Krise der AfD im Norden: Stramm nach rechts gestrauchelt
Die AfD ist auch im Norden zerstritten und hat mehrere Mandate in Landesparlamenten verloren. Die Partei steckt in ihrer bislang tiefsten Krise.
Die vermeintliche „Alternative“ ist zum Jahresende 2020 in ihrer bisher tiefsten Krise. Nach den anfänglichen Erfolgen im Norden, wirken sich in den Landesverbänden Hamburg, Bremen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verstärkt die bundespolitischen Dispute aus. Die AfD hat mehrere Mandate in den Landesparlamenten verloren, in gleich drei Bundesländern hat die Partei den Fraktionsstatus verloren. Personelle Konflikte wechseln sich mit politischen Richtungsstreitigkeiten ab – mit ausgelöst durch staatliche Interventionen.
Denn seit der Gründung der Partei 2013 haben journalistische Recherchen, antifaschistische Analysen und wissenschaftliche Studien auf die völkisch-nationalistische Basis der Partei als rechtsextremes Charakteristikum hingewiesen. Erst mit der Debatte des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter, einen Teil der AfD –„den Flügel“ um den Thüringer Landtagsfraktionsvorsitzenden Björn Höcke – beobachten zu müssen und die Gesamtpartei möglicherweise zu beobachten, erhöhte sich der Druck in der Partei – auch wenn die Ämter und Behörden bisher keine neue Erkenntnis vortrugen. Zivilgesellschaft und Medien könnten aber mit zum staatlichen Handeln beigetragen haben.
Schon seit 2015 deutete sich der nun offen ausgebrochene Streit an, inwieweit die AfD eine „Bewegungspartei“ oder „Bürgerpartei“ sein will. Der „Flügel“, der sich formal auflöste, um eine Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz zu verhindern, erklärte in dem Jahr, eine „Widerstandsbewegung“ sein zu wollen und warnte davor, zu einer „technokratisch ausgerichteten Partei“ zu werden.
Streit um die Ausrichtung der Partei
Der Name des Parteinetzwerks ist zwar weg, doch das Netzwerk von Personen nicht – auch im Norden. In Niedersachsen spiegelten sich die ungeklärte Ausrichtung, aber auch die unklaren Kräfteverhältnisse gerade erst wieder. Auf dem Landesparteitag im September dieses Jahres setzte sich der AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Kestner in einer Kampfabstimmung um den Landesvorsitz gegen die AfD-Landtagsfraktionsvorsitzende Dana Guth durch.
Kestner steht dem „Flügel“ nahe und versteht sich selbst als „Patriot“. Nach der Abwahl reagierte Guth wie erwartet. Gemeinsam mit zwei anderen AfD-Mandatsträgern verließ sie die Fraktion und beendete so mit den Abtrünnigen den Fraktionsstatus. Eine Rache, die weniger Geld bedeutete – rund 100.000 Euro monatlich. Von der Bundes- bis zur neuen Landesspitze wurde Guths Parteiausschluss gefordert. Anfang Dezember verließ sie die AfD.
Auf dem Landesparteitag im Dezember zur Nominierung der Kandidaten zur Bundestagswahl 2021 erlitt aber auch Kestner eine krachende Niederlage, er erlangte keinen Listenplatz. Joachim Wundrak, Generalleutnant a. D. und vermeintlich moderater, wurde Spitzenkandidat, gefolgt von zwei weiteren Jörg-Meuthen-Nahestehenden.
AfD-Bundessprecher Meuthen hatte vor den Feiertagen gerade erst in der Jungen Freiheit erneut dem AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alexander Gauland Konter gegeben. Die AfD sei eine „konservativ-freiheitliche Bürgerpartei“, sagte er der neu-rechten Wochenzeitung, „ohne als parlamentarischer Arm der sehr heterogenen 'Querdenkerbewegung’ oder anderer Straßenprotestbewegungen zu fungieren“.
Diese Ausrichtung hatte zuvor Gauland gegenüber der Deutschen Presse-Agentur betont und beklagt: „Wir sollten das, was der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, sagt, nicht zum Maßstab unseres Handelns machen“. So könne man „aber keine echte Opposition sein“, meinte Gauland.
In Schleswig-Holstein bestimmten Streitereien seit Jahren den AfD-Landesverband – bis in die Landtagsfraktion hinein. Im September dieses Jahres beendete Frank Brodehl den Fraktionsstatus. In der Debatte über Ganztagsschulen im Landtag erklärte er, dass dies seine letzte Rede als Mitglied der AfD und ihrer Fraktion sei. Als Grund führte er den Rechtsruck des Landesverbandes an, denn „die völkisch-nationalistischen Kräfte“ hätten „eher noch zugenommen“.
Kontakte ins rechtsextreme Milieu
Dieser Richtungsstreit ist auch ein Grund dafür, warum der Landesverband nach dem Rauswurf der ehemaligen Landeschefin Doris von Sayn-Wittgenstein wegen rechtsextremer Kontakte bis hin ins Holocaustleugner*innen-Milieu noch keinen neuen Landesvorsitzenden fand.
In Bremen wiederum kam die AfD in die Bürgerschaft – bei jeder Landeswahl seit 2015. Einen Fraktionsstatus erreichte sie wegen der niedrigen Wahlergebnisse und den internen Konflikten aber nicht. Die Nähe des Gruppenvorsitzenden und AfD-Bundestagsmitglieds Frank Magnitz zum „Flügel“ und zur rechtsextremen Identitären Bewegung störte intern aber kaum. Hier wird der Führungsstil beklagt.
In Hamburg schließlich wurde Anfang Dezember bekannt, dass Detlef Ehlebracht die Bürgerschaftsfraktion und die Partei verlässt. Aus persönlichen Gründen, erklärte der nun ehemalige parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion. Bereits 2018 wendete sich der AfD-Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende Jörn Kruse wegen der anhaltenden Rechtsentwicklung von Fraktion und Partei ab. Verlässt ein weiterer AfD-Mandatsträger die Fraktion, ist auch an der Elbe der Parlamentsstatus verloren.
Der Druck wächst. Denn Mitte Dezember konstatierte der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD), dass die „aktuellen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes“ ein „sichtbar erhöhtes rechtsextremistisches Potenzial“ innerhalb der Hamburger AfD nahelegten – bis in die Fraktion hinein. Das Hamburger Bündnis gegen Rechts hatte allerdings schon 2017 unter anderem auf die möglichen Beziehungen des Fraktionspressesprechers zur rechtsextremen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland hingewiesen.
Seit 2015 ist durch die taz auch bekannt, dass der Bürgerschaftsfraktionsvorsitzende Alexander Wolf ein Alter Herr der rechtsextremen Burschenschaft Danubia ist. In dem Richtungsstreit konnte Wolf sich in den Medien wegen der Kritik am „Flügel“ dennoch als moderat inszenieren – ganz wie Meuthen. Obwohl Wolf gerade erst wieder formulierte, dass die Partei weg wolle „vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland“.
Dass solche medialen Inszenierungen trotz ihrer Widersprüchlichkeit tatsächlich gelingen, das offenbart den bundesdeutschen Rechtsruck – auch im Norden.
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