„Man muss Zeitfenster fürs Impfen schaffen“

Haus­ärz­t*in­nen bräuchten vier Wochen Vorlauf, um die Coronavakzin-Vergabe vorzubereiten. Gesprochen hat mit ihnen bisher niemand, sagt Hausarzt Stefan Karakaya

Gibt es hier bald auch den Anti-Coronapiks? Foto: Fo­to:­ Heiko Specht/laif

Interview Rieke Wiemann

taz: Herr Karakaya, schon im März könnte mehr Impfstoff zur Verfügung stehen, als die rund 400 Impfzen­tren in Deutschland verabreichen können. Laut Gesundheitsminister Jens Spahn sollen im zweiten Quartal daher auch Haus­ärz­t*in­nen mitimpfen. Hat er sich diesbezüglich schon bei Ihnen gemeldet?

Stefan Karakaya: Nein. (lacht). Es ist schon problematisch, dass man überall in den Medien liest, dass Haus­ärz­t*in­nen im April mit dem Impfen beginnen sollen, sich die Regierung aber noch nicht bei uns gemeldet hat. Wir bräuchten schon vier Wochen Vorlaufzeit, um alles zu organisieren.

Was ist denn alles zu tun?

Anders als zum Beispiel der Grippe-Impfstoff ist der Corona-Impfstoff keine Fertigspritze. Er wird in kleinen Glasampullen geliefert. Aus einer Biontech-Ampulle lassen sich sechs Impfdosen aufziehen. Für eine Dosis müssen genau 0,3 Milliliter abgemessen werden, das gelingt nur mit sehr feinen Spritzen. Diese muss man bestellen. Und man muss das Personal schulen, denn eine so kleine Menge aufzuziehen, ist nicht leicht und dauert seine Zeit. Hinzu kommt: Sobald der Impfstoff auf eine Spritze aufgezogen wurde, muss er ziemlich zügig verspritzt werden. Das heißt, man kann nicht einfach abends Spritzen für den nächsten Tag vorbereiten. Man muss also Zeitfenster fürs Impfen schaffen.

Und wie?

Entweder man stellt den normalen Praxisbetrieb an zwei Nachmittagen pro Woche ein, oder man bietet zusätzliche Öffnungszeiten an. Dafür bräuchte man natürlich mehr Personal. Wichtig wäre auch, die Impflinge von anderen Pa­ti­en­t*in­nen zu trennen, damit sie sich im Wartezimmer keine Magen-Darm-Grippe oder Erkältung einfangen. Denn die Impflinge sind ja in der Regel gesund. Alles in allem ist der Aufwand bei der Corona-Impfung deutlich größer als bei anderen Impfungen. Eine zusätzliche Vergütung wäre daher durchaus wünschenswert.

Ist die Kühlung der Impfdosen nicht ein Problem in den Hausarztpraxen?

Nein. Der Impfstoff von Bion­tech muss zwar bei minus 70 Grad gelagert werden, doch nach dem Auftauen ist er fünf Tage lang im normalen Kühlschrank haltbar. Dieses Zeitfenster ist groß genug, sodass auch Haus­ärz­t*in­nen diesen Impfstoff verabreichen können. Die Praxen können natürlich nicht Unmengen an Impfdosen bestellen, dieser müsste dann wöchentlich geliefert werden. Der Moderna-Impfstoff ist 30 Tage lang bei Temperaturen von 2 bis 8 Grad stabil, der As­tra­Zene­ca-Impfstoff mindestens sechs Monate.

Eine Berechnung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung zeigt: Wenn 50.000 der rund 100.000 Hausarztpraxen täglich 20 Corona-Impfungen verabreichen, könnten bundesweit pro Woche knapp 5 Millionen Menschen geimpft werden – etwa fünfmal mehr als in allen Impfzentren zusammen. Sind 20 Impfungen pro Tag realistisch?

Eine gute Frage. Aber ich denke schon. Die Impfungen lassen sich mit den PCR-Tests vergleichen, auf die wir Haus­ärz­t*in­nen uns auch relativ kurzfristig einstellen mussten. Ich habe im Frühjahr durchschnittlich 20 Coronatests pro Tag durchgeführt, das war zeitlich auch machbar.

Foto: Anja Weber

Stefan Karakaya, 46, ist Facharzt für Innere Medizin und Hausärztliche Versorgung. Er hat eine Praxis in Berlin-Neukölln samt ausgelagerter Coronasprechstunde.

Welche Vorteile hätte das Impfen beim Hausarzt noch?

Zuallererst müssen die Menschen dann nicht mehr quer durch die Stadt fahren, sondern können zu ihrer Hausärztin in der Nähe gehen. Das ist für Ältere natürlich ein Vorteil. Ich kann mir auch vorstellen, dass sich viel mehr Menschen gegen Covid-19 impfen lassen würden, wenn ihr Hausarzt die Impfung durchführt. Das Vertrauen zum eigenen Hausarzt ist oftmals größer. Ganz viele meiner Pa­ti­en­t*in­nen fragen mich zum Beispiel, ob sie sich impfen lassen sollen. Wäre ich auch der, der impft, dann würden sich vielleicht mehr dazu bereiterklären. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung. Ein weiterer Vorteil: Haus­ärz­t*in­nen können besser mit Restbeständen umgehen als Impfzentren.

Das müssen Sie erklären.

In Impfzentren wurden nicht aufgebrauchte Impfdosen teilweise weggeschmissen oder an Menschen verimpft, die offiziell noch nicht dran waren. Für eine Arztpraxis ist es viel leichter, Pa­ti­en­t*in­nen zu rekrutieren, da sie in der Nähe wohnen. Wenn eine bereits aufgezogene Dosis übrig bleibt, kann ich pro­blem­los über 80-Jährige aus meiner Kartei anrufen. Nicht zuletzt kennen wir Haus­ärz­t*in­nen die Krankheitsgeschichte unserer Pa­ti­en­t*in­nen und können daher auch am besten einschätzen, wer besonders gefährdet ist und dringend eine Impfung braucht.

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