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: Die kurdische Politikerin Leyla Güven wird zu 22 Jahren Haft verurteilt

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Die kurdische Politikerin Leyla Güven ist am Montag von einem Strafgericht in Diyarbakır zu einer Haftstrafe von 22 Jahren und drei Monaten verurteilt worden. Die drakonische Strafe für die 56-Jährige gilt einer Frau, die in den vergangenen 30 Jahren für die Rechte der kurdischen Minderheit gekämpft hat.

Dabei hat sie sich auch von früheren Gefängnisstrafen nicht abschrecken lassen, im Gegenteil. Viele Kurden und vor allem Kurdinnen bewundern ihren Mut und ihre Konsequenz, andere kritisierten aber auch einen gewissen Fanatismus bei ihr, der sich insbesondere in ihrem Hungerstreik für die Freilassung des früheren Chefs der PKK, Abdullah Öcalan zeigte. Während dieses Hungerstreiks im Winter 2018/19 wäre sie fast gestorben, obwohl nie die geringste Chance bestand, dass Öcalan tatsächlich freigelassen werden würde.

Leyla Güven wuchs in einer konservativen kurdischen Familie in Zentralanatolien auf und wurde entsprechend den dort vorherrschenden Vorstellungen als 16-Jährige verheiratet. Sie bekam zwei Kinder, begann aber später sich in einer kurdischen Frauenvereinigung politisch zu engagieren. Sie ließ sich scheiden. Danach engagierte sie sich vor allem für die politische Selbstbestimmung der Kurden und die Befreiung der kurdischen Frauen. In der HDP und deren Vorläuferorganisation Hadep war sie im Frauenverband aktiv.

Im Jahr 2004 wurde sie erstmals in einer Kleinstadt bei Adana zur Bürgermeisterin gewählt, kurz darauf wurde sie erstmals festgenommen. Die Staatsanwaltschaft warf ihr vor, in den von der PKK etablierten KCK-Parallelstrukturen mitzuarbeiten. Sie blieb einige Jahre in U-Haft, konnte aber bei den Kommunalwahlen 2009 wieder antreten und wurde zur Bürgermeisterin der größeren Stadt Viranşehir gewählt.

Bereits 2010 musste sie wieder in U-Haft, als ihr Prozess wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in der PKK begann. Vier Jahre lang blieb sie erneut in Haft, bis man sie endlich frei ließ, weil der Prozess immer noch andauerte. Als sie 2017 zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde, hatte sie diese Strafe bereits abgesessen und blieb auf freiem Fuß.

Da war sie in dem turbulenten Jahr 2015 schon ein halbes Jahr Abgeordnete des türkischen Parlaments gewesen, von Juni bis November, als sie bei einer vorgezogenen Neuwahl ihr Mandat wieder verlor. Im Januar 2018 saß sie bereits wieder in U-Haft, weil sie den Einmarsch türkischer Truppen in Syrien in die hauptsächlich von Kurden bewohnte Provinz Afrin, kritisiert hatte.

Doch mit Unterstützung ihrer Anhängerschaft gelang es ihr bei den Wahlen im Juni 2018, aus dem Gefängnis heraus erneut auf der Liste der HDP ins Parlament gewählt zu werden. Obwohl ein Gericht daraufhin ihre Freilassung anordnete, blieb sie in Haft.

Nicht zuletzt aus Protest gegen diese Willkür begann sie im November 2018 ihren Hungerstreik für die Freilassung Öcalans. Selbst als ihre Situation lebensbedrohlich wurde, widersetzte sie sich den Bitten der HDP-Parteiführung sowie weiteren prominenten Intellektuellen und setzte ihren Hungerstreik fort. Erst nach ihrer Entlassung im Januar 2019 ließ sie sich helfen. Monate später konnte sie ihr Mandat im Parlament antreten.

Im Juni 2020 entzog eine Mehrheit im Parlament ihr die Immunität, sie wurde erneut als Mitglied der PKK angeklagt. Anhänger der Opposition hatten von einem „Putsch im Parlament“ gesprochen.

Jürgen Gottschlich, Istanbul