Keine Klarheit über die Infektionslage

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen stagniert derzeit. Doch inwieweit das die Realität abbildet, ist unklar. Länder wollen neue Studie zur Gefahr in Schulen

Die Gesamtzahl der Coronatests ist unbekannt. Denn Schnelltests werden nicht erfasst

Von Malte Kreutzfeldt
und Ralf Pauli

Am kommenden Mittwoch wollen die Ministerpräsident*innen der Bundesländer erneut per Videokonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zusammenkommen, um über eine Fortsetzung und mögliche Verschärfung der Coronavorgaben zu entscheiden. Die Zahlen, die sie für ihre Beratungen heranziehen werden, sehen derzeit vergleichsweise gut aus: Im Mittel meldete das Robert-Koch-Institut (RKI) 18.338 Coronaneuinfektionen pro Tag seit vergangenem Donnerstag. Das sind 1,2 Prozent weniger als eine Woche zuvor. Statt des exponentiellen Anstiegs, der bis Ende Oktober zu beobachten war, scheint die Zahl also zu stagnieren oder sogar schon leicht zu sinken.

Das deutet darauf hin, dass die Anfang November in Kraft getretenen Regeln – vor allem verschärfte Kontaktbeschränkungen und die Schließung von Gaststätten und Freizeiteinrichtungen – wirken. Doch der Wert ist derzeit wenig verlässlich, räumte RKI-Präsident Lothar Wieler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Berlin ein. Denn seit Anfang November gelten neue Kriterien für die sogenannten PCR-Tests, mit dem das Corona­virus im Labor nachgewiesen wird: Wer keine oder nur leichte Symptome hat, bekommt in der Regel keinen Test mehr. So soll die Überlastung der Labore verhindert werden, da diese oft nicht mehr zeitnah arbeiten konnten.

Das hat auch funktioniert: In der letzten Woche ging die Zahl der PCR-Tests um 13 Prozent zurück. Doch was die Labore entlastet, erschwert die Vergleichbarkeit der Zahlen: Wenn weniger getestet wird, werden auch weniger Infektionen gefunden. „Es kann sein, dass wir weniger Fälle gemeldet bekommen“, sagte RKI-Chef Wieler.

Sicher ist das allerdings nicht. Denn während es weniger PCR-Tests gab, kommen seit Anfang November zugleich neu zugelassene Corona­schnelltests zum Einsatz. Diese liefern schon nach 15 bis 30 Minuten ein Ergebnis, sind aber nicht so genau wie die PCR-Tests. Wenn der Schnelltest positiv ausfällt, wird das Ergebnis darum mit einem PCR-Test abgesichert.

Wie häufig die Schnelltests verwendet werden, ist beim RKI aber nicht bekannt. „Eine Erfassung der nicht in Laboren durchgeführten Tests“ sei „aktuell nicht möglich“, teilte die Behörde der taz mit. Insofern wäre es auch denkbar, dass die Gesamtzahl der Coronatests gar nicht gesunken ist – sondern die Zunahme der Schnelltests den Rückgang bei den PCR-Tests teilweise ausgleicht oder sogar überkompensiert.

Einzelne Beispiele zeigen zumindest, dass die Corona-Schnelltests bereits in relevanter Zahl genutzt werden. So berichtete eine Berliner Hausarztpraxis, dass dort zuletzt fast so viele Schnelltests wie PCR-Tests durchgeführt worden. Der mittelständische Wärmepumpenhersteller Stiebel-Eltron teilte mit, dass unter den Mit­arbei­ter*in­nen bisher 7 PCR-Tests pro Woche durchgeführt werden; zuletzt waren es stattdessen 26 Schnelltests in einer Woche.

Verlässlichere Indikatoren als die Zahl der Neuinfektionen sind derzeit die Zahlen der Corona-Intensiv­pa­tien­t*in­nen und der Toten. Allerdings gibt es hier eine größere zeitliche Verzögerung, sodass Auswirkungen der jüngsten Beschränkungen bei diesen Werten noch nicht zu erwarten sind. Diese Zahlen steigen zwar weiter an, aber deutlich langsamer als im Oktober: Auf den Intensivstationen liegen aktuell 3.588 Coronapatient*innen und damit 13 Prozent mehr als vor einer Woche. Die Zahl der im Zusammenhang mit Corona Verstorbenen liegt im 7-Tage-Mittel bei knapp 200 pro Tag; das sind 32 Prozent mehr als vor einer Woche.

Eine wichtige Frage, über die außerdem am kommenden Mittwoch entschieden werden soll, ist, ob Schulklassen geteilt werden sollen, um im Unterricht mehr Abstand zu ermöglichen. Hier hatte es beim vergangenen Bund-Länder-Treffen keine Einigung gegeben. Die Kultusministerien gehen bislang davon aus, dass Schulen keinen wesentlichen Treiber der Pandemie sind. Mit dieser Einschätzung begründen die Bundesländer ihre Entscheidung, die Schulen auch bei den aktuellen Infektionszahlen möglichst im Regelbetrieb zu belassen. Außerdem argumentieren die Länder, Wechsel- oder Distanzunterricht würde dem Recht auf Bildung nicht gerecht werden.

Die Kultusminister*innen wollen nun wissenschaftlich untersuchen lassen, welche Rolle Schulen in der Pandemie spielen. Wie der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) am Donnerstag mitteilte, werde die Kultusministerkonferenz dazu eine Studie in Auftrag geben. Die Auswertung von Coronafällen an Hamburger Schulen habe ergeben, dass sich knapp 80 Prozent der infizierten Kinder und Jugendlichen „mit großer Wahrscheinlichkeit gar nicht in der Schule, sondern außerhalb“ infiziert hätten.

Ausgewertet wurden Daten zwischen den Sommer- und den Herbstferien Anfang Oktober, also einem Zeitraum, in dem das Infektionsgeschehen deutlich niedriger lag als zuletzt. Wann die Länder die Ergebnisse der geplanten Studie erhalten, ist noch nicht geklärt.