Situation von Geflüchteten in Heimen: Unter dem Existenzminimum

Alleinstehende Geflüchtete werden teils Eheleuten gleichgesetzt – und Leistungen gekürzt. Das Düsseldorfer Sozialgericht hält das für falsch.

Mehrbettzimmer in einer Sammelunterkunft für Geflüchtete.

Gekürzte finanzielle Leistungen: Unterkunft für Geflüchtete in Berlin Foto: Christian Mang

FRANKFURT A. M. taz | Das Sozialgericht Düsseldorf hat Beschwerde am Bundesverfassungsgericht über die Höhe der Leistungen für Geflüchtete eingelegt. Konkret hält es die Kürzung der Leistung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für alleinstehende Flüchtlinge nicht mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für vereinbar, teilte das Gericht am Montag mit.

Hintergrund ist, dass die Bundesregierung seit 2019 alleinstehende Menschen in Geflüchteten-Sammelunterkünften generell mit Eheleuten gleichsetzt. Damit einher geht die Kürzung der Leistung um 10 Prozent.

Die Begründung im Gesetz von 2019: Durch ihr Leben in der Sammelunterkunft könnten die Geflüchteten Geld sparen, „etwa indem Lebensmittel oder zumindest der Küchengrundbedarf in größeren Mengen gemeinsam eingekauft und in den Gemeinschaftsküchen gemeinsam genutzt werden“. Auch Kosten für Freizeitaktivitäten wie die Anschaffung von Büchern könnten geteilt werden.

Wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) betont, auf deren Vorlage sich das Sozialgericht weitestgehend stützt, sei schon diese Grundannahme falsch. „Das Bild des ‚Ehepaares‘, das aus einem Topf wirtschaftet, geht völlig an der Realität in den Unterkünften vorbei“, sagte Sarah Lincoln, Juristin bei der GFF. „Die Be­woh­ne­r*in­nen sind sich in der Regel fremd – wegen erheblicher Sprachbarrieren und der hohen Fluktuation in den Einrichtungen.“

„Abenteuerlich und absurd“

Das werde aber gar nicht geprüft, kritisiert das Sozialgericht Düsseldorf. Die Anwendung der Kategorie „Paar­haus­halt“ setze „le­dig­lich die Unterbringung in einer Sam­mel­unter­kunft voraus“. Es ist also ein Automatismus, unabhängig davon, ob die Be­woh­ne­r*in­nen tatsächlich ge­mein­sam kochen, einkaufen und ihre Freizeit miteinander verbringen – oder eben nicht.

In ähnlichen Konstellationen außer­halb des Asyl­bewer­ber­lei­stungs­geset­zes habe sich der Gesetzgeber zudem bewusst dagegen entschieden, Leistungen zu kürzen, weil Menschen zusammenlebten, beispielsweise in WGs.

„Es ist es daher glasklar, dass die pauschale Eingruppierung von Alleinstehenden als Paare verfassungswidrig ist“, sagte die GFF-Juristin Lincoln der taz. „Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum gilt für alle Menschen in Deutschland und kann nicht einfach aus migrationspolitischen Erwägungen gekürzt werden.“ Das Bundesverfassungsgericht hatte den Gesetzgeber bereits mehrfach in Urteilen zum menschenwürdigen Existenzminimum gerügt.

Auch die Linken-Politikerin Ulla Jelpke sagte der taz: „Die Annahme, dass Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften wie Eheleute Geld einsparen, sei „von Anfang an abenteuerlich und absurd“ gewesen. Sie sei zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht das auch so sehen werde. Das Bundesarbeitsministerium, das die Reform 2019 ausgearbeitet hatte, konnte eine Anfrage der taz zum Thema aus Zeitgründen nicht beantworten.

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