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Zu Hause kein Indie

Fun in the Church ist Sublabel von Staatsakt, einem der führenden deutschen Labels. Sein Markenkern ist Kraut-und-Rüben-Sound

Von Andreas Hartmann

Für viele war 2020 das Jahr, in dem sie Zeit fanden, sich auch mal um Dinge zu kümmern, die lange vernachlässigt wurden. Bücher wurden neu sortiert, mal wieder auf der Gitarre geklampft oder die Steuerunterlagen der letzten Jahre endlich mal ordentlich abgeheftet. Der Berliner Musiker und Labelbetreiber Maurice Summen hat die Coronazeit genutzt, sein Zweitlabel, das tatsächlich ziemlich pflegebedürftig wirkte, so richtig aufzumöbeln. Staatsakt, das eigentliche Betätigungsfeld von Summen, ist längst ein gut laufender Laden, eines der führenden Independent-Labels Deutschlands. Bands und Musiker:Innen wie Ja, Panik, Isolation Berlin und Christiane Rösinger sind hier beheimatet. Dreikäsehochs der deutschsprachigen Popmusik.

Seit nunmehr fünf Jahren führt Summen außerdem das Sublabel Fun in the Church. Nur haben das bislang nur wenige mitbekommen, löbliche Ausnahme ist die taz-Musikredaktion. Was aber auch kein Wunder ist: Bis 2020 waren insgesamt vier Werke veröffentlicht, zwei Singles und zwei Alben. Dafür lag 2020 richtig Druck auf dem Kessel. Fünf Alben hat Summen allein dieses Jahr veröffentlicht, mehr als bei Staatsakt. Und um aller Welt zu zeigen, dass der Laden so richtig brummt, gibt es nun auch noch eine Labelcompilation namens „Preacher’s Tape“. Darauf findet sich ein Querschnitt aller bisherigen Veröffentlichungen plus ein Ausblick auf das, was bald kommen wird. Zu haben ist das Tape als Download und, wie der Name schon sagt, als Audio-Cassette.

Independent-Labels brauchen eine klare Linie, um längerfristig bestehen zu können. Sie müssen für einen bestimmten Sound stehen, den sie verlässlich ihrer Zielgruppe liefern können. Und sie brauchen klare Qualitätsstandards. Bei einem Lieblingslabel sollte man sich darauf verlassen können, dass eigentlich alles, was es herausbringt, zumindest interessant klingt. Staatsakt wurde über die fast 20 Jahre seines Bestehens zu solch einem Label mit starkem Markenkern. Deutschsprachiger, gern auch mal sperriger Indierock mit niemals doofen Texten, dafür steht das Unternehmen aus Prenzlauer Berg.

Fun in the Church, und jetzt wird es interessant, funktioniert komplett anders. „Würde ich den ganzen Tag nur Indierock hören, das würde ich nicht aushalten“, sagt Maurice Summen in seinem Büro. Jazz, Raga, Soul, Folk der Tuareg, so etwas höre er gern privat. Und diese Hörgewohnheiten werden nun mit Fun in the Church abgebildet, das passenderweise nach einem Soul-Jazz-Instrumental des US-Saxofonisten Cannonball Adderley benannt ist. So treffen auf dem in diesem Jahr erschienenen Album mt dem Titel „Sufi Dub Brothers“ die beiden Hamburger Ashraf Sharif Khan und Viktor Marek zusammen und kreieren einen irren Mix aus Dance-Elektronik und klassischer indischer Raga-Musik. Die Berliner Tau5 mixen auf ihrem eben erschienenen Doppelbum Free-Jazz mit HipHop. Und von dem Berliner Duo Training gibt es krautig psychedelischen Jazz zu hören. Alles, nur keinen Indierock.

Riesige Spielwiese

Bei einem guten Label sollte alles, was es veröffentlicht, interessant klingen

Fun in the Church, sagt Summen, soll eine „Spielwiese“ sein und zuständig für all das, was Staatsakt-Liebhaber:innen eher verwirren könnte. Also letztendlich ein eigenständiges Brand ganz unabhängig von der Hauptmarke. Los ging es mit Fun in the Church damit, dass Summen eine Nummer ins Haus flatterte, die er gleich innig liebte und veröffentlichen wollte. Aber ihm war auch gleich klar: Das Stück könnte eingefleischte Staatsakt-Fans unter Umständen überfordern. Es handelt sich dabei um den Soul-Stomper „Ruined Heart“ des philippinischen Filmemachers und Sängers Khavn.

Unzeitgemäßes Rubrum

Aufmerksam auf das Stück hatte ihn Stephan Holl gemacht, der mit seiner in Köln ansässigen Firma Rapid Eye Movies den dazugehörigen Film vertrieb. Holl wurde auch zum Mitgründer von Fun in the Church, ist inzwischen aber wieder aus dem Labelgeschäft ausgestiegen. Ein Album von Khavn, der unter dem Bandnamen Bing Austria & The Flippin’ Soul Stompers firmierte, wurde gleich noch nachgelegt auf Summens Sub-Label. Produziert wurde es von Brezel Göring (Stereo Total). Soul von den Philippinen, entstanden unter tatkräftiger Mitarbeit von einem Berliner Trash-Elektroniker, derartige Kuriositäten, so lässt das bisherige Programm vermuten, sollen Standard werden bei Fun in the Church. „Outernational music for interplanetary people“, mit diesem Claim bewirbt das Label sein eigenes Programm. Unter Outernational Music verstehe er etwas, was man früher selbstzufrieden Weltmusik genannt hätte, sagt Summen. Khavn mache ja letztlich auch westlich geprägte Popmusik, nur komme er halt aus einem Land, das man in Sachen Popmusik sonst nicht so auf dem Schirm habe. Wer jemanden wie Khavn unter dem nicht mehr zeitgemäßen Rubrum Weltmusik einsortieren würde, könne nicht richtig verstehen, worum es hier gehe. Aktuell baut Summen Strukturen auf, um den Katalog von Fun in the Church im Ausland zu vertreiben. Bei Staatsakt war immer klar: Außerhalb des deutschsprachigen Raums interessiert dessen Veröffentlichungen kaum jemand. Doch Outernational Music soll auch global erhältlich sein. Corona bleibt uns ja noch eine Weile lang erhalten. Da hat Summen genug Zeit, sich weiter um die Belange seines wachgeküssten Zweitlabels zu kümmern.

Diverse KünstlerInnen: „Preacher’s Tape“ (Fun in the Church/Bertus)

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