Bildsprache des „Islamischen Staats“: Bilder zerstören, Bilder verkaufen

Der „Islamische Staat“ hat antike Stätten zerstört und Videos davon gepostet. Diese mediale Inszenierung untersucht ein Nahostforscher.

Ruinen von Palmyra.

Die Ruinen in Palmyra nach der Rückeroberung des „Islamischen Staats“ 2016 Foto: imago

Seien es die Buddhastatuen in Afghanistan 2001, sei es die antike Stadt Palmyra vor vier Jahren: Man reagiert stets geschockt auf die Zerstörung von jahrtausendealten Kulturdenkmälern. Die Welt vom Götzendienst zu befreien, sei dabei das Ziel, hieß es zuletzt vonseiten des sogenannten Islamischen Staats (IS).

Dass hinter den gut dokumentierten Zerstörungsaktionen weniger religiöser Eifer als eine mediale Machtdemonstration steckt, sagt Aaron Tugendhaft. Der US-amerikanische Geisteswissenschaftler und Nahostexperte hat über die Bildsprache des IS ein Buch geschrieben und am Dienstagabend online zum Thema im Potsdamer Einstein Forum referiert.

Der IS ist seit 2019 größtenteils besiegt, nur hin und wieder reklamiert die Terrororganisation Anschläge für sich. Dass die Schreckensbilder immer noch präsent sind, liegt auch an der Onlinepräsenz, die der IS mit seinen inszenierten Enthauptungen und Propagandavideos ausfüllte. „Der IS ist gut darin, Bilder zu produzieren“, sagt Tugendhaft.

Ihn erinnern die Aufnahmen aus dem Mosul Museum, in dem IS-Kämpfer Statuen zu Boden werfen, an antike Abbildungen von Ikonoklasmus, also der Zerstörung von (Heiligen-)bildern. Dabei müsse man doch überlegen, was es bedeute, Bilder zerstören zu wollen, aber diesen Akt wiederum in Bildern festzuhalten. Und so womöglich neue Objekte zur Bilderverehrung zu schaffen.

Man müsse überlegen, was es bedeute, Bilder zerstören zu wollen, aber diesen Akt wiederum in Bildern festzuhalten

Das goldene Kalb zerstören

Tugendhaft hält keinen historischen Vortrag, er geht das Thema eher philosophisch an. Das Paradox, sich von Bildern nicht befreien zu können, verdeutlicht er anhand der Geschichte von Moses und Aron. Als Ersterer das goldene Kalb zerstört, das das Volk während seiner Abwesenheit angebetet hat, weist Aron Moses genau auf dieses Paradox hin. Diese Zerstörung schaffe genauso Bilder wie das Lamm eines war, sagt er, zumindest nach Arnold Schönberg, der der Szene eine Oper gewidmet hat. Auch die Gesetzestafeln, die Moses von seinem Berg mitgebracht hat, seien Bilder von Gedanken, woraufhin Moses diese Tafeln zertrümmert.

Anders als dem christlichen Propheten gehe es dem IS jedoch sehr wohl darum, neue Bilder zu schaffen. Tugendhaft zeigt drei Fotos nebeneinander: Das erste zeigt antike Wandbilder, an denen Bomben befestigt sind, das zweite zeigt die Explosion, das dritte zeigt seinen Facebook-Feed, auf dem das Foto dieser Explosion erscheint. Diese Bilder tauchen überall auf Social Media auf, sagt Tugendhaft. Der IS baue sich so einen riesigen virtuellen Palast, der überall und nirgendwo ist.

Spricht man von den Zerstörungsvideos, muss man jedoch auch von dem Verkauf von antiken Kunstwerken auf dem Schwarzmarkt sprechen, die dem IS viel Geld eingebracht haben.

Einnahmen des IS

Es mag heuchlerisch erscheinen, antike Objekte, die die Terrororganisation eigentlich zerstören wollte, stattdessen zu verkaufen, allerdings dürften die Verkäufe einen großen Teil der Einnahmen des IS ausgemacht haben. Zudem haben die Ter­ro­ris­t:in­nen auch in Kauf genommen, dass die Verbreitung ihrer Fotos und Videos Geld für die Social-Media-Plattformen generiert hat, auf denen sie auftauchten. Diese Bilder der Zerstörung sollen vor allem Angst und Wut verbreiten, denn nur mit dem Hammer lassen sich Götzen nicht zerstören, sagt Tugendhaft, auf Friedrich Nietzsche verweisend.

Moderner Ikonoklasmus ist uns im letzten Jahr vermehrt begegnet, als weltweit im Rahmen der Black-Lives-Matter-Demonstrationen Denkmäler vom Sockel gestoßen wurden. War diese Zerstörung also nur symbolisch? Selbst wenn die Berliner Mohrenstraße nun bald Anton-Wilhelm-Amo-Straße heißen wird, sind in vielen Köpfen rassistische Denkmuster längst noch nicht überholt. Eine Diskussion hat die Aktion aber allemal angestoßen. Womöglich steckt dieses Potenzial auch in den vom IS produzierten Bildern. Trotz seiner Brutalität können die Videos dabei helfen, Terrororganisationen als me­dia­le Akteure besser zu verstehen.

Auch lässt sich diskutieren, wie viel Raum wir Propagandavideos bieten wollen; eine Frage, die zuletzt etwa bei dem Attentäter von Christchurch aufkam, der seinen Amoklauf live im Internet streamte. Oder man denkt ganz generell über den Wert nach, den Objekte für uns besitzen, und fragt sich, warum uns die Zerstörung antiker Stätten eigentlich mehr verstört, als es Geiselnahmen und Giftgasanschläge tun.

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