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King gegen Turnschuh

Wegen explodierender Mieten und des Coronalockdowns droht eine Pleitewelle im Kleingewerbe. Das Land Berlin und die Grünen wollen die Gewerbemieten begrenzen

Bereits 2017 machten Gewerbetreibende auf der Oranienstraße mit einer Verdunkelungsaktion ihrer Schaufenster auf steigende Mieten und Verdrängung aufmerksam Foto: Karsten Thielker

Von Ansgar Warner

200 Prozent Einnahmeplus in zehn Jahren, das klingt nach mächtig viel Rendite. Oder nach Pleitegeier für diejenigen, die die Rechnung zahlen müssen – wie im Fall explodierender Gewerbemieten. Einen dreistelligen Anstieg bei den Mieten von Ladenflächen beklagte vor zwei Jahren der Berliner Senat, zumindest in sogenannten 1B-Lagen, also im Umkreis der innerstädtischen Zentren. Und trat voll in die Eisen, zumindest theoretisch: im Bundesrat wurde der Entwurf für eine Gewerbemietpreisbremse eingebracht, leider ohne große Resonanz.

Die gute Nachricht: Ganz so schlimm sind die Mietsteigerungen wohl doch nicht, denn die Landespolitiker hatten sich offenbar verrechnet. Insgesamt zogen die Gewerbemieten in der Hauptstadt wohl von 2009 bis 2019 „nur“ um knapp 60 Prozent an, wiesen RBB-Journalisten Anfang 2020 nach. Ein paar Wochen nach diesem rechnerischen Rabatt rasselten allerdings coronabedingt die Rollläden hinunter.

Plötzlich war es völlig egal, wie hoch die Mieten für Baumärkte, Boutiquen oder Bierschwemmen nun seien mögen, denn in vielen Branchen kam überhaupt kein Geld mehr rein. Immerhin: Alle Mieten, auch für Gewerbetreibende, wurden zwischen April und Juni 2020 per Bundesgesetz gestundet, für die Rückzahlung haben die Geschäftsleute 24 Monate Zeit.

Am grundsätzlichen Problem im Kiez ändert das allerdings gar nichts: „Gewerbemieter haben nun einmal keinen gesetzlichen Schutz, der mit dem von Wohnungsmietern vergleichbar ist“, so Stefan Klein von der Kiezgewerbe-Initative KiGe, die sich im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für die Interessen von Gewerbemietern einsetzt. Und die Mieten steigen eben steiler an als früher: „Wir beobachten ein allgemeines Umsichgreifen der Gier“, berichtet Stefan Klein. Gespeist wird die Geldgeilheit durch diverse Motive: mal sei es die Hausverwaltung, die sich dem Vermieter gegenüber als effizient erweisen will, mal sei es die Erbengeneration ohne persönliche Verbindung zu den Mietern und Gewerbetreibenden vor Ort. Vom anonymen, rein renditegesteuerten Finanzkapital mal ganz abgesehen.

Gewerbemieter haben keinen vergleichbaren Schutz wie Wohnungsmieter

Die Profitinteressen der wenigen gehen an der renditelosen Realität der vielen aber komplett vorbei. „Für Kleingewerbemieter war der Späti oder der Zeitschriftenladen oft auch schon bisher ein Zuschussgeschäft, querfinanziert mit der Rente, etwa um den sozialen Kontakt aufrechtzuerhalten“, so Klein. Die Verhandlungsposition ist dementsprechend oft eher schlecht: „Ein großer Ankermieter wie Saturn in der Shoppingmall kann vielleicht die Miethöhe diktieren, der kleiner Einzelhändler an der Ecke kann das nicht, da ist dann der Vermieter King und der Mieter Turnschuh.“

In Coronazeiten hat sich der Beratungsbedarf finanziell bedrohter Geschäfte stark erhöht, es herrscht Krisenstimmung: „Die Leute rennen uns derzeit die Bude ein mit ihren Problemen. Wir erwarten eine Insolvenzwelle von Kleingewerbetreibenden. All jene, die die Schönheit unserer Kieze ausmachen, drohen dabei zu verschwinden“, befürchtet der studierte Jurist. Die KiGe-Aktivisten gehen bei ihrer Beratung in drei Schritten vor: Als Erstes wird die rechtliche und wirtschaftliche Situation analysiert. Also ganz nüchtern auch die Frage angeschnitten: Lohnt sich das Geschäftsmodell überhaupt noch?

Falls bereits eine Räumungsklage im Raum steht, empfiehlt die KiGe kompetente Anwälte mit Mietrechtserfahrung. Ansonsten lautet die Devise: Kontakt zum Vermieter suchen und Verhandlungsspielraum ausloten. „Mit dieser Strategie sind wir überraschend oft erfolgreich“, so Klein. „Zumindest private Vermieter sind oft sehr zugänglich, wenn es um Themen wie soziale Gerechtigkeit geht.“ Bei Großkonzernen oder Immobilienfonds bekomme man dagegen oft nicht mal eine Antwort. Nicht selten helfe es aber alleine schon, mit etwas Detektivarbeit den eigentlichen Besitzer herauszufinden. „Dann kann man über die Medien die Öffentlichkeit informieren und natürlich auch politische Kontakte nutzen.“

Dass es kleine, inhabergeführte Geschäfte heute so schwer haben, liegt auch am Gewerbemietrecht: Es kennt keine Miet­preisbremse, es gelten keine ortsüblichen Vergleichsmieten, und unbefristete Mietverträge sind jederzeit und ohne Grund kündbar. Laut Senat sind die Gewerbemieten in Berlin binnen zehn Jahren „teilweise um 266 Prozent“ gestiegen. Auch wenn diese Zahl inzwischen angezweifelt wird (s. oben), steht außer Frage, dass der Strukturwandel beim innerstädtischen Gewerbe in vollem Gange ist. Als Reaktion darauf forderte der Senat 2018 mit einer Bundesratsinitiative, der „Verdrängung von Gewerbemietern in Ballungsräumen“ entgegenzuwirken. Weil die Bundesregierung keinen Anlass für Reformen sah, legte der rot-rot-grüne Berliner Senat im August 2019 nach: In einer zweiten Bundesratsinitiative forderte er die Einführung einer Gewerbemietpreisbremse für „angespannte Märkte“. Auch die Grünen haben unter Federführung der Berliner Bundestagsabgeordneten Canan Bayram im Oktober 2020 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der in eine ähnliche Richtung zielt. Mehrheitsfähig ist derzeit kein Vorschlag – nach der Bundestagswahl könnte es anders sein.

Für die nahe Zukunft hat Stefan Klein aber noch etwas in petto, was sogar Gewerbetreibenden über die Berliner Innenstadt hinaus helfen könnte – der Mietrechtsexperte hat an einem Gesetzesentwurf der Bundestagsfraktion der Grünen mitgearbeitet, mit dem das Gewerbemietrecht in Deutschland dem Mietrecht im Wohnbereich angeglichen würde. Mieterhöhungen ließen sich dann in sogenannten angespannten Gewerbemietmärkten bei Mietflächen unterhalb von 250 Quadratmetern auf zehn Prozent pro Jahr begrenzen. „Das klingt immer noch ziemlich hoch, bisher sind aber auch zwanzig, dreißig oder vierzig Prozent durchaus üblich“, kommentiert Klein. Weitere Verbesserungen wären: Die Kündigung von Geschäftsräumen durch den Vermieter würde erschwert, zudem hätten Gewerbetreibende das Recht darauf, eine bis zu zehnjährige Vertragsverlängerung zu gleichen Bedingungen zu erhalten.

Federführend bei diesem im Oktober 2020 im Parlament eingebrachten Gesetzentwurf war die Berliner Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, deren Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg sowie einen Teil von Prenzlauer Berg umfasst.

Unter den derzeitigen Mehrheitsverhältnissen hat die bundesweite Kleingewerbemietenbremse der Bündnisgrünen zwar keine Chance. Doch man sollte über die Zeiten der Groko hinausdenken, findet Stefan Klein: „Im Herbst wird der Bundestag neu gewählt, und bei Koalitionsverhandlungen könnte der Entwurf dann auf dem Tisch liegen.“