu gewinnen.“ Er stehe für „soziale Gerechtigkeit“, sagt Röspel. Die Awo-Basis nickt zustimmend. Demnächst werden viele der Anwesenden Wahlkampf machen für ihren René. Die Kellnerin geht noch einmal herum: „Korn oder Roten?“