: Freiwilligendienst in der Pandemie-Edition
Die Pandemie schränkt Freiwilligendienste im Ausland stark ein. Das Programm „weltwärts“ ermöglicht als Alternative zu einem Freiwilligendienst im globalen Süden nun einen Freiwilligendienst in Deutschland, wenn die Ausreise in andere Kontinente nicht möglich ist
Von Emmy Thume
Hannah Bruckmann wurde von der Pandemie komplett überrascht. Sie war im Herbst 2019 aus Deutschland ausgereist, um im Rahmen eines Freiwilligendienstes ein Jahr lang an ugandischen Schulen Mathe und Englisch zu unterrichten. Die Arbeit hatte ihr dort so gut gefallen, dass sie sogar 15 Monate dort bleiben wollte. Sie finanzierte ihren Aufenthalt, der einige Tausend Euro kosten sollte, über einen Spendenkreis, den sie in ihrer Heimat Dinklage bei Vechta aufgebaut hatte.
Die Info, dass eine weltweite Pandemie ausgebrochen war, bekam die damals Achtzehnjährige in Uganda erst mit, als sie mit ihren Eltern telefonierte, die ihr von der Situation in Deutschland berichteten. „Ist ja blöd, aber hat ja nichts mit mir hier zu tun“, dachte sie zuerst. Denn in Uganda war die Lage damals noch nicht von Corona beeinflusst. Nur wenige Tage später bekam Hannah aber schon eine Nachricht von der Organisation, die sie nach Uganda vermittelt hatte, dass sie als Freiwillige lieber in ihr Heimatland zurückzukehren solle.
Hannahs erste Reaktion war, trotz der Empfehlung in Afrika bleiben zu wollen. Nach einer deutlichen Aufforderung ihrer „Entsendeorganisation“, das Land so schnell wie möglich zu verlassen, flog sie aber wenige Tage später zurück nach Deutschland. „Ein Tag nach meinem Rückflug wurde der ugandische Flughafen geschlossen. Im Nachhinein hatte ich Glück, dass ich überhaupt noch ausreisen konnte“, sagt sie.
Die Erinnerung an ihre letzten Tage in Uganda und die Aufgabe ihrer Freiwilligenarbeit machen sie traurig. „Sich Hals über Kopf von allen zu verabschieden und auch meinen Schüler:innen sagen zu müssen: Ich kann euch nicht weiter unterrichten, und ich weiß auch nicht, wer das übernimmt – das war hart für mich. Die Schulen wurden tatsächlich an dem Tag geschlossen, an dem ich geflogen bin, das war alles super überstürzt.“
Die Coronapandemie schränkt das Leisten von Freiwilligendiensten im Ausland durch die anhaltenden Reisebeschränkungen auch aktuell stark ein. Tina Hoffmann leitet den Bereich Entsendungen Nord-Süd bei der Koordinierungsstelle „weltwärts“. Sie berichtet, wie die ausgebrochene Pandemie das Programm veränderte: „Es gab eine riesige Rückholaktion von über dreitausend Freiwilligen, die aber zum Glück alle gesund innerhalb weniger Wochen zurück nach Deutschland gereist sind. Die Situation kam für alle sehr unerwartet. Natürlich gab es sehr viele Unsicherheiten, wie es für die Freiwilligen weitergeht.“
Auf den Weg in Länder des globalen Südens
Weltwärts ist ein Programm für Freiwilligendienste, welches vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ausgerichtet wird und mit dem auch Hannah in Uganda war. Junge Menschen aus Deutschland machen sich jedes Jahr im Sommer oder Herbst zahlreich auf den Weg in Länder des globalen Südens, um dort für sechs Monate oder ein Jahr einen Freiwilligendienst in einem sozialen oder entwicklungspolitischen Projekt zu absolvieren.
Das Programm richtet sich an Menschen zwischen 18 und 28 Jahren und besteht seit 2008. Weltwärts arbeitet mit Projekten in Asien, Afrika, Lateinamerika, Ozeanien und Osteuropa zusammen und zielt dabei auf internationale Partnerschaften und das Lernen im gegenseitigen Austausch ab. Dafür bietet „weltwärts“ Teile der Finanzierung des Freiwilligendienstes, die Vermittlung an eine Organisation zur Entsendung und auch Seminare zur Vor- und Nachbereitung an.
Seit 2008 sind rund 42.000 junge Menschen ausgereist und haben mit dem Programm einen Freiwilligendienst gemacht. Jährlich nehmen rund 3.000 Menschen am „weltwärts“-Programm teil. Dabei sind etwas mehr als die Hälfte der Teilnehmenden weiblich und durchschnittlich 19,5 Jahre alt.
Für Freiwillige, die ihren Dienst, im Gegensatz zu Hannah, in den letzten Monaten gar nicht erst antreten konnten, sich nach dem Abbruch noch weiter freiwillig betätigen wollten oder im Moment auf eine Ausreise warten müssen, bietet das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung momentan an, einen entwicklungspolitischen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Dabei können Freiwillige sich eigenständig ein Projekt im Bereich Bildung, Umwelt oder Kultur suchen, welches ihnen zusagt, und in diesem für bis zu sechs Monate arbeiten. Auch wenn das Projekt in Deutschland stattfindet, kann es als „weltwärts“-Freiwilligendienst angerechnet werden.
Im Moment befinden sich statt der durchschnittlich 30.000 Menschen nur 39 Freiwillige in insgesamt 3 Ländern im Freiwilligendienst. In Uganda, Ruanda und Thailand lässt die Sicherheitslage einen Freiwilligendienst aktuell zu und es werden Visa ausgestellt, um sich dort überhaupt aufhalten zu können. Tina Hoffmann arbeitet mit ihrem Team momentan an den Planungen für den neuen Freiwilligenjahrgang. Sie hofft, dass zum Herbst wieder eine Ausreise in mehr Länder möglich sein wird, um die entwicklungspolitische Zusammenarbeit wieder anlaufen lassen zu können und den Austausch zwischen den Ländern und den Gesellschaften herzustellen.
Social-Media-Präsenz mit Chat-Option
Um sich momentan über die Möglichkeiten eines „weltwärts“-Freiwilligendienstes zu informieren, gibt es eine Webseite (https://www.weltwaerts.de/de/startseite.html) und eine ausgeprägte Social-Media-Präsenz von „weltwärts“. Die „Entsendeorganisationen“, mit denen „weltwärts“ zusammenarbeitet, bieten oft Zoom-Seminare zur Vorbereitung an oder treten direkt mit den interessierten Freiwilligen in Kontakt.
Ausgangslage erfordert hohe Flexibilität
Sobald die Sicherheitslage in den jeweiligen Ländern es wieder zulässt, wird auch die Ausreise wieder möglich sein. Diese Ausgangslage erfordert jedoch eine hohe Flexibilität der Freiwilligen, die sich sowohl auf die Zeitplanung als auch auf die Finanzierung des Freiwilligendienstes bezieht. „Trotz allem“, sagt Hoffmann, „ist das Interesse an einem Freiwilligendienst weiterhin hoch und viele Bewerbungen gehen ein.“
Auch Hannah Bruckmann plant, nach Uganda zurückzukehren. Inspiriert durch ihren Aufenthalt dort, hat sie begonnen, Ethnologie in an der Hamburger Universität zu studieren. Doch die mittlerweile 19-Jährige möchte nächstes Jahr wieder nach Uganda reisen, um dort ein Praktikum zu machen und für ihre Bachelorarbeit zu forschen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen