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Ist der Regenwald vom Tisch?

Vieles, was wir essen, vernichtet natürliche Ressourcen. Entwaldungsfreie Lieferketten könnten den Raubbau reduzieren

Vor der Pandemie: jährlich rund 7,6 Millionen Hektar Wald vernichtet Foto: M. Woike/blickwinkel/imago

Von Lars Klaaßen

Mittlerweile hat sich zwar herumgesprochen, dass unser steigender Fleischkonsum die begrenzten Ressourcen der Erde stark beansprucht und auch den Klimawandel befeuert. Aber bei vielen Produkten bleibt für Käufer völlig im Dunkeln, ob und in welchem Maße Regenwald für sie vernichtet wurde. Die meisten Menschen haben mehr Regenwald auf dem Teller, als sie ahnen.

Ein beträchtlicher Teil unserer Lebensmittel kommt über globale Lieferketten, die völlig intransparent sind, in die Supermärkte. „Viele Menschen wollen zwar ökologisch und sozial korrekt einkaufen“, sagt Jochen Geilenkirchen, Referent für nachhaltigen Konsum beim Verbraucherzentrale Bundesverband. „Sie wissen aber kaum, wie.“ Neben Bio- und Fair-Trade-Siegel gibt es viele weitere, die Orientierung geben sollen. „Dieser Siegelwald ist unübersichtlich“, so Geilenkirchen. „Selbst im besten Fall deckt eines nur einen bestimmten Aspekt ab, welches Label wirklich hohe Standards garantiert, erfährt man erst bei genauem Hinsehen.“ Die Stiftung Warentest untersucht seit mehr als zehn Jahren auch globale Wertschöpfungs- und Lieferketten: Wo kommen die Produkte her, unter welchen Bedingungen werden sie produziert, mit welchen ökologischen und sozialen Folgen? Ein Test von Orangensaft ergab, dass die meisten Anbieter nicht wissen, welche Zustände auf den Plantagen ihrer Zulieferer herrschen. Das gilt auch bei Kaffee: „Alles, was nicht ‚bio‘ ist, wird an der Börse gehandelt, die Herkunft ist dadurch nicht nachvollziehbar“, erläutert Holger Brackemann, Bereichsleiter Untersuchungen bei der Stiftung Warentest. Bei Bioproduzenten von Sojamilch habe sich wiederum gezeigt, dass diese ihre Ware nicht aus Übersee beziehen, sondern aus der EU. So gibt das Bio-Siegel zumindest bei manchen Produkten eine grobe Orientierung.

Soja wird meist mit Tofu, Sojasauce und Sojamilch assoziiert. Doch Importe der Pflanze dienen hierzulande vor allem als Tierfutter. 80 Prozent des weltweit produzierten Sojas werden an Schweine, Hühner und Rinder verfüttert. Am Ende der Kette stehen Fleisch, Milchprodukte oder Eier. Weltweit wird Soja auf 110 Millionen Hektar angebaut, der dreifachen Fläche Deutschlands. In vielen Fällen mussten dafür Wälder und Savannen weichen. 65 Prozent des von Deutschland importierten Sojas ließen sich durch heimische Futtermittel ersetzen. Derart hergestelltes Fleisch, zum Beispiel aus ökologischer Tierhaltung, schont damit auch den Regenwald – weniger Fleisch zu essen, hilft natürlich auch.

Noch schwieriger, als Käufer eine richtige Entscheidung zu treffen, wird es bei Palmöl. Es befindet sich mittlerweile in jedem zweiten Produkt, darunter in Schokoaufstrich und Backwaren, selbst in Waschmitteln und Lippenstiften. Auch Bioprodukte bilden hier keine Ausnahme. Um Produktionsflächen für die Palmölwirtschaft zu gewinnen, werden immer wieder artenreiche Regenwälder gerodet. Die Anbaufläche für Ölpalmen hat sich seit 1990 weltweit verdoppelt. Palmöl wird zurzeit auf 17 Millionen Hektar Fläche angebaut. Dies entspricht etwa der Hälfte der Fläche Deutschlands.

„Entwaldungsfreie Produkte müssen auf dem europäischen Markt die Norm sein“, sagt Delara Burkhardt. Die SPD-Politikerin, seit 2019 Europaabgeordnete, sieht Unternehmen in der Pflicht, für umweltfreundliche Produkte zu sorgen – und hierbei auch den Gesetzgeber am Zug: Deshalb schlug sie im Juni dieses Jahres in einem Bericht ein Lieferkettengesetz für die EU vor, welches Unternehmen und Investoren verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ihre Produkte und Dienstleistungen nicht zur Zerstörung oder Beschädigung von Wäldern und wichtigen Ökosystemen oder zur Verletzung von Menschenrechten beitragen. Solch ein Gesetz fordern auch Umweltschützer schon seit vielen Jahren.

Präsenter ist derzeit in den hiesigen Medien die Debatte über ein deutsches Lieferkettengesetz. Dieses bezieht sich lediglich auf Importe in die Bundesrepublik. Eine Initiative verschiedener Akteure will Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten an bestimmte Kriterien zu binden.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat das Thema aufgegriffen. Vor allem soziale Aspekte und die Einhaltung der Menschenrechte stehen dabei im Fokus, auch Umweltaspekte spielen eine Rolle. Ob das Gesetz über eine Selbstverpflichtung importierender Unternehmen hinausgehen wird, ist noch nicht sicher. Das von Delara Burkhardt angestoßene Lieferkettengesetz hingegen soll Entwaldungsfreiheit für alle Produkte in der EU garantieren.

Die Zeit dafür drängt: Im Schatten der Coronakrise nimmt die weltweite Zerstörung von Wäldern zu. Schon vor Ausbruch der Pandemie wurden jährlich rund 7,6 Millionen Hektar Wald vernichtet. Im März 2020 war die Entwaldung in 18 Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas zweieinhalbmal höher als im März-Durchschnitt der vergangenen Jahre. Durch politische Maßnahmen gegen die Covidpandemie ist Wald noch stärker bedroht als zuvor: Staatliche Kontrollen sind mindestens teilweise erheblich eingeschränkt. Derzeit sind weniger Polizei, Ranger und andere staatliche Kontrolleure im Wald unterwegs. Auch viele Naturschützer sitzen im Homeoffice fest. Schutzgebiete werden nicht respektiert. Illegale Abholzung und Landraub sind für Täter gerade jetzt viel leichter.

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