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Opposition? Unerwünscht

Russische Polizei sprengt Treffen von Oppositionspolitikern zur Vorbereitung der Parlamentswahlen

Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Es sollte das erste größere Treffen der Opposition in Russland in diesem Jahr werden. Im Hotelkomplex Ismailowo am östlichen Rand der Hauptstadt waren rund 200 Abgeordnete aus Kreis- und Stadtparlamenten zusammengekommen. Auf der Tagesordnung stand die Strategie für die Wahlen zur Duma im September.

Die Teilnehmer hatten sich kaum miteinander bekannt gemacht, als mehrere Dutzend Polizisten den Versammlungssaal stürmten, die Ausgänge blockierten und einen nach dem anderen Volksvertreter abführten und in einem Gefangenentransporter abfuhren. Unter ihnen war der Vorsitzende des Moskauer Krasnoselki-Rayons, Ilja Jaschin. Er wurde von der Polizei unsanft aus einem Interview gezerrt. Auch der ehemalige Bürgermeister Jekaterinburgs, Jewgeni Roisman, Andrei Piwowarow und Wladimir Kara-Mursa waren darunter. Nach mehreren Stunden verteilt auf neun Polizeiwachen kamen die Abgeordneten wieder frei.

Der Anlass der Festnahmen war zunächst nicht eindeutig. Angeblich griff die Polizei wegen der Tätigkeit einer „in Russland unerwünschten Organisation“ ein. Das konnte nur die Gruppe „Offenes Russland“ sein, die vom ehemaligen, lange inhaftierten russischen Ölmagnaten Michail Chodorkowski gegründet wurde. „Offenes Russland“ war vor längerer Zeit in Russland zur „unerwünschten“ Organisation erklärt worden. Andrei Piwowarow und Wladimir Kara-Mursa sind für sie nach wie vor tätig. Das Treffen in Moskau soll jedoch von der Initiative „Vereinigte Demokraten“ veranstaltet worden sein. Sie ist bislang noch nicht verboten. Hinweise zu „Offenes Russland“ will die Staatsanwaltschaft auf der Website eines Mitwirkenden entdeckt haben. Schließlich entschied sich die Polizei für die Lösung, die Konferenzteilnehmer wegen Verstößen gegen Corona-Schutzauflagen zur Verantwortung zu ziehen. Den zweiten Konferenztag verbrachten die Teilnehmer in kleinem und „persönlicherem Kreis“, um einen weiteren Polizeieinsatz zu verhindern.

„Die Mächtigen haben Angst vor Konkurrenz bei den Wahlen, deshalb schüchtern sie die Opposition ein“, meinte das Team des in Lagerhaft sitzenden Oppositionsführers Alexei Nawalny auf Telegram. Wo der Herausforderer Präsident Wladimir Putins untergebracht ist, weiß unterdessen niemand. Am Freitag war er aus dem Untersuchungsgefängnis im Gebiet Wladimir woanders hin verlegt worden. Offensichtlich wurden auch die Angehörigen vorher nicht informiert.

Die „repressive Maschine“ des Kreml habe inzwischen ein Eigenleben angenommen, meint Kara-Mursa. Trotz der massiven Proteste im Januar ist die Opposition aus den Auseinandersetzungen nicht wesentlich gestärkter hervorgegangen. In einer Umfrage des Lewada-Instituts gaben zwar nur 27 Prozent der Bürger an, sie wollten im September für einen Kandidaten der Kremlpartei „Vereintes Russland“ stimmen. Doch bis zu den Wahlen vergehen noch sechs Monate, die der Kreml nutzen wird. Auch wenn viele Wähler unzufrieden sind, schrecken sie noch davor zurück, der Opposition die Stimme zu geben.

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