: Ein Bescheid mit Todesfolge
In ihrem Comic „Gegen mein Gewissen“ erzählt Hannah Brinkmann die Geschichte ihres Onkels Hermann. Der überzeugte Pazifist hatte sich 1974 das Leben genommen, nachdem seine Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen abgewiesen wurde
Von Jan-Paul Koopmann
Es gerät mit der Zeit in Vergessenheit, wie dramatisch eine Kriegsdienstverweigerung sein konnte. Denn schon vor der Aussetzung der Wehrpflicht in 2011 war die Verweigerung ja ein eher formaler Akt: die beinahe freie Entscheidung zwischen Bundeswehr, Zivildienst und der routinemäßig durchgewunkenen Ausmusterung aus gesundheitlichen Gründen. Es mag bei der Musterung neben Schimmel und Schweiß hier und da auch ein bisschen nach Faschismus gestunken haben, aber das waren zuletzt doch eher vage Ahnungen. Ganz anders ein paar Jahrzehnte zuvor, als Hermann Brinkmann aus Lindern beim niedersächsischen Cloppenburg 1974 wegen der Bundeswehr in ein Starkstromkabel griff und sich das Leben nahm.
Seine Nichte Hannah hat er nie kennengelernt, sie kam 18 Jahre später auf die Welt. Umgekehrt hatte auch sie nur wenig von ihrem Onkel gehört – bis sie zufällig die Todesanzeige fand, in der seine Eltern Hermanns Todesumstände öffentlich machten. Manche werden sich vielleicht sogar noch erinnern: Der Fall ging bundesweit durch die Presse und zog neben einer Schmutzkampagne der Springermedien auch eine breitere Debatte über die sogenannten Gewissensprüfungen nach sich. Aber wie gesagt: Hannah Brinkmann war da noch nicht geboren. Jetzt hat sie einen Comic über die Geschichte gemacht.
„Gegen mein Gewissen“ ist ihre Masterarbeit an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, wo sie bei Genregrößen wie Anke Feuchtenberger und Birgit Weyhe gelernt hat. Das sieht man ihrem Kunstcomic auch an: stark an der Malerei orientiert, große Gesichter, weite Augen, starr geöffnete Münder. Was wie ein altes Kinderbuch mit Ausflügen in den Symbolismus aussieht, erweist sich beim Lesen als sonderbar lebendig: Durch diesen Comic in ausgeblichenen Farben blättert man wie durch ein altes Fotoalbum, in das jemand die Post vom Kreiswehrersatzamt Oldenburg oder dem Klinikum Hamburg-Wandsbek geklebt hat, wo man Hermann Brinkmann kurz vor dem Suizid schrieb, dass man keine Depression erkennen könne.
Eine Diagnose maßt sich auch Hannah Brinkmann nicht an. Neugierig distanziert erzählt sie die Geschichte eines sensiblen Jungen, der Vaters Jagdausflüge schrecklich findet, der beim Cowboyspiel nicht mitkämpfen wollte. Und dem man Malzbier mit rohem Ei verabreicht, damit er zu Kräften kommt. Seine politischen Hintergründe bleiben trotz Degenhardt-Kassette und Bowie-Poster im Jugendzimmer vage: Ein irgendwie linker Lifestyle, klar, aber was heißt das schon in den 1970ern? Eindringlicher wirkt der gestrickte Elefantenteddy, der ihn sein ganzes kurzes Leben begleitet.
Sicher ist aber, dass Hermann Brinkmann politisch verweigern wollte: nicht ausgemustert werden und nicht auf überzeugter Christ machen, womit er wohl durchgekommen wäre. Er reibt sich auf bei der Gewissensprüfung, wo ihm mit psychischer Grausamkeit und Holzhammer-Dialektik Scheinfragen gestellt und Widersprüche in den Mund gelegt werden. „Obwohl Ihr Vater jagen geht, erlaubt es Ihnen Ihr Gewissen, weiterhin mit ihm zu verkehren? Interessant.“ Man kann schon richtig wütend werden beim Lesen dieser Geschichte, die Hannah Brinkmann so ruhig erzählt.
„Gegen mein Gewissen“ ist auch eine Geschichte über Tabus. In der Rahmenhandlung ist etwa zu erfahren, dass auch Hannah Brinkmanns Familie zunächst nicht gerade begeistert von ihrer Recherche war und sie die alten Wunden wieder aufriss. Und schon damals, 1974, sind Freunde noch durch die Nachbardörfer gefahren und haben sämtliche Bild-Zeitungen aufgekauft, damit die Eltern deren Lügenkampagne nicht lesen müssen. Untrennbar sind hier Medienkritik, Politik und Zeitgeschichte. Viel ist geschrieben worden über diese vergangenen Zeiten, über „BRD Noir“, wie es hier aus einem ganzseitig gezeichneten Frankfurter Kranz auf einer Blumentischdecke strahlt. „Wir fragen uns, warum Hermann diesen Weg gehen musste“, stand in der Todesanzeige und auch der Comic gibt darauf keine Antwort. Aber er erinnert mit Nachdruck daran, dass es bei der Wehrdienstverweigerung doch um etwas mehr ging, als nur um Fragen von Stil und Geschmack.
Hannah Brinkmann: „Gegen mein Gewissen“, Avant, 232 S., Hardcover, 30 Euro
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