Darkrooms in der Pandemie: Kein Licht zu sehen

Auch queere Lokale mit Darkrooms liegen in der Pandemie brach. Wie steht es um die Cruising-Kultur?

„Böse Buben“-Betreiber Martin Schenk-von Waldow steht vor einigen hölzernen Geräten. Auszumachen ist eine Streckbank und ein Marterpfahl.

Fürs Porträtbild noch mal in den geschlossenen Club: „Böse Buben“-Betreiber Martin Schenk-von Waldow Foto: Emmanuele Contini

BERLIN taz | Berlin gilt als Hauptstadt der Darkrooms. Und diese dunklen Räumlichkeiten sind nicht nur für ihre engen Gänge bekannt, sondern auch dafür, dass sich darin nackte, fremde Menschen, meist schwule Männer, ohne Abstand oder Mundschutz anbahnen und ihre Sexualität frei ausleben.

Seit der Coronapandemie und dem darauf folgenden Lockdown im März vergangenen Jahres gelten Dark­rooms, genau wie Gaststätten, Restaurants und Kulturbetriebe, als Gesundheitsrisiko – und Be­trei­be­r:in­nen von Darkroom-Lokalen haben quasi Berufsverbot.

Der Ort Bei Darkrooms handelt es sich um einen halböffentlichen, dunklen, meist spärlich (Schwarzlicht) bis gar nicht beleuchteten Bereich eines Clubs oder einer Bar, in der meist fremde Menschen nach unverfänglichem Sex suchen und sich vergnügen. In einem vorderen Raum gibt es meist normalen Kneipenbetrieb. Die eigentlichen Räumlichkeiten dahinter können unter anderem mit Kabinetten und Kabinen und auch Sexspielzeug ausgestattet sein.

Die Zahl In Berlin gibt es wahrscheinlich mehr als 30 Darkrooms in Bars, Lokalen und Clubs, in denen häufig nur schwule Männer willkommen sind (genaue Zahlen gibt es nicht). Offiziell, also im Beamt:innendeutsch, heißen Darkrooms übrigens schlicht „Vergnügungsstätten“ oder „beruhigte Gasträume“ und sind vergleichbar mit Räumlichkeiten in Pornokinos oder Swingerclubs. (sm)

„Ich denke immer nur an meinen Kontostand und weiß nicht, wie wir das noch länger durchhalten sollen“, sagt Martin Schenk-von Waldow. Er betreibt den Darkroom- und Cruising-Club Böse Buben in Schöneberg. Der als Verein organisierte Club war das letzte Mal vor Beginn der Coronakrise, also im März vor einem Jahr, geöffnet.

Nach dem ersten Lockdown sah Betreiber Schenk-von Waldow keine Möglichkeit, ein tragfähiges Hygienekonzept im engen Club umzusetzen. „Ich wollte kein Superspreader-Event veranstalten“, sagt er. Die Stammgäste kommen eben für das Gegenteil von Social Distancing und Kontaktreduzierung: „Es wäre einfach verantwortungslos gewesen, wieder aufzumachen.“

In der Schwulen-Community hat anonymer Sex Tradition und war lange sogar notwendig, um staatlicher Verfolgung zu entgehen. Erst 1994 wurde in der Bundesrepublik der Paragraf 175 gestrichen, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte. Sex unter Männern konnte einen ins Gefängnis oder noch früher, während des Nationalsozialismus, sogar ins Konzentrationslager bringen. Es gab also lange wenige Möglichkeiten für schwule Menschen, einen Partner zu finden.

Mittlerweile ist das anders und Apps ermöglichen es heute, sich bequem Sexdates zu organisieren. Lokale mit Darkrooms und Cruising-Orte konnten sich jedoch bis heute halten und waren stets fester Bestandteil der Community.

Glühwein statt Fetisch

Zwar öffnete das Böse Buben nach dem Lockdown nicht, andere Lokale sperrten aber über den Sommer mit Hygienekon­zept auf. Danach suchten sie nach weiteren Möglichkeiten, weiterhin für ihre Kunden da zu sein. So setzte das Woof Berlin in Tempelhof-Schöneberg in der Vorweihnachtszeit auf Außer-Haus-Verkauf von heißer Schokolade und Glühwein und verkauft online Kaffeetassen und Tanktops.

Die Crui­sing-Bar Greifbar in Prenzlauer Berg machte nach Einführung der Sperrstunde dicht und verkündet auf ihre Website, dass noch nicht feststehe, ob der Betrieb weitergeführt werde. Das komme auf die Länge der Maßnahmen an. Ein Interview lehnte der Betreiber ab.

Thomas Pfizenmaier, der die Fetisch- und Cruising-Bar New Action in Berlin-Schöneberg und eine weitere Fetischbar in Hamburg betreibt, fand zwischen den Lockdowns eine andere Möglichkeit, Umsatz für seinen Betrieb zu generieren. Gleich nachdem seine Bar nach dem ersten Lockdown wieder öffnen durfte, beantrage Pfizenmaier eine Nutzungserlaubnis zur Außengastronomie.

„Mein Lebenspartner hat sich dann in die Küche gestellt und Kuchen gebacken“, sagt er. Er wolle nicht auf Spenden setzen und so servierte er zwischenzeitlich in seinem Pop-Up-Café Corinna tagsüber Kaffee und Kuchen, obwohl die Fetischbar sonst immer nur nachts geöffnet war. Eine Zwischenlösung für den Sommer, die aber nicht mehr viel mit Fetisch, Darkroom oder Sex zu tun hat.

Bürokratie und Existenzsorgen

„Ich schlafe seit der Krise nur noch schlecht“, erzählt Martin Schenk-von Waldow vom Böse Buben. Seit März finanziere sich der Club unter anderem durch private Spenden, die auf der Homepage des Clubs aufgelistet sind. Die Beträge schwanken von Monat zu Monat teilweise stark. Daneben halte sich der Club mit Coronahilfen und einer kurzzeitigen Untermiete über Wasser.

Ein mit Rotlicht beleuchtetes Zimmer mit einem großen Spiegel, einigen Sitzmöglichkeiten, einer Sexschaukel und einem Bett. An der hinteren Wand ist eine Zeichnung eines Mannes zu sehen, der einen anderen Mann auszupeitschen scheint.

Keiner da: Im „Bösen Buben“-Darkroom Foto: Emmanuele Contini

So halte der Lounge-Bereich des Clubs derzeit als Werkstatt eines Mitarbeiters her. In der Zwischenzeit versucht Schenk-von Waldow, überall zu sparen, wo es nur geht: „Obwohl der Club zu ist, habe ich so viel Arbeit wie noch nie.“ Das bestätigt auch Thomas Pfizenmaier beim Telefongespräch mit der taz. „Obwohl der Laden dicht ist, schlage ich mich täglich Stunden mit Versicherungskram herum, beantrage Mietminderung oder telefoniere mit der Bank, die mich darauf hinweist, dass mein Geschäftskonto überzogen ist.“

Da die beantragten Coronahilfen lediglich für betriebliche Kosten genutzt werden dürfen, lebe er als Barbetreiber schon seit März von seinen Ersparnissen: „Ich brauche mittlerweile seit fast einem Jahr meine selbstersparte Rente auf.“ Derzeit denke er aber noch nicht ans Aufgeben, obwohl die Verluste immer größer werden und seine Ver­mie­te­r:in­nen ihm anscheinend nicht entgegenkommen: „In Hamburg gab es während der Krise sogar eine Mieterhöhung.“

Doch nicht nur das, Schenk-von Waldow vom Böse Buben geht davon aus, dass sich die Coronakrise auch langfristig auf die Cruising- und Dark­room-Kultur in Berlin auswirken werde: „Die Pandemie führt dazu, dass sich noch mehr ins Netz und ins Private verlagert.“

Pfizenmaier vom New Action denkt ebenfalls, dass sich viele schwule Männer während der Pandemie Schutzräume im Privaten suchen. Dort werden aber, anders als im New Action, weder Namen, Meldeadressen oder Ankunfts- und Ausgangszeit vermerkt. „Wenn sich zig Männer über Online-Plattformen zu Hause verabreden und etwas passiert, kann dieses potentielle Infektionsgeschehen weder kontrolliert noch nachverfolgt werden.“

Darkroom-Bars in Berlin hatten in den letzten Jahren bereits vor der Pandemie immer wieder mit Problemen zu kämpfen. So wurden 2018 mehrere Darkrooms im Schöneberg aufgrund bauordnungsrechtlicher Bestimmungen durch die Behörden geschlossen.

Das polizeiliche Einschreiten, mitten in der Nacht, wurde damals von vielen Seiten als unverhältnismäßig wahrgenommen. Die erhöhte Aufmerksamkeit der Behörden lag wohl auch daran, dass nur ein Jahr zuvor, 2017, drei Besucher bei einem Brand in der Schwulensauna Steam Works in der Kurfürstenstraße ums Leben kamen.

Zwar wurden in der Zwischenzeit alle Lokale mit Dark­room behördlich genehmigt und konnten wieder öffnen, ob die Lokale die Pandemie aber überstehen, wird sich erst noch zeigen. Pfizenmaier geht aktuell zumindest davon aus, dass das New Action nach der Krise wieder für seine Kunden öffnen wird. „Ich hoffe, dass sich die schwule Community nach der Pandemie darauf besinnt, wer ihnen über das Jahr hinweg die Stange gehalten hat“, sagt er.

Seine Bar sei nicht einfach nur ein gastronomischer Betrieb, sondern diene wie alle anderen queeren Lokale als wichtiger Schutzraum für schwule Subkulturen: „Wir sind systemrelevant für den Erhalt schwuler Kultur, Lebensformen und alternativer familiärer Verhältnisse.“

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