Demo in Berlin zur US-Wahl: Von Hoffnung bis Entsetzen

Joe Biden hat deutlich schlechter abgeschnitten als erwartet. In Berlin lebende US-Demokrat*innen rechnen trotzdem noch mit einem Sieg.

Man sieht ein Protestplakat mit der Aufschrift "Count every Vote"

Vor dem Brandenburger Tor demonstrieren Menschen für die Auszählung aller Briefwahlstimmen Foto: Rieke Wiemann

BERLIN taz | Am Mittwochmittag stehen rund 50 Menschen auf dem Platz des 18. März am Brandenburger Tor. Auf ihren Winterjacken kleben runde blau-weiße Sticker mit der Aufschrift „I voted 2020“. Viele halten USA-Fähnchen und Plakate in die Luft, auf denen „Mail-in votes are legitimate“ steht oder „Count every vote“.

Sie demonstrieren dafür, dass jede einzelne Stimme bei den US-Präsidentschaftswahlen ausgezählt wird – egal wie lange dies dauert. Denn in manchen US-Bundesstaaten werden Briefwahlstimmen mit Poststempel vom Wahltag auch dann angenommen, wenn sie einige Tage nach der Wahl eingehen. Gestern hatte sich Donald Trump im Weißen Haus zum Wahlsieger erklärt und angekündigt, die Auszählung der Briefwahlstimmen gerichtlich stoppen zu lassen.

„Damit kommt Trump nicht durch“, sagt Emily Lines, eine der Demonstrierenden. „Der Supreme Court wird das nicht zulassen, in einer Demokratie müssen alle Stimmen gezählt werden.“ Die 32-Jährige ist vor neun Jahren von Indiana nach Berlin gezogen, ihre Eltern leben noch in den Staaten. Obwohl sie in der Nacht keine Sekunde geschlafen hat, wirkt Lines hellwach. „Ich habe große Hoffnung, dass Biden noch gewinnt“, sagt sie.

Zu diesem Zeitpunkt ist noch alles offen: Der demokratische Kandidat Joe Biden hat 224 Wahlleute, Trump 213. 270 sind für einen Sieg nötig. In sechs wichtigen Bundesstaaten läuft die Auszählung noch. Trotz des Optimismus merkt man der Amerikanerin ihre Enttäuschung an. „Ich hätte niemals gedacht, dass die Demokraten so schlecht abschneiden“, sagt Lines. Auch ihr Vater sei darüber erschüttert. „Um vier Uhr nachts habe ich noch mit ihm telefoniert, dann hat er sich schlafen gelegt – vor Verzweiflung.“ Und ihre Mutter? „Die hat einen Republikaner kennengelernt und ist jetzt Trump-Wählerin. Mit ihr rede ich nicht mehr über Politik“, sagt Lines.

Die Demokratie ist in Gefahr

Die Demonstration wurde von den Democrats Abroad initiiert, einer Organisation, die im Ausland lebende „Democrats“ vertritt und die Wahlbeteiligung von ausgewanderten US-Amerikaner*innen erhöhen will. Powen Shiah, 37, ist im Vorstand und wie Emily Lines vom bisherigen Wahlergebnis überrascht. Genauso wie sie glaubt aber auch Shiah fest daran, dass Biden gewinnen wird: „Es ist noch alles offen, unendlich viele Briefwahlstimmen stehen noch aus.“

Michael Laford ist weniger optimistisch. Er fühlt sich in die Wahlnacht 2016 zurückversetzt. „Ich kann einfach nicht begreifen, dass so viele Menschen Trump wiedergewählt haben“, sagt der 59-Jährige, der seit 30 Jahren in Berlin lebt. Er habe endgültig das Vertrauen in Umfragen verloren. Laford ist so deprimiert, dass selbst ein Sieg Bidens seine Stimmung nicht mehr heben könnte. „Diese Wahl zeigt, wie extrem polarisiert die amerikanische Gesellschaft ist. Die Demokratie in Amerika ist in Gefahr.“

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