Der Raum zwischen Steterburg und New York

Lienhard von Monkiewitsch liebt es zu enttäuschen. Goslar und Hannover begehen den 80. Geburtstag des Braunschweiger Meisters mit Ausstellungen, die online witzlos bleiben

Scheinarchitektur aus gesiebter Erde, versunken im Unerklärlichen: Begegnung mit „Torso II“ im Sprengel-­Museum Foto: Studio Monkiewitsch

Von Bettina Maria Brosowsky

Hannover war eine der 65 Bewerberinnen um ein dreiwöchiges niedersächsisches Modellprojekt, das ab dem 12. April weitreichende Corona-Lockerungen in sogenannten sicheren Zonen ermöglichen soll. Allerdings befand das Gesundheitsministerium die Inzidenz der Landeshauptstadt als zu hoch.

Daher bleibt also das Sprengel-Museum vorerst geschlossen, ebenso wie die Städtische Galerie Kubus und die angegliederte Galerie von Zufall und vom Glück. Damit sind auch drei Ausstellungen zum 80sten Geburtstag des in Braunschweig lebenden Malers und Objektkünstlers sowie Hochschulprofessors im Ruhestand, Lienhard von Monkiewitsch, vom Publikum abgeschnitten.

Kunst ist nur in Goslar sinnvoll

Bis auf Weiteres öffnet allein das Mönchehaus-Museum in Goslar, das als vierter Beteiligter kleinere Formate und eher experimentelle Stücke aus dem internen Gebrauch des Ateliers zeigt, nach Voranmeldung für Besuche. Nun mag es ja sein, dass sich mittlerweile je­de:r an Vorbesichtigungen, Ausstellungseröffnungen und Rundgänge in virtuellen Formen gewöhnt und auch eigene Fertigkeiten einer vervollständigenden Vorstellungskraft trainiert hat – nur: bei den teils riesenformatigen visuellen Täuschungsmanövern des Lienhard von Monkiewitsch nützt dieses imaginative Handwerkszeug rein gar nichts. Man muss sich den Arbeiten in natura stellen, um sie zu verstehen und auch die Komplexität ihrer Handwerklichkeit zu erkennen.

Monkiewitsch geht es nämlich um die Urfrage der Malerei, wie der dreidimensionale Raum im zweidimensionalen Tafelbild so dargestellt werden kann, dass er von den Re­zi­pi­en­t:in­nen als Raum gelesen wird. Der Renaissance wird gemeinhin zugeschrieben, die mathematischen Gesetze der Perspektive neu entdeckt und als geometrisch konstruierbare Raummodelle für den Gebrauch in den Künsten erschlossen zu haben. Seit damals gibt es den berechneten Blick in den Innenraum, die sogenannte Zentralperspektive, die Betrachtung über Eck, oder auch, wenn der Augpunkt sehr hoch wandert, die Vogelschau als Überblick über eine Situation. Der Städtebau entdeckte die dreidimensionale Tiefe der langen Straßenflucht, hineingeschlagen, zumindest in der Planung, in den mittelalterlichen Körper der Stadt. Er ersann zudem Platzräume, die mit perspektivischen Prinzipien ihre Dimension thematisierten, manipulierten, dramatisierten. Aber vielleicht bestand die eigentliche Kulturleistung der Perspektive und damit der Bildproduktion der Renaissance ja darin, das menschliche Sehen an sich dargestellt und das Individuum zum Akteur in dieser neuartigen räumlichen Betrachtung ermächtigt zu haben.

„Lienhard von Monkiewitsch. Zum Achtzigsten“, Sprengel-Museum und Städtische Galerie Kubus, Hannover, bis 31. 5., derzeit geschlossen

„Lienhard von Monkiewitsch. Hommage zum 80. Geburtstag“, Mönchehaus-Museum, Goslar, bis 11. 7. An Wochenenden geöffnet nach Anmeldung unter ☎05321-295 70 oder via Mail: info@moenchehaus.de

Denn die Be­trach­te­r:in­nen traten nun förmlich in die Bildräume ein, sahen sich als bildproduzierenden Teil der Darstellung. Sie waren aber auch vor die Aufgabe gestellt, sich dieses Sehens als bewusst angelegtes Schauen gewahr zu werden und deshalb eher eine skeptische, distanzierte Haltung zu kultivieren, als sich einfach nur emotionaler Teilhabe hinzugeben.

Hier setzt auch Monkiewitsch an, mit den bildnerischen Mitteln einer abgeklärt konkreten Moderne. Einerseits bietet er penibel bis hinein in den Schattenwurf konstruierte und gemalte, abstrakte und von allem Beiwerk befreite, reine Raumgebilde an. Andererseits richtet er sie mit klaren Eingriffen so zu, dass sie Irritation oder Verwunderung provozieren: Die illusionistische Täuschung „enttäuscht“ auch wieder, wie Monkiewitsch es ausdrückt.

In der Begegnung etwa mit dem „Torso II“ von 1980 scheint man in die geradezu physische Beklemmnis zwischen zwei schräg in den Raum ragende Betonwände geraten zu können. Aber die Fiktion wird gebrochen, denn die Raumkomposition ist, ganz realitätsverweigernd, an ihrem unteren Ende messergerade abgeschnitten. Je nach Interpretation der Betrachtenden schweben die Wände also unerklärlich über dem Boden oder versinken in etwas noch Unerklärlicherem. Gemalt ist die Scheinarchitektur mit einer altmeisterlichen Akribie, wobei auch die Bezeichnung „malen“ nicht stimmt: Sie ist aus fein gesiebter, bräunlich-grauer römischer Erde, mit Leim vermengt, in mehreren Schichten per Spachtel auf die dreiteilige Leinwand aufgetragen, die genau der Kontur dieses Raumgebildes folgt.

Die Erde stammt deshalb aus Rom, weil diese Arbeit während eines Jahresaufenthalts in der Villa Massimo entstand. Der Rom-Preis der Deutschen Akademie gilt als bedeutendstes Auslandsstipendium für deutsche Künstler:innen. Das ortsspezifische Material stärkt somit eine zeitbezogene Authentizität des Bildobjekts. Es soll aber nicht, wie etwa bei Antoni Tàpies, als körnige Textur einen gestischen Ausdruck tragen. „Torso II“ ist eines von 20 Werken aus der Sammlung des Sprengel-Museums. Das widmet sich dem Künstler seit fast 50 Jahren. Der letzte Ankauf erfolgte 2020.

Auch die Biografie des Lienhard von Monkiewitsch prägt der Spannungsbogen zwischen niedersächsischer Provinz und großer Welt. 1941 in Steterburg, heute ein Teil Salzgitters, geboren, studierte Monkiewitsch von 1964 bis 1967 Kunstpädagogik an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig und anschließend, bis 1969, Malerei und Grafik. Direkt danach führte ihn ein Paris-Stipendium an die Seine. Er erhielt nationale Kunstpreise, ab 1985 folgten längere Arbeitsaufenthalte in Los Angeles und Ausstellungen dort sowie in New York, Boston, London und Tokio.

In Goslar zu sehen: Komposition mit dem Zufall, 1988 Foto: Monkiewitsch/Mönchehaus

Malen im alten Stellwerk

Da war er aber schon, seit 1980, Professor für Malerei an der Hochschule für bildende Künste in Braunschweig, bis zum Ruhestand 2006 fungierte er einige Jahre auch als deren Vizepräsident. Seitdem ist er nur noch seinem Werk verantwortlich, wie er es sagt. Täglich zieht es ihn ins Atelier, ein aufgelassenes Stellwerk am Braunschweiger Bahnhof. Nach den akademisch anmutenden Bildforschungen der konkret-konstruktivistischen Jahre – Monkiewitsch beschäftigte sich auch in Farbfeldmalereien mit den proportionalen Progressionen der Fibonacci-Zahlenreihen oder suchte in Paraphrasen des Schwarzen Quadrats von Malewitsch nach dem räumlich tiefsten Schwarz – scheinen in seinem Spätwerk auch der Zufall und die gestisch lockere Skizze zu ihren selbstverständlichen Rechten zu kommen. Davon erzählt der Ausstellungsteil im Hannoverschen Kubus.

Zur Persönlichkeit des Jubilars gehört auch, dass die beiden Kinder, Tochter und Sohn, ganz selbstverständlich ihre Wege in die Kunst fanden. Er selbst ist seit Langem zweiter Vorsitzender des kleinen Kunstvereins in Wolfenbüttel, seine Ehefrau Vereinsvorsitzende im Braunschweiger Museum für Photographie – ein Künstler aus der Provinz und der Provinz verpflichtet, und dabei das Gegenteil von provinziell.