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„Ein Klima des Misstrauens und der Sorge“

Lehrerinnen mit Kopftuch haben es in Schulen oft schwer, sagt die Bremer Erziehungswissenschaftlerin Yasemin Karakaşoğlu. Sie überrascht die Hartnäckigkeit, mit der Berlin am Neutralitätsgesetz festhält – dem jüngsten Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Trotz

Foto: imago
Yasemin Karakaşoğlu

55, ist Erziehungswissenschaftlerin und leitet den Arbeitsbereich Interkulturelle Bildung am Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften der Universität Bremen. Sie war 2015 Gutachterin im Prozess des Bundesverfassungsgerichts zum Kopftuchverbot in Baden-Württemberg.

Interview Anna Klöpper

taz: Frau Karakaşoğlu, eigentlich hatte ich Sie angefragt, weil ich auf der Suche nach einer Lehrerin mit Kopftuch war, die über ihre Erfahrungen an einer öffentlichen Schule sprechen will. Warum ist es so schwierig, eine Lehrerin zu finden, die reden will?

Yasemin Karakaşoğlu:Zum einen sind es nicht viele, die man fragen kann: Die jahrelange Politik der Abschreckung hatte da ganz offensichtlich einen Effekt. Zum anderen sind die, die übrig geblieben sind, oft durch einen jahrelangen Kampf gegangen. Sie mussten viele Hürden überwinden, um ihren Berufswunsch ausüben zu können. Die sagen oft: Ich möchte jetzt auch mal meine Ruhe haben und nicht immer nur über dieses Thema definiert werden.

Was meinen Sie mit „Politik der Abschreckung“?

Zum Beispiel die Frage: Dürfen Praktikantinnen aktiv ihren praktischen Teil in den Schulen absolvieren, oder müssen sie stumm im Hintergrund bleiben? Dann erleben sie abfällige Bemerkungen im Lehrerzimmer, nach dem Motto: „Jetzt kommt da sogar schon eine mit Kopftuch!“ Und es gibt Ängste bei den Schulleitungen, dass Lehrerinnen mit Kopftuch zu einer religiösen Fun­damentalisierung der Schülerschaft beitragen könnten; dass sie bei Schülerinnen, die kein Kopftuch tragen wollen, den Druck,der möglicherweise auch aus dem Elternhaus kommt, verstärken. Insgesamt begegnet Lehrerinnen mit Kopftuch ein Klima des Misstrauens und der Sorge, bis hin zu offener ­Diskriminierung. Das muss man erst mal ertragen können.

Die Berliner Bildungsverwaltung, die von einer abgelehnten Lehrerin verklagt worden ist, hat vor dem Bundesarbeitsgericht vor allem mit dem Schulfrieden argumentiert. Der sei durch das Kopftuch in Gefahr. Stört so ein Klima des Misstrauens den Schulfrieden nicht schon ganz erheblich?

Ich glaube, wir müssen jetzt darüber nachdenken: Welche Vorurteile haben wir als Gesellschaft im Kopf? Ich bin als Expertin in den Kopftuch-Prozess 2003 am Bundesverfassungsgericht einbezogen worden, und ich habe damals bereits gesagt: Das Kopftuch ist nicht pauschal ein Symbol für irgendetwas, entsprechend differenziert muss man auch die Gruppe sehen, die es trägt. Es gibt sehr verschiedene Gründe, warum Frauen Kopftuch tragen, und das ist noch lange kein Zeichen dafür, dass jemand durch seine persönliche Haltung den Schulfrieden stört.

Die Muslimin und Moscheegründerin Seyran Ateş, die beim jüngsten Prozess die Berliner Bildungsverwaltung als Anwältin vertreten hat, argumentiert, das Kopftuch stehe für bestimmte moralische Vorstellungen. Dem widersprechen Sie.

Ja. Die wissenschaftliche Sicht darauf ist, das habe ich damals in meiner Studie dargelegt, und weitere Studien anderer Wissenschaftler*innen bestätigen das: Es kann nicht so einfach vom Äußeren auf eine ganz bestimmte Weltsicht geschlossen werden. Natürlich ist jede Art von Kleidung immer auch ein Statement. Aber ganz konkret das Kopftuch kann zum Beispiel auch ein Statement des Widerstands sein – gegen Assimilationsdruck seitens der Mehrheitsgesellschaft, gegen Rassismuserfahrungen als Muslima im Alltag.

Es gibt auch Stimmen, die jetzt, nachdem die Berliner Lehrerin vor dem Bundesarbeitsgericht gewonnen hat, sagen: Gut, dass das Kopftuch endlich in die Berliner Schulen kommt, das kann den Zugang zu „den“ muslimischen Eltern nur verbessern. Aber ist das so einfach?

„Die“ muslimischen Eltern gibt es genauso wenig wie „den“ islamischen Kulturkreis. Was ganz bestimmt eine Rolle spielt: Für Mädchen, die sich dem Kopftuch zugewandt sehen, die das gerne tragen wollen, für die ist eine Lehrerin mit Kopftuch ganz sicher auch ein Empowerment.

Inwiefern?

Wenn Sie unterrepräsentiert sind in einer Gesellschaft, Diskriminierungserfahrungen machen und Sie sehen jemanden, der mit ihnen etwas teilt, womit sie sich identifizieren und der zugleich eine herausgehobene Position in der Gesellschaft hat, dann kann das ein sehr stärkendes Element sein. Im Sinne eines Andockens, im Sinne von Anknüpfungspunkten, die ich solchen Schülerinnen biete, kann das sehr hilfreich sein.

Die Berliner Bildungsverwaltung hat angekündigt, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. Überrascht Sie die politische Hartnäckigkeit?

Ja, die überrascht mich. Mir erscheint das wie ein Stellvertreterkampf, der nicht angemessen ist im Bildungsbereich, wo es eigentlich darum gehen sollte, dass man miteinander kommuniziert. Wo es darum gehen sollte, dass man eine Haltung entwickelt, die auf Wissen und nicht auf Annahmen übereinander basiert. Stattdessen sehe ich in der bildungspolitischen Reaktion auf das Urteil eher eine Verhärtung des Diskurses.

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