piwik no script img

Leben, wo andere nur campen

Die Nachfrage nach dauerhaftem Wohnen auf Campingplätzen steigt – rechtlich ist das aber umstritten. In Orten, die kaum TouristInnen haben, wird es bisweilen geduldet

Von Joachim Göres

Günstiger Wohnen als auf einem Campingplatz kann man fast nirgends. Und das Interesse steigt: „Ich habe jeden Monat im Schnitt fünf Anfragen von Menschen, die dauerhaft auf meinem Campingplatz wohnen wollen. Es sind vor allem RentnerInnen mit wenig Geld, die sich bei mir melden“, berichtet Erkan Toluk. Er bietet auf seinem Campingplatz Alvern am Rande von Celle 65 Stellplätze an. Derzeit gibt es acht CamperInnen, die auf dem Platz ihren Hauptwohnsitz haben. Wer dort seinen Wohnwagen plus Vorzelt auf einem 70 Quadratmeter großen Platz aufstellt, zahlt 420 Euro – im Jahr! Die größten Grundstücke für Jahresplätze umfassen 200 Quadratmeter, macht 1.200 Euro. Hinzu kommen einmal jährlich 80 Euro für Müll und Abwasser.

Gunter Riechey, Präsident des Bundesverbandes der Campingwirtschaft in Deutschland, hält das dauerhafte Wohnen auf einem Campingplatz hingegen für ausgeschlossen: „Einen Campingplatz kann man in der Regel nur zeitlich befristet nutzen, ein erster Wohnsitz ist dort nicht möglich.“ Er betreibt selbst Campingplätze in Mecklenburg-Vorpommern.

Toluk indes würde gern weitere Stellplätze an Dauercamper vermieten. Doch er darf nicht. Die Stadt Celle hat den 1. August 2019 als Stichtag festgelegt – wer zuvor dauerhaft auf dem Campingplatz Alvern lebte, darf bleiben, alle anderen Dauercamper mussten mittlerweile den Platz verlassen. Begründet wird dies mit dem Baurecht. „Es ist auf keinem Campingplatz oder Wochenendhausgebiet im Landkreis Celle baurechtlich gestattet, sich dort mit dem ersten Wohnsitz anzumelden“, sagt Myriam Meißner, Pressesprecherin der Stadt Celle.

Im Nachbarlandkreis Gifhorn interpretiert man die Bestimmungen des Baugesetzbuches anders. Seit der Neuregelung 2017 heißt es dort in Paragraf zwölf: „Soll in bisherigen Erholungssondergebieten auch Wohnnutzung zugelassen werden, kann die Gemeinde einen vorhabebezogenen Bebauungsplan aufstellen, der insbesondere die Zulässigkeit von baulichen Anlagen zu Wohnzwecken in diesem Gebiet regelt.“ Sprich: Die Kommunen können das Dauerwohnen auf Campingplätzen erlauben.

Auf dem 140.000 Quadratmeter großen Gelände Seepark Südheide im Gifhorner Stadtteil Wilsche sind von den rund 1.500 Stellplätzen etwa 400 dauerbewohnt. „Wer mit uns einen Vertrag zwischen einem und 15 Jahren abschließt, kann hier seinen Hauptwohnsitz anmelden. Die Behörden dulden diese Nutzung seit 20 Jahren. Und die politischen Gremien haben signalisiert, dass sie dieses Thema im Sinne der MieterInnen rechtlich regeln wollen“, sagt Johann Wilhelm Rabben, Eigentümer von einem der insgesamt zehn Campingplätze am Seepark Südheide.

Er betreibt einen weiteren Campingplatz im Ammerland. Dort sind Dauercamper aber nicht willkommen. „Regionen, die vom Tourismus leben, wollen auf den Campingplätzen keine festen Bewohner haben. In Gifhorn ist das anders, dort gibt es wenig Tourismus“, sagt Rabben. Auf seinem Campingplatz am Seepark Südheide wohnen viele Dauercamper in Mobilheimen auf einer maximalen Grundfläche von 40 Quadratmetern.

Wer sich ein zweigeschossiges Mobilheim anschafft, kann seine Wohnfläche verdoppeln. Gebrauchte Mobilheime kosten laut Rabben rund 20.000 Euro, für neue Modelle muss man etwa 80.000 Euro zahlen. Sie stehen auf Grundstücken zwischen 100 und 350 Quadratmetern, für die im Jahr zwischen 720 und 3.200 Euro zu zahlen sind. „Das ist günstig, Campingplätze in anderen Regionen sind viel teurer“, sagt Rabben. Hundehaltung ist möglich, Strom-, Wasser-, Gas-, Festnetz- und Internetanschluss sind gewährleistet. Rabben betont: „Nicht das Geld ist ausschlaggebend für die Entscheidung, auf einem Campingplatz zu leben.“

80 Prozent seiner DauercamperInnen hätten vorher ein Einfamilienhaus mit großem Grundstück gehabt, das ihnen im fortgeschrittenen Alter zu viel Arbeit gemacht habe. Zudem fühlten sich gerade Ältere nach einem Generationenwechsel in ihrer langjährigen Nachbarschaft häufig isoliert. Viele seien alleinstehend. „Auf dem Campingplatz kommt man schnell miteinander in Kontakt, die BewohnerInnen schätzen diese Gemeinschaft. Und sie mögen die Freiheit und das Leben in der Natur“, sagt Rabben und fügt hinzu: „Bei uns leben keine armen Leute – das Geld aus dem Hausverkauf stecken viele in ein Mobilheim und in ein Wohnmobil, mit dem sie herumreisen können.“ Derzeit sind alle Grundstücke für Mobilheime vermietet, für Tinyhäuser gibt es vereinzelt Stellplätze. Die Warteliste ist lang, die Fluktuation gering. Manchmal kündigt Rabben einen Vertrag: „Das passiert selten, kommt aber vor, wenn es nicht passt.“

Die unsichere rechtliche Situation spiegelt sich in Internetforen, in denen InsiderInnen Tipps geben und CamperInnen Erfahrungen austauschen, wie man sich am besten verhält, um auf einem Campingplatz ständig wohnen zu können. Nicht selten wird geraten, auf eine Anmeldung bei den Behörden zu verzichten, um nicht schlafende Hunde zu wecken. Bei diesen Internetseiten fallen die vielen Werbeanzeigen auf – HerstellerInnen und HändlerInnen von Mobilheimen, Wohnwagen, Tiny Houses, Zirkuswagen, Wohncontainern und weiteren beweglichen Unterkünften bieten dort ihre Dienste an.

Verbandspräsident Riechey weiß, dass wegen der coronabedingten Schließung der Campingplätze für TouristInnen vielen BetreiberInnen die Einnahmen aus der Dauervermietung ganz gelegen kämen. Er zeigt sich dennoch optimistisch und spricht für 2020 im Vergleich zum Vorjahr von einem Umsatzminus von „unter fünf Prozent“ auf den 1.200 von seinem Verband vertretenen Campingplätzen: Im europäischen und auch im Vergleich zu anderen Beherbergungsformen sei dies „ein großer Erfolg“, der beweise, dass Camping in Deutschland eine attraktive und sichere Reiseform sei. Seine Betonung liegt auf Reisen – nicht auf Wohnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen