„Wir kennen jede Art von Gewalt“

Manar Al Zubeidi, die im Südirak trotz Bedrohungen das erste Frauenportal gegründet hat, berichtet von ihren Erfahrungen

Foto: privat

Manar Al Zubeidi

ist Gründerin des Frauenportals almanarnews.net in Dimanyya und Teilnehmerin des derzeit laufenden Online-Workshops der Panter Stif­tung mit 18 irakischen Journalis­tinnen.

Interview: Petra Bornhöft

taz: Frau Al Zubeidi, in wenigen Ländern ist die Pressefreiheit so bedroht wie im Irak, der laut Index der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 162 von 180 Nationen liegt. Was heißt das für Ihre Arbeit?

Manar Al Zubeidi: Bei uns arbeiten Jour­na­lis­t*in­nen unter ständiger Bedrohung – allgemein wegen der chaotischen Sicherheitslage, der massiven Präsenz bewaffneter Terroristen und Milizen und fehlender Strafverfolgung. Viele Jour­na­lis­t*in­nen – vor allem Re­por­te­r*in­nen bei Demonstrationen – sind getötet worden, werden von Regierungsmitarbeitern oder Unbekannten öffentlich beschimpft und sind gezwungen, den Wohnort zu wechseln, unter Pseudonym zu publizieren oder gar den Job aufzugeben.

Trifft es Frauen und Männer gleichermaßen?

Journalistinnen sind häufig Opfer von Diffamierung und öffentlichen Hetzkampagnen auch im Netz. Wir kennen Mobbing, Belästigungen und jede Art von Gewalt. Mal weil der Arbeitgeber verhasst ist, die journalistische Arbeit missfällt oder wenn sie sich für Frauenrechte einsetzen.

Arbeiten deshalb so wenig Irakerinnen im Journalismus?

Es gibt keinen hinreichenden gesetzlichen Schutz für gleiche Bezahlung, in den meisten Fällen nicht mal Arbeitsverträge mit garantierten Rechten. So sind Frauen erpressbar im Job, müssen Kompromisse eingehen, dürfen nicht über jedes Thema schreiben. Hinzu kommt: Die meisten Frauen fühlen sich unsicher, wenn sie ihre Meinung im Medienunternehmen oder auf der privaten Facebook-Seite formulieren. Deshalb haben viele Frauen den Journalismus verlassen. Manch talentierte Frau kann den Beruf gar nicht erst ergreifen, weil die Familie es verbietet.

Trotzdem haben Sie sich 2014 selbstständig gemacht und betreiben seit 2017 die erste Frauen-Website im Irak. Warum?

Bei Printmedien und Lokalradios beschäftigte ich mich vor allem mit Frauenthemen. Dabei fiel auf, wie unterrepräsentiert Frauen in Führungspositionen waren und dass es bei den meisten Medien keinen Raum gab für Frauenthemen. Immer wieder stieß ich auf Restriktionen. Die in der Regel von Parteien oder anderen wichtigen Gruppen abhängigen Medien zementieren ein stereotypes Bild, das Frauen reduziert aufs „Soziale“. Und das wird Geschäftspolitik: So verweigern viele Medienhäuser den Journalistinnen die notwendigen Dokumente für den Erhalt eines Mitglieds- bzw. Presseausweises von der Journalisten-Union (IFJ), ohne den eine Journalistin faktisch rechtlos ist und nichts veröffentlichen kann.

Obwohl ich wusste, wie schwer es werden würde, habe ich ein Online-Me­dien­pro­jekt ge­gründet, das meinen Kolleginnen und mir ermöglicht, frei und ohne Angst über Probleme irakischer Frauen zu berichten. Und wer Lust zum Schrei­ben hat, kann dies bei uns probieren. Wir veröffentlichen Berichte, Geschichten, Jobangebote, kostenlose Anzeigen von Frauen mit geringem Einkommen. Begonnen haben wir als reines Nachrichtenportal, inzwischen sind wir auf Frauen-Themen fokussiert.

Was sind die größten Schwierigkeiten beim Aufbau eines unabhängigen Portals für Frauen?

Foto: Anja Weber

Petra Bornhöft

war lange Journalistin bei taz und „Spiegel“, ist Mit­glied im Kuratorium der Panter Stif­tung und leitet den gegenwärtigen Workshop für irakische Journalis­tinnen.

Wir schildern Probleme, welche die Gesellschaft gar nicht als Problem akzeptiert. Trotzdem fordern wir in unseren Texten Lösungen wie zum Beispiel Schutz für misshandelte Frauen, Strafverfolgung für Vergewaltiger, Schutz vor Verleumdung von Kandidatinnen bei politischen Wahlen, Ermutigung von Frauen in Männerberufen zu arbeiten, etwa beim Sicherheitsdienst oder Militär. Solche Themen sind die wohl größte Herausforderung.

Sehr schwierig sind auch die Finanzen. Anfangs bekamen wir von zivilgesellschaftlichen Gruppen etwas Geld für das Training von Jour­na­lis­t*in­nen und Blogger*innen. Unterstützung kam auch vom International Journalists’Network (IJNet). Wir haben Botschaften und internationale Organisationen gefragt, aber die unterstützen meist keine Medien. So sind wir vor allem von ehrenamtlicher Arbeit abhängig. Das ist unfair und schlecht für Produktion und Qualität.

Warum machen Sie trotzdem weiter?

Ich bin Journalistin geworden, weil ich gesellschaftliche Probleme benennen und jenen eine Stimme geben möchte, die nicht sprechen können. Medien haben großen Einfluss auf die öffentliche Meinung und politische Entscheider*innen, die marginalisierten Menschen, insbesondere Frauen und Minderheiten helfen können.