Rechte in Polen: Krawall am Unabhängigkeitstag

Ein Marsch nationalistischer Gruppen in Warschau artet zu einer Schlacht aus. Mehr als 300 Menschen werden festgenommen und zahlreiche verletzt.

Marsch nationalistischer Gruppen in Warschau mit bengalischem Feuer

Nationalistischer Gruppen in Warschau entzünden Bengalen-Fackeln am Mittwoch in Warschau Foto: Jedrzej Nowicki/Agencja Gazeta/reuters

WARSCHAU taz | Einen friedlichen Auto- und Motorrad-Korso hatten die nationalistischen Organisatoren des polnischen „Unabhängigkeitsmarsches“ für Mittwoch angekündigt. Doch es wurde eine rechtsradikale Krawallschlacht mit der Polizei. Während tausende Demonstranten Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper auf die Polizisten warfen, wehrten sich diese mit Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen. Ambulanzen transportierten die Verletzten vom „Schlachtfeld“ ab, darunter 35 Polizisten.

Im blutroten Rauch von Feuerwerkskörpern und Bengalen-Fackeln feuerte einer der Demonstranten auch eine Rakete in eine Wohnung und steckte sie in Brand. Wie die Polizei später mitteilte wollte der Angreifer die zwei Etagen höher gelegene Wohnung treffen, von deren Balkon eine weithin sichtbare Regenbogenfahne der Schwulen und Lesben flatterte sowie ein zweite mit dem roten Blitz-Symbol der feministischen Bewegung „Frauen-Streik“.

Mit dem Marsch sollte nicht nur an das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 und der damaligen Wiederentstehung des polnischen Staates erinnert werden. Vielmehr wollten die nationalistischen Organisatoren auch politisch Farbe bekennen.

Waren es in der Vergangenheit meist rassistische und Anti-EU-Slogans, die auf dem Marsch gegrölt wurden und auf Transparenten zu lesen waren, so liefen in diesem Jahr tausende Jungmänner (und einige hundert Frauen) hinter einer Parole von Katholischer Kirche und nationalpopulistischer Regierung hinterher: „Unsere Zivilisation – unsere Prinzipien“.

Zu Verzicht aufgerufen

Vor zwei Jahren, am 100. Jahrestag der Wiedererlangung der Unabhängigkeit, hatten sich Mitglieder der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) sowie Polens Präsident Andrzej Duda an die Spitze des Marsches gesetzt. Diese Jahr verwiesen sie auf die Corona-Ausnahmeregelungen und forderten dazu auf, den Marsch zum Schutz der Gesundheit vieler Menschen ausfallen zu lassen.

Die Polizei nahm mehr als 300 Personen fest, darunter 36 im Zusammenhang mit Straftaten. Ob sich auch Robert Bakiewicz, einer der Organisatoren des illegalen Marsches, vor Gericht wird verantworten müssen, ist noch offen.

Erst vor einer Woche hatte ihn die regierungsnahe Postille „Sieci“ als Helden auf ihrer Titelseite „Verteidigen wir unsere Kirchen“ gefeiert. Auf dem Titelbild-T-Shirt von Bakiewicz war eine zur Faust gereckte Hand zu sehen, die einen Rosenkranz wie einen Schlagring umklammerte. Hinter ihm demonstrierte eine „feministische Horde von linkem Lumpenpack“. So bezeichnet Polens Rechte gerne jene Polinnen, die seit Wochen gegen ein Urteil des Verfassungsgerichts protestieren, mit dem in Polen ein beinahe totales Abtreibungsverbot eingeführt werden soll.

Als sich Bischöfe und Priester überschwänglich für das Abtreibungs-Urteil bei den Nationalpopulisten von der PiS, der PiS-Regierung und dem von der PiS kontrollierten Verfassungsgericht bedankten, stürmten einige FrauenStreik-Demonstrierende 22 Kirchen und erklärten Priestern und Gläubigen während des Gottesdienstes, worum es ihnen ging. Andere Demonstrierende sprühten polenweit Frauen-Notrufnummern und den roten Blitz – das Symbol des Frauenstreiks „Achtung! Hochspannung!“ – an Häuserwände, darunter auch an die Fassaden von rund 70 Kirchen.

Bürgerwehr gegründet

Jaroslaw Kaczynski, der Parteichef der Nationalpopulisten und seit kurzem auch Vize-Premier, bauschte die paar Fälle zu „Attacken auf die Kirchen“ und einem „Angriff auf das Polentum“ auf. Öffentlich forderte er dazu auf, die katholischen Kirchen im ganzen Land zu beschützen. Daraufhin gründeten Bakiewicz und seine Anhänger die „Nationale Bürgerwehr“, die inzwischen nach eigenen Angaben mehrere zehntausend Mitglieder zählt und bereit ist, Polens Kirchen landauf landab gegen „Feministinnen und Barbarinnen“ zu verteidigen.

Die Frauen allerdings, die in den vergangenen Tagen gemäß der Corona-Ausnahmeregeln immer nur „spontan“ und zu fünft zu einem „Spaziergang“ zusammen trafen, hatten sich für den Unabhängigkeitstag eine „Quarantäne vom Nationalismus“ auferlegt und dazu aufgefordert, an diesem Tag zuhause zu bleiben. Wer wollte, konnte am Unabhängigkeitstag das Internet von nationalistischen und neofaschistischen Einträgen säubern.

Die meisten Demonstrantinnen der letzten Tage hielten sich daran. So gelang es, ein Aufeinanderstoßen der beiden Gruppen und weitere Ausschreitungen der Nationalisten zu vermeiden. Polens katholische Kirche aber wird die grölenden „Verteidiger von Vaterland, Gott und Ehre“ vor den Kircheneingängen so schnell nicht mehr los werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.