Frauenschutz reicht nicht aus

Bündnis kritisiert mangelhafte Umsetzung der Istanbul-Konvention

Von Patricia Hecht

Auch drei Jahre nach Inkrafttreten der Istanbul-Konvention, des europaweiten Übereinkommens gegen Gewalt gegen Frauen, fehlen in Deutschland eine ressortübergreifende Gesamtstrategie, handlungsfähige Institutionen und die nötigen Ressourcen, um die Konvention umzusetzen. Das ist das Fazit des zivilgesellschaftlichen Bündnisses Istanbul-Konvention, das am Donnerstag seinen Bericht zur Umsetzung der Konvention vorgelegt hat. Mitglied im Bündnis sind derzeit mehr als 20 Organisationen, darunter der Deutsche Frauenrat, die Frauenhauskoordinierung, Medica Mondiale und der Deutsche Juristinnenbund.

Insbesondere für Frauen mit Flucht- oder Migrationsgeschichte, mit Behinderungen, diversen geschlechtlichen Identitäten oder in Wohnungslosigkeit sei der in der Konvention verankerte Zugang zu Prävention, Schutz, Beratung und Recht mangelhaft, so das Bündnis. „Noch immer sind Frauen und Mädchen in Deutschland nicht ausreichend vor Gewalt geschützt“, so Dorothea Zimmermann von der Bundesarbeitsgemeinschaft Feministischer Organisationen gegen Sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen. Die NGOs wollen mit dem Bericht nun in einen Dialog mit der Bundesregierung treten, um den Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt voranzubringen.

Die Istanbul-Konvention ist ein Menschenrechtsabkommen des Europarats gegen geschlechtsspezifische Gewalt. Seit Februar 2018 ist die Bundesregierung damit verpflichtet, Gewalt gegen Mädchen und Frauen auf allen Ebenen zu bekämpfen und zu bestrafen. Der eigene Bericht der Bundesregierung vom September 2020 allerdings, der die Maßnahmen zum Gewaltschutz von Bund und Ländern beschreibt, kommt zu dem Schluss, rechtlich sei die Konvention in Deutschland bereits umgesetzt. Man müsse nur nachsteuern.

Der nun vorliegende Alternativbericht beschreibt diese Situation völlig anders. Auf knapp 200 Seiten legt das Bündnis den Stand der Umsetzung der Konvention aus zivilgesellschaftlicher Perspektive dar. Geordnet nach den 61 Artikeln der Konvention geht der Bericht dabei detailliert auf einzelne Phänomene ein und spricht pro Artikel konkrete Handlungsempfehlungen an die Bundesregierung aus.

Bei Artikel 25, „Unterstützung für Opfer sexualisierter Gewalt“, heißt es etwa: Konzepte und Angebote der medizinischen Notfallhilfe bei sexualisierter Gewalt seien häufig qualitativ unzureichend. Ein flächendeckendes Angebot der Notfallhilfe nach Vergewaltigung in Deutschland sei nicht gewährleistet. Empfohlen wird unter anderem, bundesweite Qualitätsstandards für die Notfallhilfe nach sexualisierter Gewalt zu entwickeln.

Bei Artikel 51, „Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement“, heißt es, in Deutschland fehle eine flächendeckende Analyse von Gefährdungen und Gewalt in Partnerschaften, um schwere Gewalt bis hin zu Tötungen von Frauen zu verhindern. Behördliche Strukturen stellten dabei sogar oft Barrieren für ausreichenden Gewaltschutz dar.

Im Herbst sollen Ex­per­t:in­nen des Europarats nach Deutschland reisen, um zu beurteilen, wie es um die Umsetzung der Konvention steht, und dafür auch mit Ver­tre­te­r:in­nen der Zivilgesellschaft sprechen. Der Bericht der Gruppe ist für September 2022 angesetzt.

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