: „Ein großes Unsicherheitsgefühl“
Der niedersächsische Verfassungsschutz soll künftig Jugendliche ab 14 Jahren beobachten dürfen. Dagegen protestieren in Hannover die Jugendorganisationen von Grünen, SPD und FDP
Pippa Schneider
26, ist Sprecherin der Grünen Jugend Niedersachsen.
Interview Michael Trammer
taz: Frau Schneider, warum protestieren Sie gegen die Novelle des Verfassungsschutzgesetzes in Niedersachsen?
Pippa Schneider: Zum einen, soll die Überwachung von Minderjährigen ausgeweitet und zum anderen die Befugnisse von V-Leuten erweitert werden. Unser dritter Kritikpunkt ist die Änderung der Auskunftsersuchen. Zukünftig sollen Betroffene Gründe für die Abfrage der eigenen Daten beim Verfassungsschutz angeben müssen. Das kann ja nicht Sinn der Sache sein.
Es sollen bereits 14-Jährige nachrichtendienstlich überwacht werden können.
Aus unserer Sicht ist das ein ziemlicher Skandal. Erst mal sollte sich für politische Bildung für alle eingesetzt werden – Demokratiebildung. Die Schule spielt da eine große Rolle. Wenn dann tatsächlich verfassungsfeindliche Tendenzen bei 14-Jährigen bemerkt werden sollten, ist aus unserer Sicht die Jugendhilfe zuständig. Sozialarbeiter*innen sind gefragt, anstatt Minderjährige zu überwachen.
Auch Mitglieder der Grünen Jugend in Niedersachsen haben Erfahrungen mit einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz gemacht. Wie wirkt sich so etwas auf Betroffene aus?
Dazu kam es durch eine großflächige Überwachung der linken Szene in Göttingen durch die Polizei. Mitglieder wurden überwacht, nur weil sie an Demonstrationen teilgenommen hatten. Es gab sehr minutiöse Notizen über Einzelpersonen. Einige wurden auch vom Verfassungsschutz beobachtet. Ich glaube, dass das schon ein krasser Schock ist. Vor allem, wenn man nichts anderes macht, als sich an völlig legalen Demonstrationen zu beteiligen oder sich öffentlich – ich sag mal links – zu äußern. Dadurch entsteht ein großes Unsicherheitsgefühl.
Was kritisiert die Grüne Jugend genau an der Ausweitung der V-Mann-Tätigkeiten?
Wir sind keine Fans des Prinzips von V-Leuten, die immer wieder in Skandale verwickelt sind. Ein Beispiel dafür ist der Mord von Halit Yozgat, durch den sogenannten NSU, in Kassel. Ein V-Mann war im Nebenraum und will nichts mitbekommen haben. Zusätzlich fließen Steuergelder an V-Leute, die genutzt wurden, um rechte Strukturen aufzubauen. Das alles kam erst viel, viel später raus, nachdem zivilgesellschaftliche Akteur*innen recherchierten. Akten werden vernichtet oder mit Sperrvermerken bis zu 120 Jahren versehen. Die Fälle sind wiederkehrend.
Was ist Ihre langfristige Forderung?
Den Verfassungsschutz – in seiner jetzigen Form – auflösen. Klar, das muss schrittweise passieren. Wir sollten aber repressive Sicherheitspolitik generell überdenken. Zuerst ist es aber wichtig, jetzt die Erweiterung der Befugnisse zu stoppen.
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