Neues Album von Alice Phoebe Lou: Ein Ventil, um Dampf abzulassen

Kopfhörer auf und wegbeamen: Die südafrikanische Songwriterin Alice Phoebe Lou veröffentlicht mit „Glow“ ein neues Album.

Schwarz-Weiß-Porträt von Alice Phoebe Lou

Die südafrikanische Singer-Songwriterin Alice Phoebe Lou Foto: Andrea Rojas

Monatelang war Lockdown „light“ im kalten Winter und jetzt geht es rein in die dritte Welle. Düstere Aussichten, aber anscheinend der beste Zeitpunkt für die südafrikanische Künstlerin Alice Phoebe Lou, um ihr Album „Glow“ zu veröffentlichen. Wenn sowieso nichts geht, einfach hinlegen, Kopfhörer auf und Wegbeamen: hin zu den Traumstränden dieser Welt. Wo man dann, wenn die Pandemie dereinst überstanden ist, am Tresen einer scheddrigen Strandbar sitzt. Sie wäre das perfekte Setting für diese Musik.

„Glow“ vermittelt das Gefühl von Hochsommer, wenn die flirrende Hitze jede Bewegung erschwert

Denn „Glow“ klingt entspannt, träge, warm und organisch. Es vermittelt das Gefühl von Hochsommer, wenn die flirrende Hitze jede Bewegung erschwert. Ihre Songs mäandern vor sich hin, als würden sie sagen: Nur die Ruhe, wir haben es nicht eilig. Doch der unbeschwerte Eindruck täuscht, unter der Oberfläche brodelt es: Die 28-Jährige singt traurige Geschichten über gescheiterte Liebe und Verlust. Wie bei „Lovesick“: „I’m sick with love / It’s got me where it hurts“. Lou sagt, ihre Musik sei ein Ventil, um Dampf abzulassen. Um die bitteren Erfahrungen zu verarbeiten, die auch sie im Coronajahr 2020 gemacht hat.

Für Alice Phoebe Lou war es eine Vollbremsung. Geboren in Kapstadt als Kind von zwei Filmschaffenden, war sie von Kindesbeinen mit künstlerischer Arbeit vertraut. Die Jugend verbrachte sie als Straßenmusikerin in Paris, Amsterdam und Berlin, wo sie schließlich wohnen blieb. Aufmerksamkeit bekam Alice Phoebe Lou schon für ihr Debütalbum „Orbit“ (2016), damals war sie noch mit dem Image der talentierten Straßenmusikerin behaftet. Beim zweiten Album, „Paper Castles“ (2019), nahm ihre Karriere an Fahrt auf. Während der anschließenden Tournee reiste sie um die ganze Welt und gab mehr als 100 Konzerte.

Die Aufnahmen für ein neues Album in einem kanadischen Studio waren bereits in Planung. Dann brach Corona aus. Alice Phoebe Lou bleibt zurückgezogen in Berlin, verbringt so viel Zeit an einem Ort wie nie zuvor. Kämpft mit persönlichen Krisen. Das alles fließt ein in „Glow“. Ersatzweise organisiert sie ein Studio in Dresden. Dort entsteht die Musik. Die Einsamkeit in der Coronazeit zwingt sie, sich komplett auf sich selbst und ihre Gefühle zu konzentrieren. Dazu will sie auch ihre Hö­re­r:In­nen mit dem Album ermutigen: „Beim Komponieren habe ich mich meinen Abgründen gestellt. Ich zeige anderen damit, dass dies hilfreich sein kann.“ Im Auftakt „Only When I“ singt Lou: „You didn’t heal me but I healed / From the things that you do“.

Alice Phoebe Lou: „Glow“ (Alice Phoebe Lou/Believe/Edel)

Glück im Unglück

Alice Phoebe Lou hält sich dennoch für privilegiert: Eine Aufnahme war ohnehin geplant, Tourneen absagen musste sie nicht. Die Zwangspause habe sie gebraucht, sagt sie.

Das Studio in Dresden erweist sich als Glücksort. Vintage-Equipment hilft ihr dabei, einen besonders organischen Sound zu kreieren. Das ist auch der wesentliche Unterschied zum Vorgänger. Beim Auftaktsong „Only When I“ fühlt es sich an, als ob Lou direkt im Raum stehen und ihre Worte ihren Hö­re­r:In­nen sachte ins Ohr singen würde. Atmen und Knistern vermitteln Nähe. Sparsame Instrumentierung lässt wunderschöne Melodien entfalten. Die Songs „Only When I“ und „Heavy // Light as Air“ bauen sich allmählich auf und entfalten dann unglaublichen Sog: Singer-Songwriter-Dream-Pop mit dezentem R&B-Einfluss.

Manchmal überfrachtet Alice Phoebe Lou ihre Musik noch zu viel. Im Titeltrack „Glow“ etwa konkurrieren Instrumentierung und Stimme unnötig um Aufmerksamkeit. Sein Sound wirkt rauer, aber auch zielloser. „Dirty Mouth“ nimmt dann plötzlich Geschwindigkeit auf und klingt nach leichtfüßigem Pop. Doch so einfach lässt Lou die Hö­re­r:In­nen nicht davonkommen. Danach macht sie wieder einen Bruch. Die restlichen elf Songs sind dann gemächlich, was zum entspannten Charakter des Albums beiträgt. Damit sind die einzelnen Songs auch schwerer zu identifizieren.

Als Alice Phoebe Lou sie 2020 aufnahm, hoffte sie noch, dass bis zur Veröffentlichung heute alles wieder normal sein würde. Jetzt musste auch sie ihre anstehende Tournee verschieben. Trotzdem hielt sie am Veröffentlichungstermin fest. „Die Musik ist noch frisch, deshalb wollte ich sie möglichst schnell rausbringen.“ Vielleicht können ihre Songs helfen, durch die dritte Welle zu kommen.

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