: Die geduldige Justiz
Aachener Filmemacher verklagt das Land nach Polizeigewalt im Hambacher Wald
Fast viereinhalb Jahre ist es her: Am 3. Dezember 2016 wurde im Hambacher Wald Todde Kemmerich, 53, Filmemacher und Klimaaktivist aus Aachen, von einem Polizisten angesprungen, zu Boden geworfen und minutenlang fixiert, Gesicht im eisigen Waldboden. Es folgten Schläge. Eine Attacke aus dem Nichts, vor einem halben Dutzend ZeugInnen und vor laufenden Kameras sehr genau dokumentiert (taz vom 23. 7. 20). Kemmerich musste sich monatelang in ärztliche und therapeutische Behandlung begeben. Seitdem versucht er, sich juristisch zu wehren.
Passiert ist nicht viel. Staatsanwaltschaften und Strafgerichte sahen keinen Grund für eine Anklage. Alle Rechtsbeschwerden wurden abgewiesen bis hin zur Generalstaatsanwaltschaft Köln – mit teilweise nachweislich falschen Begründungen. So wurde etwa angeführt, es hätten damals vor Ort Rodungsarbeiten stattgefunden.
Der mutmaßliche Täter, Polizeihauptkommissar Dieter Z., Führer einer Einsatzhundertschaft, hat in der Vernehmung durch Kollegen der gleichen Dienststelle laut Protokoll ausgesagt, er sei in den Crash gestolpert. Also ein bedauerlicher Unfall, ein Versehen.
Ende 2019 hat Kemmerich zivilrechtlich das Land Nordrhein-Westfalen als Dienstherrn des Polizeibeamten verklagt. Dabei, sagt er, gehe es ihm nur in zweiter Linie um ein paar hundert Euro für die Reparatur seiner Kamera oder ein Schmerzensgeld, sondern schlicht um Gerechtigkeit: Wenn Strafgerichte nicht tätig werden, ist dies die letzte Chance, den mutmaßlichen Täter vor Gericht zu bekommen.
Dieser Zivilprozess sollte schon im Januar beginnen. Kläger, Anwälte und drei RichterInnen waren vor Ort, nicht aber die Akten. Jetzt sind die Akten da und alle vorgeladen, der mutmaßliche Täter, weitere fünf Einsatzkräfte und vier Zeugen. Der Film vom Geschehen soll erstmals öffentlich gezeigt werden, bislang war er Teil der strafrechtlichen Ermittlungsakten. Neuer Termin: der 20. April.
Am Freitag aber schrieb das Gericht plötzlich, „aufgrund des großen öffentlichen Interesses“ müsse man zur Suche eines ausreichenden Saals den Termin erneut verschieben. Datum: unbekannt. Kemmerich ist stinksauer und spottet: „Das mit dem Interesse war ja nun wirklich nicht zu erwarten, wenn so ein Polizist vor Gericht steht.“ (müll)
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