Geschichten zum Jahreswechsel (IV): Zecke

Eileen ist auf Kanutour und auf alles vorbereitet – nur nicht auf Anita, die plötzlich heulend vor ihr steht. Eine Geschichte über Körper und Jugend.

Abendstimmung am Kummerower See

Der Kummerower See am Abend Foto: Rebecca Grabe / Wikimedia Commons (CC BY-SA 4.0)

„Was machst du denn noch hier?“ Eileen sieht von der letzten Postkarte auf. Sie ist fast fertig. Nur der Abschied fehlt noch und das lustige kleine Selbstportrait, für das unter der Adresse noch Platz ist. Das ist so ein Ding zwischen ihr und Merle. Sie hat sich überlegt, sich diesmal mit Kapitänsmütze zu malen, obwohl sie ja nur Kanufahren sind.

Anita steht in der Tür und starrt sie anklagend an. Ihr Haar glänzt feucht und dunkel wie Kaffee ohne Milch. Ihr Gesicht ist noch ganz nass. Sie trägt obenrum ein T-Shirt mit Glitzer und untenrum ihr rotes Badehandtuch umgeschlungen. Sie ist barfuß. Ihre Zehen sind dunkelgrün lackiert. An ihrem Fußknöchel glitzert ein silbernes Kettchen mit einem Anhänger. Ihre Chucks, echte, trägt sie in der Hand, die Jeans hat sie sich über den Arm gelegt.

„Was?“, fragt Eileen. Sie sieht sich um und stellt fest, dass sie allein auf dem Matratzenlager liegt, bäuchlings auf ihrem Schlafsack, vor sich die Karten, die sie vorhin am Kiosk gekauft hat. Vero und Sarah, die eben noch auf Veros Discman Musik gehört haben, sind weg. Sogar die Jungs hört sie am Ende des Flurs nicht mehr. Das Gästehaus ist ganz still. Im Dachfenster in der Schräge über Eileen ist der Himmel abendblau. Der große lange Raum riecht nach Schweiß und See und Deo und Anitas Parfum, das sie letzte Woche zum Dreizehnten bekommen und alle ihre Freundinnen hat probieren lassen.

„Das Abendessen hat schon angefangen!“, zischt Anita. Sie wischt sich mit dem Handrücken das Gesicht trocken. „Wir sollen längst drüben sein!“

„Oh, Mist“, murmelt Eileen und rappelt sich hastig auf. Ihre Arme sind zittrig vom Tag auf dem See, und ihre Hände haben rote Schwielen vom aufgerauten Plastikgriff des Paddels. Sie steckt die Karten in ihr Notizbuch, das sie als Unterlage benutzt hat, klemmt sich den Kugelschreiber vorn ins T-Shirt und schnappt sich ihre Schuhe vom Boden. Dann merkt sie, dass Anita weint. Sie hält überrascht inne.

Kann es schöne Geschichten über prekäres Arbeiten geben, oder Gespenster mit Nachrichtenwert? Finden wir es heraus. Die taz.nord widmet sich zum Jahreswechsel der Literatur: mit vier Erzählungen von Autor:innen, die etwas zu sagen haben.

„Alles okay?“

„Natürlich!“, schnappt Anita. Ihre Stimme bebt, und ihre Augen sind rot. Jetzt fällt es Eileen auf. Ihr Gesicht wird heiß. Sie senkt rasch den Blick. Anita stapft ins Zimmer und schmeißt ihre Sachen heftig auf den Schlafsack. Sie hat den Platz an der Wand, den besten, wo es eine Steckdose gibt. Chrissy und Svantje haben sich gestritten, wer neben ihr schlafen darf. Svantje, die Eileens beste Freundin in der Grundschule war, hat gewonnen.

„Kannst du dich vielleicht beeilen? Ich will mich endlich umziehen!“

„Ja, klar“, murmelt Eileen. Sie schlüpft mühselig in ihre Schuhe, die noch leicht feucht und schmutzig vom Kanuboden sind. Die Schnürsenkel kann sie draußen binden. Sie schlappt, das Buch unter den Arm geklemmt, zur Tür. Anita steht mit verschränkten Armen da. Im Vorbeigehen riecht Eileen ihr Shampoo und einen Hauch Parfum, den See und Dusche nicht abwaschen konnten. Sie ist schon auf dem dunklen Flur, als Anita laut sagt: „Warte mal!“

Eileen zögert. Sie kann sich nicht erinnern, ob Anita je was von ihr gewollt hat, außer sich über sie lustig zu machen, aber sie hat sie auch noch nie so heulen sehen. Also schlurft sie doch zurück in die Tür. Anita steht vor ihrem Schlafplatz. Sie hat sich das Gesicht abgewischt und umklammert ihre eigenen Ellbogen. Sie sieht immer noch wütend aus, aber nicht mehr ganz so sehr. Und wen allein verarschen macht ja auch keinen Sinn. Chrissy und Svantje sind nicht da, um zu lachen, und Jonas auch nicht.

„Was denn?“, fragt Eileen, bereit, den Rückzug anzutreten.

Anita reibt ihre Ellbogen und sieht jetzt auf ihre Füße. Ihre Nägel sind total ordentlich lackiert. Ihr Haar tropft nasse Flecken auf ihr T-Shirt. Sie runzelt die Stirn, öffnet und schließt den Mund und fragt dann heiser und schnell: „Hattest du schon mal eine Zecke?“

Eileen starrt sie an. Instinktiv will sie sagen, dass sie nie eine hatte. Frau Bellmann hat ihnen heute Mittag vor der Kanufahrt noch mal gesagt, dass sie sich auf jeden Fall beim Duschen nach Zecken absuchen sollen. Jonas hat dann erzählt, wie er mal eine in der Kniekehle hatte und sie beim Hinsetzen zerplatzt hat und wie ihm das Blut runtergelaufen ist, und Anita, Chrissy und ihre Freundinnen haben am allerlautesten darüber gekreischt, wie mega eklig das bitte ist, und Frau Bellman hat gesagt, das sei nicht lustig und man solle Zecken sich niemals so lange festsaugen lassen, sondern gleich rausmachen, weil die Borreliose übertragen können. Davon kann man sterben, hat sie gesagt. Da hat erst mal keiner gelacht.

„Ja, schon“, sagt Eileen vorsichtig. „Aber nur so zwei.“ Was eine glatte Lüge ist. Ihre Oma hat einen großen Garten, und Zecken lieben Eileen einfach, genau wie Mücken. Obwohl sie sich gleich nach dem Aufstehen mit dem Spray eingenebelt hat, hat sie schon fünf Stiche. Und an Borreliose ist sie auch noch nicht gestorben.

Anita verzieht nicht das Gesicht, fängt nicht an zu lachen. Sie sieht auf. Die Wut schmilzt ihr vom Gesicht, dass es Eileen fast erschreckt. „Kannst du die rausziehen?“, fragt sie hoffnungsvoll.

Und da kapiert Eileen endlich. Einen Moment gafft sie Anita bloß dumm an. Eben hat sie noch schlau gedacht, ob Anita wohl gerade ihre Periode bekommen hat, wegen dem roten Handtuch. Viele Mädchen in der Klasse haben sie schon, Svantje auch. Eileen hat vorn in ihrem Rucksack zwei gefaltete Binden in Plastikfolie, für den Fall. Davon hätte sie Anita bestimmt eine gegeben.

„Frau Bellmann hat eine Pinzette“, sagt sie verunsichert.

Anita schüttelt sofort den Kopf. Ihr Haar schlackert nass. Sie verschränkt die Arme fest vor der Brust. Ihr Fußkettchen blinkt, als sie nervös das Gewicht verlagert. „Das geht nicht.“

Sie versteht schon, was Anita will. Sie ist ja nicht völlig blöd. Sie kann es nur nicht so ganz glauben. Warum fragt sie denn nicht einfach Chrissy oder Svantje oder gleich Jonas? Der ist doch Experte angeblich

„Warum nicht?“

Anitas Schultern wandern hoch, und ihre Wangen bekommen rote Flecken. Sie schüttelt noch einmal den Kopf.

„Die gehen eigentlich ganz leicht raus, auch mit Fingernägeln. Glaube ich“, fügt sie rasch an.

„Ich kann nicht!“, stößt Anita heftig hervor. „Ich kann das einfach nicht, okay?“

„Okay“, sagt Eileen unsicher. Sie versteht schon, was Anita will. Sie ist ja nicht völlig blöd. Sie kann es nur nicht so ganz glauben. Warum fragt sie denn nicht einfach Chrissy oder Svantje oder gleich Jonas? Der ist doch Experte, angeblich. Sie muss ja nur warten. Sie wippt zögernd auf dem linken Schuh. Dann gibt sie sich einen Ruck. „Ich kann mal gucken“, sagt sie. Sie geht langsam zurück zu Anita und sieht sich um, wo sie ihr Buch ablegen kann. „Wo ist die denn?“

Anita antwortet nicht. Eileen legt das Buch auf den Schlafplatz von Jojo, die den schlechtesten Platz im Raum hat, den direkt an der Tür und beim Mülleimer, in dem Papiere von Schokoriegeln und Saftpäckchen liegen, und dreht sich zu ihr um. Anita umklammert ihre Arme so fest, dass ihre Haut bis unter die Ärmel vom T-Shirt bleich spannt. Sie wird immer röter. Ihre Augen glänzen feucht.

„Was?“, sagt Eileen. Ihr Herz schlägt schon von ganz allein nervös schneller. „Was denn?“

Anita blinzelt, und mehr Tränen laufen ihr runter. Sie sieht auf ihre nackten Füße, auf den hässlich gemusterten Gummibelag des Gästehauses, der von vielen Klassen vor ihnen zerkratzt und fleckig ist. „Die ist zwischen meinen Beinen“, krächzt sie und fängt dann richtig an zu heulen.

Ein Sturz Blut geht Eileen ins Gesicht, und ihr Magen ballt sich wie eine Faust. Sie glotzt Anita an. Ihr Schluchzen hallt im leeren Raum. Eileen sieht sich ängstlich um. Der Flur gähnt dunkel. Sie sollten beide seit zehn Minuten beim Essen sein. Sicher kommt gleich wer sie holen, und dann gibt es Ärger für sie beide, und Frau Bellmann wird Anita fragen, was los ist.

„Du musst es einfach mit den Fingernägeln machen“, sagt sie. Ihre Stimme kommt selbst etwas krächzig heraus. Aber Anita heult nur heftiger. Sie hat die Fluttore geöffnet, würde Eileens Mutter jetzt sagen. „Ich kann das nicht!“, schluchzt sie, ganz schrill. „Bitte mach sie raus! Mach sie raus! Mach sie raus!“

Eileen fühlt ihren Herzschlag jetzt im Mund, so geht er ab, und ihr Bauch tut weh. Warum haben Vero und Sarah nichts gesagt? Aber wahrscheinlich haben sie das und Eileen hat es nur nicht mitgekriegt, wie immer, wenn sie in etwas vertieft ist. Bei der Deutsch­arbeit musste Herr Ritter rüberkommen und ihr auf die Schulter klopfen, weil sie nicht gemerkt hat, dass Abgabe ist.

„Okay, okay! Ich mach es, okay?“

Anita nickt heulend. „Danke!“, schluchzt sie. „Danke!“ Sie hält sich den Mund zu, um sich zu beruhigen. Sie sieht selbst erschrocken aus. Sie atmet schnaufend ein und aus, wischt sich übers Gesicht und schnieft.

Eileen schließt erst mal die Tür. Ihr ist leicht schwindelig, weil das alles so verrückt ist, wie zu viel geschaukelt oder gedreht. Sie denkt daran, wie Ärzte im Fernsehen „Machen Sie sich mal frei“ sagen, aber das kann sie unmöglich sagen. Niemals. Anita setzt sich schniefend auf das Fußende von ihrem Schlafsack und macht mit bebenden Händen ihr Handtuch ab und bedeckt sich, so gut sie kann, das andere Bein. Ihr Gesicht ist tomatenrot. Sie weint noch, aber nicht mehr so schlimm. Eileen geht das Stück zu ihr rüber und wünscht, sie hätte sich die Schnürsenkel zugebunden. Ihr Gesicht ist jetzt kochend heiß. Ihre Ohren tun richtig weh. Ihre Hände sind eiskalt. Dabei hat sie ja keine Angst vor Zecken, nur da, wo sie sind.

Augen zu und durch, denkt sie und kniet sich vor Anita hin. Anita sitzt mucksmäuschenstill. Ihre geöffneten Beine sehen rau aus von Gänsehaut. Sie muss sich schon rasieren. Eileen will es nicht bemerken und tut es doch. Die Haare wachsen gerade erst in sanften Stoppeln nach. Sie will nicht denken, dass ihre Oma sagt, nur Nutten würden sich überm Knie rasieren. Aber da ist es schon gedacht.

Mit Anitas Shampoo und Parfum in der Nase merkt sie, dass sie selbst nach Schweiß stinkt. Sie wollte erst die Karten schreiben und nach dem Abendessen duschen. Der Briefkasten vorm Hotel wird nämlich früh morgens geleert. Für ihre Mutter und ihre Oma hat sie die gleiche Karte vom glitzernden Kummerower See, aber für Merle hat sie eine mit einem Eisvogel drauf gefunden. Merle ist total verrückt nach Vögeln. Sogar auf ihrem Briefpapier, auf dem sie Eileen schreibt, sind welche im Hintergrund. Selbst gesehen hat Eileen den Eisvogel noch nicht, aber es war ja auch erst der erste Tag.

Sie denkt daran, wie Ärzte im Fernsehen „Machen Sie sich mal frei“ sagen, aber das kann sie unmöglich sagen. Niemals

Ihr Mund ist staubtrocken. Sie reibt die Finger an den Knien ihrer Jeans, damit sie aufwärmen und nicht so kleben, und guckt dabei langsam Eileens Beine hoch, bis sie die Zec­ke findet. Sie ist noch ziemlich klein und vor allem gar nicht richtig zwischen den Beinen, denkt sie mit einiger Erleichterung, jedenfalls nicht da, sondern nur da, wo der Oberschenkel aufhört, einen Millimeter oder so unter dem Bündchen von Anitas Slip. Sie hat ein bisschen dunklen Flaum da.

Nur auf die Zecke gucken, sagt sie sich. Sie stellt sich vor, dass sie ein Experiment in Chemie macht oder einen Kartentrick oder ein trickreiches Hölzchen aus einem Jengaturm zieht oder eine Nadel in ein Öhr fädelt. Ihre Hände werden ganz ruhig, ihr Kopf auch. Sie war noch nie so froh, dass sie sich das Nagelbeißen abgewöhnt hat wie jetzt. Als sie mit den Fingerknöcheln leicht Anitas Bein streift, zuckt Anita heftig zusammen, quietscht und zappelt. Eileen bleibt cool. Sie wartet, bis Anita wieder still sitzt. Dann legt sie die Fingerkuppe über den Kopf der Zecke und den Daumen darunter, bis sie einen Fremdkörper zwischen den Nägeln spürt, kaum mehr als eine Stecknadeln und nicht so rund. Noch nicht. Eileen denkt an das Blut, das Jonas die Kniekehle runterläuft. An das Gefühl, wie die Zecke zerplatzt.

Anita wimmert leise über ihr, als würde sie auch daran denken. Sie hat die Augen fest zu. Aber Eileen sieht ganz genau hin. Sie hat keine Angst. Sie ekelt sich nicht. Nicht zu fest, nicht zu schnell. Sie sagt ganz cool: „Jetzt.“ Sie dreht die Finger leicht und zupft leicht und Anitas Haut hebt sich einen Millimeter und die Zecke ist heraus. Eileen lehnt sich so schnell zurück, dass ihr schwindelig wird. Das Zimmer kreiselt, hinter ihren Augen pocht es.

„Ist sie raus?“, keucht Anita. „Hast du sie?“

Eileen nickt. Sie spürt die Zecke zwischen ihren Fingerkuppen. Winzig. Sie bewegt sich ein bisschen. Strampelt.

„Hast du sie auch ganz raus? Steckt nicht noch was drin?“

Sie kann die Zecke gut sehen, auch wenn es ihr leicht in den Augen sticht, sie so nah vors Gesicht zu halten. Schwarzer Kopf, Zangen, zwei Beinchen vorn, zwei hinten, der Körper leicht angeschwollen. Zwei Tropfen von Anitas Blut. Alles da. Sie schüttelt den Kopf. Anita bricht in erleichtertes Schluchzen aus. Sie vergisst sogar, das Handtuch zu umklammern. Es verrutscht.

Eileen kriecht rückwärts und steht wacklig auf. Ihre eigenen Beine sind so taub wie nach dem Cooper-Test. Sie geht wacklig zu ihrem Rucksack, holt ein Taschentuch heraus und streift die Zecke hinein. Sie muss mit dem Nagel nachhelfen, weil sie kleine Häkchen an ihren Beinchen hat und sich damit festkrallt. Dann legt sie das Tuch auf den Boden und zerquetscht die Zecke darin mit dem Nagel, wie ihre Oma es ihr gezeigt hat. Sie knackt leise. Es ist eklig, ja, aber es ist befriedigend. Jedes Mal wieder. Die Hitze fällt von ihr ab. Es atmet sich leichter. Ihr Herz beruhigt sich. Sie wirft das Tuch in den Mülleimer und hebt ihr Buch auf und dreht sich zu Anita um, die sich die Tränen trocknet. Jetzt fühlt sie sich federleicht. Wie ein Eisvogel, vielleicht.

„Siehst du?“, sagt sie glücklich. „Das war ganz einfach. Wollen wir zum Essen?“

Anita starrt sie an. Eileens gutes Gefühl schwindet so schnell, wie es gekommen ist. Wie ein kalter Wind über den See fährt es ihr unters verschwitzte T-Shirt.

„Nein. Und kann ich mich vielleicht jetzt in Ruhe umziehen?“

Eileen blinzelt sie an. „Oh“, sagt sie lahm. „Okay.“ Sie steht noch einen Moment da, ihr Buch umklammernd, bedröppelt, dann schlurft sie zur Tür. Ihr Herz schlägt wieder schneller.

„Mir war nur schlecht, kapiert?“

Sie sieht über die Schulter zu Anita, die mit zusammengepressten Beinen auf ihrem Schlafsack sitzt, auf dem besten Platz im Zimmer. Sie hat sich das Gesicht abgewischt. Ihre Augen spüren Funken. Sie sitzt jetzt gerade, mit vorgerecktem Kinn. „Wenn du es Chrissy sagst oder Jonas oder den Lehrern, mach ich dich richtig fertig. Kapiert?“

Eileen nickt.

„Und mach die Tür zu.“

Eileen geht hinaus und schließt die Tür hinter sich. Sie kommt am dunklen Zimmer der Lehrer vorbei und bei den Jungs, die die Fenster aufgelassen haben und das Licht an. Das gibt jede Menge Mücken im Zimmer. An der Treppe ist sie extra vorsichtig, wegen der offenen Schuhe. Im Erdgeschoss ist es dämmrig. Sie geht hinaus in den graublauen Abend und setzt sich auf die Betonstufe vor dem Eingang, um sich die Schnürsenkel zu binden. Sie ist noch schön warm vom Tag und die Luft lau. Trotz T-Shirt friert sie nicht. Es riecht nach See und nach ihrem Schweiß. Im Hotel brennt gelbes Licht, und über ihr im Zimmer der Mädchen auch. Sie bleibt sitzen und atmet ein und aus, bis ihr Herzrasen sich beruhigt und ihre Kehle sich lockert. Sie klappt ihr Notizbuch auf, nimmt die Postkarte mit dem Eisvogel heraus und schreibt sie fertig: „Wünsch mir Glück auf meiner nächsten Seefahrt! CU! Kapitän Eileen:)“ Ihre Hand zittert müde, und so super ist das Licht nicht mehr. Trotzdem malt sie sich noch als Kapitän über ihr Kanu. Wenn das Bild nicht ganz so gut ist wie das letzte, wo sie sich als Zombie mit raushängendem Hirn gemalt hat, wegen der Mathearbeit, dann macht der Eisvogel es wieder wett. Anita ist immer noch nicht herausgekommen, und im Hotel sitzen noch alle beim Essen. Eileen steht auf, steckt die Karten ein und macht sich auf den Weg zum Briefkasten.

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hat Kreatives Schreiben in Hildesheim studiert. 2013 erhielt sie den Walter-Serner-Preis. Ihr letzter Jugendroman „Nachtschwärmer“ erschien bei cbj. Derzeit arbeitet sie an einem Horror-Roman, der im trüben Niedersachsen spielt. Sie lebt mit ihrer Frau in Hamburg.

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