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Müll wird zugewiesen

Einigungsversuch gescheitert. Schleswig-Holsteins Umweltminister entscheidet: Bauschutt aus dem AKW Brunsbüttel wird in Ostholstein und Lübeck deponiert

Von Esther Geißlinger

Nicht-radioaktiver Bauschutt, der beim Rückbau des Atomkraftwerks Brunsbüttel anfällt, soll auf den Mülldeponien in Lübeck-Niemark und Johannistal in Ostholstein untergebracht werden: Schleswig-Holsteins Energiewendeminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) will das per Zuweisung durchsetzen, da es keine freiwilligen Lösungen gibt. In den betroffenen Gemeinden ist der Unmut groß.

„Der Atomausstieg schreitet voran, das ist eine gute Nachricht“, sagte Minister Albrecht in Kiel. Doch dazu gehöre auch, „den Müll rechtskonform zu behandeln“. Es geht um Beton, Isolierwolle, Ziegel und sonstigen Schutt. Der Umgang damit sei „Tagesgeschäft“ der Deponien, sagte Albrecht – also eigentlich kein großes Thema.

Doch seit Jahren wird über den Müll aus Brunsbüttel, Krümmel und Brockdorf gestritten. Ihn außerhalb von Schleswig-Holstein zu lagern, lehnte Albrecht ab: „Ich halte es politisch für falsch.“ Darüber hinaus verhindere EU-Recht so einen Mülltourismus. Abfall­entsorgung beruhe auf einem „solidarischen System“, sagte Albrecht.

Der Minister hat das Thema von seinem Vorgänger, dem heutigen Grünen-Chef Robert Habeck, geerbt. Der hatte versucht, einen „Entsorgungspakt“ mit Gemeinden, Deponien und Betreibern zu schmieden. „Das Beispiel Wiershop zeigt, wie es laufen kann“, sagte Albrecht. Dort nimmt die Deponie Abfälle aus dem nahen AKW Krümmel auf. „Die Menschen vor Ort können stolz auf dieses Erfolgsmodell schauen“, lobte Albrecht und bedauerte, dass es andernorts nicht gelungen sei, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Das Bedauern teilen Stefan Weber und Thomas Hölck, Landtagsabgeordnete der SPD: „Leider hat es der Umweltminister nicht geschafft, die Debatte zu befrieden.“ Es werde „harte Widerstände“ geben.

Schutt aus dem AKW

Rund 300.000 Tonnen Material fallen beim Rückbau des AKW Brunsbüttel an.

Nur ein sehr geringer Teil ist radioaktiv und muss endgelagert werden.

Das restliche Material wird „freigemessen“ und gilt danach als unbelasteter Schutt.

Ein großer Teil dieses Abfalls wird recycelt oder verbrannt.

Es bleibt ein Rest von rund 50.000 Tonnen.

Bis Ende 2022 sollen 18.000 Tonnen untergebracht werden.

Das ist sehr wahrscheinlich: „Also, glücklich sind wir nicht“, sagte der Gremersdorfer Bürgermeister Henning Pries (CDU) der taz. Das Ministerium – damals noch unter Robert Habeck – habe versprochen, „alle mitzunehmen und alle Bedenken auszuräumen, dafür sollten wir am liebsten sagen, dass wir alles super finden“. Darauf hat sich die Gemeinde nicht eingelassen. Pries stört der Imageschaden, den sein Ort nehmen kann: „Wir haben hier Tourismus und Landwirtschaft.“ Es gehe darum, „Schaden von der Bevölkerung abzuwenden“, der Ort werde „seine Möglichkeiten ausschöpfen“.

Auch der Lübecker Umweltsenator Ludger Hinsen (CDU) kündigte der Nachrichtenagentur dpa eine juristische Überprüfung an. Die Bürgerschaft der Hansestadt hatte im November 2020 beschlossen, den AKW-Schutt nicht aufzunehmen, und wollte eine Bürgerbefragung starten. Die Bürgerinitiative „Lübeck ohne Atomschutt“ (LoA) beklagt das „intransparente Verfahren“ und fehlende Bürgernähe. Unklar sei, ob das Material wirklich ungefährlich sei, sagte eine BI-Sprecherin auf taz-Anfrage.

Das Ministerium widerspricht: Jeder Stein aus dem AKW wird gemessen, und nur was weniger Radioaktivität enthält als zehn Mikrosievert, gilt als unbedenklich. Dieser internationale Wert sei deutlich geringer als die natürliche Umweltstrahlung, betonte Jan Backmann, Chef der Atomaufsicht des Landes. Albrecht fügte hinzu: „Selbst auf der Deponie wird keine Strahlung messbar sein, erst recht nicht außerhalb des Geländes.“

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