Bedeutung der Istanbul-Konvention: Gefahr für Leib und Leben

Der Ausstieg aus der Istanbul-Konvention ist verheerend für die Frauen in der Türkei. Doch auch hierzulande wird sie nur mangelhaft umgesetzt.

Menschenmenge demonstriert, lila Fahne im Vordergrund

Der Austritt aus der Istanbul-Konvention hat in der Türkei am Wochenende zu vielen Protesten geführt Foto: dpa

Der türkische Präsident ließ es in der Nacht zu Samstag per Dekret verkünden: Sein Land steigt aus der Istanbul-Konvention aus, dem verbindlichen Übereinkommen des Europarats gegen Gewalt gegen Frauen. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth sprach von einem „Schlag ins Gesicht“ aller Frauen in der Türkei – und selten war der Ausdruck so bedrückend angemessen wie in diesem Fall.

Dass die Türkei aus der Konvention aussteigt, ist verheerend für die Frauen- und Menschenrechtslage vor Ort. Zum einen zeigt es, wie grundlegend die systematische Unterdrückung von Frauen für autoritäre Regime ist – auch in Polen wackelt die Konvention. Zum anderen bedeutet es eine konkret steigende Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Frauen.

Die Konvention hatte die Möglichkeit geschaffen, sich juristisch gegen häusliche und sexualisierte Gewalt zu wehren, auf den Aufbau eines umfassenden Hilfssystems gesetzt, gesellschaftlichen Wandel angestrebt. Nun befürchten Frauenrechtsorganisationen eine weitere Zunahme der ohnehin steigenden Zahl von Femiziden in der Türkei.

Fast zeitgleich zu deren Austritt ist in Deutschland der Bericht eines großen zivilgesellschaftlichen Bündnisses zum Stand der Umsetzung der Konvention hierzulande erschienen. Anders als es die Bundesregierung selbst darstellt, zeigt der Bericht: Auch hierzulande gibt es gravierende Lücken beim Gewaltschutz von Frauen. Insbesondere für migrantische Frauen oder LSBTI sei der rechtlich garantierte Schutz in der Praxis „mangelhaft“, heißt es im Bericht.

Nun ist es wichtig, dass Deutschland den Austritt der Türkei auf diplomatischer Ebene kritisiert. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es, er sei „ein falsches Signal“: Weder kulturelle noch religiöse Traditionen könnten als Deckmantel dienen, Gewalt gegen Frauen zu ignorieren. Um bei dieser Kritik glaubwürdig zu sein und Frauen hier wie dort zu schützen, muss die Bundesregierung zugleich eingestehen, selbst zu wenig für den Schutz von Frauen zu tun – und die Konvention endlich umsetzen.

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war Chefin vom Dienst in der Berlinredaktion, hat die Seite Eins gemacht und arbeitet jetzt als Redakteurin für Geschlechterpolitik im Inland. 2019 erschien von ihr (mit M. Gürgen, S. am Orde, C. Jakob und N. Horaczek) "Angriff auf Europa - die Internationale des Rechtspopulismus" im Ch. Links Verlag. Im März 2022 erscheint mit Gesine Agena und Dinah Riese "Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte" im Verlag Klaus Wagenbach.

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