Szenenbildnerin über TV-Produktionen: „Wir wollen verführen“

Orte im Film schaffen Sehgewohnheiten, sagt Silke Buhr. Die Szenenbildnerin spricht über die Schwierigkeit von Unspektakulärem und das Brechen von Erwartungen.

Zwei Menschen sitzen in einem Hotelzimmer

Zwei Figuren, ein Raum: „Das Verhör in der Nacht“ mit Sophie von Kessel und Charly Hübner Foto: ZDF/Arte

taz: Frau Buhr, als Szenenbildnerin haben Sie den Thriller „Das Verhör in der Nacht“ ausgestattet, der kürzlich im ZDF zu sehen war. Dieser spielt zwischen zwei Figuren in bloß einem einzigen Raum, einem Hotelzimmer. Wie gehen Sie mit einer derart beschränkten Ausdrucksmöglichkeit um?

Silke Buhr: Dieser Film war für mich besonders intensiv, das glaubt man vielleicht auf den ersten Blick nicht. Es fing damit an, dass wir das Hotelzimmer zunächst bauen mussten. Denn fast 20 nächtliche Drehtage in einem echten Hotel – das wäre niemandem zuzumuten gewesen. Wir haben also ein komplett fiktives Hotelzimmer gebaut, mit der ungefähren Idee einer westdeutschen mittelgroßen Stadt im Hinterkopf. Die Herausforderung war: Der Raum soll so normal wie möglich aussehen. So als wenn jeder schon mal dagewesen wäre.

Das Hotel als neutraler Ort. Gleichzeitig soll das Szenenbild uns aber etwas mitteilen, etwa über die Figuren. Wie macht man das?

Es war wichtig, dass die Figuren sich im Raum bewegen können, gleichzeitig durfte das Zimmer nicht so groß sein, dass es wie eine Suite rüberkommt. Die Figur der Professorin sollte nicht so wirken, als lebe sie im Luxus. Gehobene Ausstattung, ja, aber auch nichts Besonderes. Keinesfalls durfte es aufgesetzt sein. Ein ganz unspektakuläres Szenenbild zu entwickeln ist eine anspruchsvolle Aufgabe.

Wann wirkt denn ein Szenenbild für Sie „aufgesetzt“?

Wiederkehrende, überstrapazierte Motive: das Haus am See – eine Zeit lang kam das ständig im „Tatort“. Manchmal schafft das Fernsehen ganz allein solche stereotypen Orte. Die sind uns dann vertraut, aber nicht, weil wir sie aus der Wirklichkeit kennen, sondern weil es Sehgewohnheiten sind. Mit solchen Erwartungen kann man natürlich spielen. Entweder indem man sie unterläuft oder aber stark überhöht. Alles dazwischen jedoch ist schwierig, wenn man sie also bloß wiederholt.

erhielt für ihr Szenenbild im Kinofilm „Berlin Alexanderplatz“ 2020 den Deutschen Filmpreis. Zuvor war sie bereits für ihre Arbeit an „Das Leben der Anderen“, „Poll“ und „Who Am I“ ausgezeichnet worden. Sie ist gelernte Tischlerin und Diplomingenieurin im Fach Innenarchitektur.

Ich bin immer überrascht, wie viele gut situierte westdeutsche Neubauten und Kücheninseln mit Granitflächen man im deutschen Fernsehfilm zu sehen bekommt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Das ist meinem 17-jährigen Sohn auch aufgefallen. Nicht die Küchen, aber die Häuser. Wir leben in einer Berliner Stadtwohnung und er hat angemerkt, dass alle Geschichten – auch die Kindergeschichten – immer in einem Einfamilienhaus spielen. Entweder hat uns die Werbung da hingebracht, oder es ist so eine Art Kollektivtraum von einem modernen Einfamilienhaus, der da aufgerufen wird. Um den Zuschauer zu binden. Nicht so doll, dass man neidisch wird, aber ein Lebensmodell, von dem man erwartet, dass sich viele damit identifizieren, auch wenn sie es selbst gar nicht leben.

In „Bad Banks“ hat man es mit einem Thema zu tun, das abstrakt ist, dessen Handlung sich in Zahlen und abstrakten Werten bewegt, im Fall der zweiten Staffel, an der Sie mitgewirkt haben, auch noch zusätzlich in der Welt des Programmierens. Wie geht man da szenenbildnerisch ran?

Ich habe mir da den Kinofilm „Who Am I“ zum Vorbild genommen, in dem es um Hacker geht und an dem ich ausstatterisch beteiligt war. Die Herausforderung ist, nicht bloß Leute an der Computertastatur zu zeigen, die auf Bildschirme starren – so wie es ja eigentlich ist –, sondern ich habe versucht, eine abzeichnenbare Welt zu zeigen. Eine Welt, die Oberflächen hat, Risse. Das fand ich schon in der ersten Staffel von „Bad Banks“ unheimlich gut gelungen. Da wurden schreiende, schwitzende Banker gezeigt, wer hätte so ein Bild schon normalerweise im Kopf? In der zweiten Staffel habe ich versucht, genau daran anzuknüpfen. Das Unsichtbare sichtbar zu machen.

Am Montag, den 28. 12., strahlt die ARD um 20.15 Uhr den Film „Werk ohne Autor“ von Florian Henckel von Donnersmarck aus, zu dem Silke Buhr ebenfalls das Szenenbild beitrug.

Wie macht man das Unsichtbare sichtbar?

Ich komme aus der Architektur, für mich ist der Raum immer greifbar und sichtbar. Ich habe in jedem Moment ein Umfeld um mich, ob ein schönes oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt, aber das Umfeld hat immer einen Sinn: wo ich da bin, warum ich da bin, was ich da bin. Es wird in Kritiken immer viel über Licht geschrieben, oder Kamera – natürlich zu Recht, aber es wundert mich auch, denn diese Dinge sind für Zuschauer ja viel schwerer zu erfassen als der Raum, den man wirklich sieht: das Szenenbild. Bei „Bad Banks“ ist da zum Beispiel mit vielen Frankfurter Hochhäusern gearbeitet worden, klar. Wenn man die Figuren in diesem Umfeld platziert, versteht der Zuschauer sofort und unmittelbar, in welcher Welt die Geschichte spielt, meist ohne dass er es bewusst sieht. Die Figuren brauchen diese Information dann gar nicht mehr selbst auszusprechen.

Ist es also ein Erfolg, wenn das Szenenbild eben nicht weiter beachtet oder beschrieben wird?

Durchaus, danach streben wir. Wir wollen den Zuschauer verführen, er soll drin sein, er soll sich identifizieren – und er soll sich in diesen 90 Minuten, die er bei uns ist, so bewegen können wie in seinem eigenen Umfeld. Das gilt auch dann, wenn Filme in einer ganz anderen Welt spielen, in der Zukunft etwa, oder denken Sie an Filme von Wes Anderson. Selbst dann geht es darum, dass der Zuschauer in dieser Welt ankommt und auch dableibt. Dass er das, was er sieht, ein Stück weit glaubt. Das ist jedenfalls immer mein Ziel.

Für den Kinofilm „Berlin Alexanderplatz“ haben Sie dieses Jahr den Deutschen Filmpreis in der Kategorie Szenenbild erhalten. Gibt es grundlegende Unterschiede in Ihrer Herangehensweise beim Kino gegenüber dem Fernsehen?

Es fängt zunächst einmal genau gleich an: Man liest das Drehbuch und stellt sich vor, was das für Bilder werden könnten. Und dann gleicht man sich ab mit Regie, Kamera und Kostüm. Da geht es erst einmal darum zu fragen: Was ist das für eine Geschichte und was will diese Geschichte von mir als Szenenbildnerin? Bis dahin ist alles gleich. Den Unterschied sehe ich darin, dass beim Fernsehen der Fokus tendenziell weniger beim Szenenbild liegt.

Bei Produktionen wie „Babylon Berlin“ natürlich schon, aber oft wird das Szenenbild im Fernsehen weniger als organischer Bestandteil des ganzen Werks gesehen. Die Kücheninsel etwa, die Sie ansprechen: die ist einfach da, sie hat keine Bedeutung, es steht kein besonderer Gedanke dahinter, reine Konvention. Proportional wird mir beim Kino auch etwas mehr Budget zugeteilt als beim Fernsehfilm. Beim Kino gibt es eben eher von vornherein den Anspruch, über Bilder zu erzählen. Ich persönlich würde da natürlich lieber keine Unterschiede machen. Ich würde lieber kinoeskes Fernsehen sehen.

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