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Nach der Geschichte

Der Fotograf Eiko Grimberg dokumentiert die Wege von Berliner Trümmern und zeigt so die permanente Überschreibung von Orten

Der Begriff Rückschaufehler bezeichnet eine kognitive Verzerrung: Man glaubt, man hätte ein Ereignis bereits vor seinem Eintreffen vorhergesehen. Dieses Phänomen aus der Kognitionspsychologie hat der Berliner Künstler Eiko Grimberg zum Titel seines im Dezember erschienenen Fotobands gemacht.

Ausgehend vom geschichtsreichen Berliner Schloss beschäftigt er sich darin mit den Wegen der Originalsubstanz, den Steinen und Trümmern, die im vergangenen Jahrhundert in der historischen Mitte Berlins auf- und abgetragen wurden.

Grimberg, der an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig studiert hat, arbeitet mit Text und Bild und hat bereits zwei visuelle Essays herausgebracht, in denen er den Umbau von zentralen Plätzen oder die Errichtung von Prestigegebäuden in den Blick nimmt und die politische Bedeutung dechiffriert, die Architektur dem Stadtraum einschreibt. So auch die des Berliner Schlosses, dessen Rekonstruktion gerade als Humboldt Forum eröffnet wurde.

Nachdem das barocke Schloss im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt war, wurde es auf Geheiß der SED-Führung 1950 gesprengt. Grimberg verfolgt die „Trümmerwege“ der Steine und Statuen, die einst ihren Platz im Hohenzollernschloss hatten und sich nun beispielsweise im Affengehege des Berliner Tierparks wiederfinden. Einen anderen Weg nahm das Schlossportal IV, von dem Karl Liebknecht 1918 die „freie sozialistische Republik“ ausrief und das direkt nebenan im Staatsratsgebäude der DDR symbolhaft als Spolie eingesetzt wurde.

Steine sind politisch. Grimbergs Fotografien dokumentieren nicht nur die Wege der Steine, sondern zwangsläufig auch die der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts – vom Kaiserreich über den Nationalsozialismus, der BRD und DDR bis hin zur wiedervereinigten Bundesrepublik. Auch der Umgang mit dieser Geschichte wird thematisiert: Eine Fotografie zeigt etwa die Granitplatten, die einst den Eingang des Palasts der Republik zierten und nun in einem Skatepark am Rand des Tempelhofer Feldes verbaut sind. Diese Informationen erhält man in einem die Bildstrecke unterbrechenden Anmerkungsapparat, der sich aus Textauszügen von Stadtplaner:innen, Historiker:innen oder Architekt:innen zusammensetzt. Sie kontextualisieren die Fotografien, Grimbergs visuelle Kommentare, ohne sie vollends aufzuschlüsseln. Marlene Militz

Eiko Grimberg: „Rückschaufehler“. Kodoji Press 2020, 22 x 27 cm, 116 Seiten, 28 Euro

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