piwik no script img

Lernen aus der Pandemie

Bremer Pfle­ge­for­sche­r:in­nen fordern trotz steigender Impfquoten in den stationären Heimen weiter umfassende Vorsichtsmaßnahmen – warnen aber zugleich vor „flächendeckenden Kontaktsperren“

Trotz der hohen Impfquoten bei den Be­woh­ne­r:in­nen der Alten- und Pflegeheime bleibt die Coronalage dort nach Ansicht der Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang und Karin Wolf-Ostermann extrem angespannt. „Kurzfristig stehen den Pflegeheimen noch schwierige Wochen bevor“, sagte Wolf-Ostermann. Nach Schätzungen lebten von den fast 70.000 Coronatoten in Deutschland mehr als die Hälfte vor ihrem Tod in einem Altenheim.

Auch wenn nach Angaben des Robert Koch-Instituts fast 50 Prozent der Pflegeheim-Bewohner:innen bereits zweimal gegen das Coronavirus geimpft worden seien und damit über einen hohen Infektionsschutz verfügten, müssten die Heime weiter umfassende Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. „Hierzu gehören nach wie vor verbindliche Schnelltests für alle Besucherinnen und Besucher und für nicht geimpftes Personal vor dem Betreten der Einrichtung“, sagte Rothgang.

Die Pandemie habe noch einmal die Notwendigkeit gezeigt, die Zahl der Pflegekräfte zu erhöhen, sagte Rothgang. Bereits vor der Pandemie seien Pflegekräfte besonders belastet und häufiger krank gewesen als andere Beschäftigte. „In der ersten und zweiten Welle wurden sie über Gebühr gefordert. Wenn nun keine Besserung der Arbeitsbedingungen verbindlich in Aussicht gestellt werden kann, droht der Ausstieg einer Vielzahl von Pflegekräften“, warnt der Wissenschaftler. Hier helfe nur ein kraftvolles Bekenntnis zu einer zügigen Aufstockung der Ressourcen.

Die Bremer Pflegeforscher:in­nen fordern, die Heime bei den Coronatests weiterhin intensiv zu unterstützen: durch die Erstattung der Kosten und zusätzliches Personal. „Da wir gerade den Beginn der dritten Welle erleben, müssen die Anstrengungen beim Infektionsschutz verstärkt werden“, sagte Rothgang. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die dritte Welle auch in Pflegeheimen zu einer Vielzahl schwerer Verläufe führen werde. Trotz dieses Risikos sprach sich Wolf-Ostermann dagegen aus, Heim­be­woh­ne­r:in­nen zu isolieren und „flächendeckende Kontaktsperren“ zu verfügen. „Weil Schnelltests und Impfungen zur Verfügung stehen, sollte das tabu sein“, sagte sie.

In der Erwartung, dass diese Pandemie nicht die letzte sein werde, „sollten wir versuchen, hieraus zu lernen“, sagte Wolf-Ostermann. Das beginne bei der Ausbildung des Personals über die Vorratshaltung medizinischer Produkte bis hin zu Pandemie-Planungen und der Bereitschaft, bekannte Routinen zu verlassen und finanzielle Risiken einzugehen. (epd)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen