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Zuckersüßes Ende

In letzter Minute krönt sich der FC Bayern durch ein Tor des neuen Weltfußballers Robert Lewandowski doch zum Herbstmeister

Last Minute Drama, Baby: Robert Lewandowski rettet in der Nachspielzeit die Herbstmeisterschaft Foto: ap

Aus Leverkusen Daniel Theweleit

Wenn sich Manuel Neuer, dieser Mann, der schon alles gewonnen hat, dort hinten in seinem Strafraum auf den Weg zu einem einsamen Jubelsprint über den halben Platz macht, seine Freude und sein Glück wild herausbrüllt, dann ist in der Regel etwas ganz Besonderes vorgefallen. So wie am Samstagabend in der dritten Minute der Nachspielzeit, als Robert Lewandowski dieses Münchner Fußballjahr mit einer sehr speziellen Pointe beendete. Der Treffer des Polen beim nun gestürzten Tabellenführer zum 2:1 beförderte die Bayern zurück an die Tabellenspitze, Thomas Müller sprach von einer „Wahnsinnssituation“ und staunte über Lewandowski, den seit Donnerstag ganz offiziell besten Fußballer des Planeten: Weil der „selbst, wenn es nicht ganz so gut läuft, doch trifft“. Zwei Mal sogar. Aber die beiden Lewandowski-Tore, mit denen der Pole mal wieder seine Einzigartigkeit unter Beweis stellte, waren nur ein Aspekt.

Wieder waren die Münchner in Rückstand geraten, im siebenten Bundesligaspiel nacheinander, „das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen“, sagte Müller in mehreren Interviews. Das erzählt viel über den Umgang der Münchner mit diesem besonderen Fußballjahr. Sie hadern nicht, sondern machen einfach weiter, keines der sieben Spiele haben sie übrigens verloren. Richtig gut gespielt hatten sie nicht, Trainer Hansi Flick kritisierte „Aufmerksamkeitsdefizite“. Müller wies darauf hin, dass der FC Bayern im Moment „viel kämpfen“ müsse und „sehr ungenau“ spiele. Sogar eine sensible Krisengeschichte brachten sie von ihrem Ausflug ins Rheinland zurück nach München.

Leroy Sané war nach 32 Minuten für den verletzten Kingsley Coman eingewechselt worden, musste den Platz nach sehr bescheidender Leistung und vielen Fehlern in der 68. Minute jedoch wieder verlassen. Der 24 Jahre alte Nationalspieler, der prominenteste Neuzugang des Champions-League-Gewinners, war im Topspiel vor den Augen der ganzen Fußballwelt bloßgestellt worden. Und die Erläuterungen von Trainer Hansi Flick zu dieser Maßnahme klangen erstaunlich kühl: Er habe nun mal Jamal Musiala einwechseln wollen, und als Austauschspieler seien nur drei Kandidaten infrage gekommen: Müller, Serge Gnabry und Sané. „Thomas ist für uns unverzichtbar, weil er kluge Entscheidungen trifft“, sagte Flick, „Serge hat sich in der zweiten Halbzeit deutlich gesteigert, und dann gab es die Option Leroy, und die musste ich dann nehmen.“ Am Ende gehe es schließlich darum, „dass die Mannschaft Erfolg hat und der Einzelne sich zurücknimmt“.

Wahrscheinlich handelte es sich aber schon auch um eine pädagogische Maßnahme. Womöglich hat Flick das Gefühl, Sané, der die Höhepunkte des Jahres mit Meisterschaft, Pokalsieg und Gewinn der Cham­pions-League noch aus der Ferne erlebte, sei kein tragendes Element in diesem Team, dessen Zusammenhalt und Gemeinschaftssinn zu einem zentralen Erfolgsfaktor wurde. Nun stellte die kleine weihnachtliche Sané-Geschichte kurioserweise genau diese Stärke der Bayern noch einmal heraus. Müller tröstete Sané nach dem Abpfiff geradezu liebevoll und formulierte eine kleine Schwärmerei über den Kollegen, der nach seiner Auswechslung einsam in seinen Adiletten auf der Tribüne gesessen hatte. „Ich spiele mit Leroy sehr, sehr gerne zusammen“, sagte der Münchner Wortführer. Er habe „mit Leroy ein sehr gutes Spielverständnis“, jeder habe sehen können, „als er in der ersten Halbzeit reinkam, hatten wir mehr Offensivzug auf rechts“, und: „Wir als Mannschaft stehen absolut hinter ihm. Er ist ganz nah dran, dass der Knoten aufgeht.“

Am Ende dieses zuckersüßen Münchner Jahres entwickeln selbst die unerfreulichen Vorkommnisse eine stärkende Kraft, auch Sané konnte das schnell erkennen. „Die Auswechslung kam im ersten Moment überraschend für mich – das kannte ich so nicht“, sagte er der Bild-Zeitung. „Aber auch das passiert einmal. Das Team war direkt nach Abpfiff an meiner Seite, und wir haben uns alle über die drei Punkte gefreut.“ Sogar das erstaunlich frühe Comeback von Joshua Kimmich durften sie feiern. Die Leverkusener hingegen mussten sich über eine verpasste Chance ärgern. Auch sie hatten nicht so stark gespielt wie zuvor. Dass sie aber beide Gegentreffer durch leicht vermeidbare Fehler begünstigten, machte Trainer Peter Bosz „sehr sauer“. Die Bayern sind derzeit menschlich und verwundbar, aber die Konkurrenz kann keinen Profit daraus schlagen.

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